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Werwörter

Verlag: Ravensburger
Autoren: Ted Alspach*
Spieleranzahl: 3 – 10
Alter: ab 10 Jahren
Dauer: 10 Minuten

Es gibt eine Art der optischen Illusionen, in denen eine Zeichnung vom Gehirn auf zwei Arten gedeutet werden kann. Ein Bild welches z.B. sowohl eine alte Frau als auch eine wohl betuchte Dame zeigt; oder eine Vase, die aber auch zwei Gesichter sein könnte. Je nachdem wie man das Bild versteht, ändert sich auch die Einschätzung des selbigen. Mit Werwörter ist das eigentlich genauso. Je nach Blickwinkel sieht man darin einen frischen neuen Twist im Social Deduction / Verräterspiel oder einen unnötig aufgeblasenen Versuch ein Wortratespiel auf den Markt zu werfen.

Denn Werwörter besteht im Kern aus zwei Elementen die das Spiel antreiben: Den geheimen Rollen, die die Spieler übernehmen und welche sie mit unterschiedlichen Zielen und/oder Wissenstand ausstatten; sowie dem Erraten eines geheimen Begriffs, den es durch eine begrenzte Zahl an Ja/Nein-Fragen aufzuspüren gilt. Es wird empfohlen dafür die kostenlose App zu Rate zu ziehen, welche Begriffe auswählt, einen Timer stellt und natürlich den Ablauf einer jeden Runde (inkl. Ansagen wann man die Augen zu öffnen und zu schließen hat) abwickelt.

Die erste Runde Werwörter bzw. der Regelerklärende gibt letztendlich auch den Schwerpunkt vor, mit dem man dieses Spiel entweder feiert oder etwas ratlos anschaut. Denn als Wortratespiel ist es gelinde gesagt viel Lärm um nichts. Es gilt ein Wort zu erraten, dem man sich mit klugen Fragen zu nähern versucht. Der Erfolgsdruck wird entweder durch einen Timer oder durch eine begrenzte Zahl an Fragen gegeben. So ist es als einfaches Partyspiel jedem geläufig, der schon mal auf einer Klassenreise oder langen Autofahrt war. Mit Insider wurde diesem Wortratespiel bereits ein grenz-genialer Kniff hinzugefügt. Einer einfachen Idee wird genau die Schärfe verpasst, die auch Erwachsene noch anzusprechen weiß. Da wirken Fantasierollen konkurrierender Teams, eine App mit sonorer Stimme und Ja/Nein-Plättchen eher nach aufgesetztem Prunk. Keine der neu hinzugefügten Bestandteile und Regeln greift wirklich die Wortraterei auf, und verkompliziert lediglich den Spielablauf um seiner selbst willen. Mit viel Trara soll davon abgelenkt werden, dass es gerade das schlichte Knobeln und Begriffe raten ist, welches das Spiel so ansprechend macht. So, als hätte man versucht Leonard Cohens Halleluja dadurch zu „verbessern“, dass man es als Trash-Metal Cover spielt. Es mag durchaus seine Freunde haben, aber gut ist es deshalb nicht.

Wer hingegen Werwörter primär als Spiel versteht, in dem es um das Entlarven seiner Gegenspieler geht und das eigentliche Herz des Spiels darin sieht mit Beschuldigungen, Schlußfolgern und gezielten Finten zu hantieren, dem präsentiert sich Werwörter als eine ganz andere Spielerfahrung. Das Worteraten fungiert hier lediglich als Präambel, mit der die Gruppe Hinweise und Indizien sammelt um zu ermitteln, wer gegen wen spielt. Damit erschließt sich Werwörter einem als eine gelungene Variante das hinlänglich bekannten Werwolf/Mafia Gruppenspiels. Nur dass man hier weder fadenscheinige Argumente oder willkürlich gewählte Anschuldigungen braucht, um das Spiel in Gang zu bekommen. Viel mehr noch, der Schabernack das gegenseitigen Aufhetztens ist bereits nach einer Runde vorbei. Nun muss niemand mehr schweigend zuschauen, während andere Spaß haben, nur weil man die erste Anschuldigung nicht souverän genug abgewehrt hat.

Kurz gesagt: Werwörter macht alles richtig, was Werwolf falsch macht.

Das Spiel liefert nun Hinweise und Indizien, um die Anschuldigungen wer denn ein böser Werwolf sei, auf ausreichend stabilen, jedoch nicht unbedingt eindeutigen Grundlagen stattfinden zu lassen. Es ist nicht mehr allein die Mischung aus diffusem Bauchgefühl und schamloser Großmäuligkeit, mit der man Verdächtigungen ausspricht. Wer immer die richtigen Fragen gestellt hat und so Ja-Plättchen gesammelt hat, weiß vielleicht mehr als er zugeben will (die Seherin). Wer durch falsche Fragen viele Nein-Plättchen gesammelt hat, versucht vielleicht die Gruppe in die Irre zu führen (die Werwölfe). Wurde der Begriff erraten, müssen die Werwölfe die Seherin ausfindig machen, um das Spiel noch zu gewinnen. Wurde der Begriff nicht erraten, müssen die Spieler einen Werwolf enttarnen, um das Spiel nicht zu verlieren.

Als Weiterentwicklung dieses Klassikers aus Abenden in der Jugendherberge entfernt Werwörter so genau die Ecken und Kanten, die bei Erwachsenen gelegentlich zu Verstimmung und langen wortlosen Autofahrten zurück nach Hause führten.

Zumindest in der Theorie kann man diese zwei Identitäten durchaus auseinander halten. Aber die Realität zeigt, dass optische Täuschungen der oben erwähnten Art, selten nur in eine Kategorie fallen, sondern beides verkörpern. Eine Perspektive zeigt eine clevere Fortentwicklung eines Klassikers, die andere einen künstlich aufgebauschten Abklatsch. Es ist der Betrachter, der hier (oft unwillkürlich) eine Blickart wählt oder unentwegt zwischen den beiden hin und her springt. So ist es dann auch mit Werwörter.

Georgios Panagiotidis
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