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Vengeance

Verlag: Mighty Boards/Asmodee
Autor: Gordon Calleja
Spieleranzahl: 1-4 (eher 1-3)
Alter: ab 14 Jahre
Spieldauer: 30-40 Minuten pro Spieler

 

RACHE!

Ja, bei dem Titel, wenig überraschend, geht es bei Vengeance um RACHE. Nicht um Rache, sondern um RACHE! – Diese Unterscheidung ist wichtig!

Der eigene Charakter wird bei Spielbeginn grausam gefoltert (= es werden Karten ausgespielt, die Gesundheit kosten und es steht auf den Karten drauf, was genau passiert ist. Z.B. „Bambusfolter“) und jetzt nimmt er (oder sie – die Hälfte der Charaktere sind weiblich)  RACHE – er besucht die Bösewichter zu Hause und nietet sie um. Kill Bill – Das Brettspiel sozusagen. Und ja, diese Beschreibung ist sehr gerechtfertigt, denn Vengeance ist ein cineastisches Spiel, es lebt von der Story, insbesondere von den Kampfszenen:

In einer Phase, die „Vergeltung“ genannt wird, treten die Spieler nacheinander an einem der sechs Orte einem Boss entgegen. Der Boss ist dabei niemals alleine sondern von einer (im Laufe des Spieles wachsenden) Zahl von Schlägern und anderen Gehilfen umgehen. Und der Spieler nietet die mehr oder minder alle um. Mechanisch liegen diese Szenen irgendwo zwischen Mini- Dungeon Crawler und King of Tokio: Eine Handvoll Würfel bestimmt die Aktionsmöglichkeiten, wobei die meisten Würfel dem Angriff dienen dürften. Die Gegner schlagen manchmal zurück, aber der größte Feind ist die Zeit – gerade einmal drei Runden hat man Zeit alles zu plätten was steht. Und das ist gut so, denn wenn andere prügeln, bleibt nichts anderes als zuzuschauen.

Doch das tut man durchaus gerne – hatte ich schon erwähnt, dass das Spiel sehr cineastisch ist? Dass es eine gute Umsetzung des Themas „Rache-Film“ ist? Ob der Angriff der erfolgreich ist oder nicht, hängt vor allem an den Würfeln (ein wenig lässt sich in den vorbereitenden Phasen – das Training – steuern, aber nicht viel). Doch das macht hier einmal nichts! Im Gegenteil: Gerade durch das Scheitern, durch das Setzen müssen von Prioritäten  wird ein Film draus. In einer Partie bin ich zu einem Ort gegangen, von dem der Boss nicht bekannt war (ich hatte nur zwei ausgekundschaftet, die mir nichts gebracht hätten). Es stellte sich heraus, dass ich den Boss nicht umlegen konnte, denn man darf nur an denjenigen Rache üben, die einem auch was getan haben. Nun, da es auch Punkte gibt, wenn man alle Gehilfen umlegt, tat ich das. Dann spielte ich den Boss aus – offensichtlich hat er mir den Angriff übel genommen und er sperrte mich in Dunkelhaft. Nächste Runde nahm ich dann Rache, kämpfte mich zu ihm vor und legte ihn um. Die Runde darauf, kam DESSEN Boss (es gibt „Oberbosse“ und nahm mich richtig auseinander (=besonders teure Karten, aber lukrative von den SP her, daher habe ich die gespielt). In der darauf folgenden Rachrunde würfelte ich mies. Als Resultat, lief ich an allen Wächtern vorbei und ballerte den Boss nieder. Ich selbst entkam aber nur verwundet und mit Müh und Not den Schergen…

Leichen pflastern ihren Weg

Derartige Handlungen -im großen wie im kleinen – werden vom Spiel begünstigt. Der MacGuffin ist dabei  die Siegpunktleiste. Sie motiviert die Spieler Karten zu spielen, die den eigenen Charakter schwächen. Sie motiviert den Angriff auf besonders gefährliche Bosse, denn die geben Punkte und sie begünstigt auch das Angreifen der Schergen, denn das Leeren eines Ortes wird ebenfalls durch Punkte belohnt. Kleine Teilziele, die man erreichen kann, bringen Extrapunkte. Doch wie jeder MacGuffin, ist auch hier am Ende überhaupt nicht wichtig, wer wo steht. „Der mit den meisten Punkten gewinnt“ ist hier geradezu antiklimatisch. Zumal die Siegpunktvergabe nicht zuletzt vom Glück abhängt – Von den Handkarten, von den zufällig verteilten Bossen an den Orten, vom Würfel. Optimierer und Kalkulierer können sich den Film sparen.

Andererseits war ich schon ein bisschen überrascht, wie gut mir Vengeance gefällt! Sicher, der Einstieg ist nicht leicht (der „Schnellseinstieg“ wirkt nicht durchdacht und hilft nicht wirklich) und zu viert würde ich es niemals wieder spielen wollen – zu lang sind die Wartezeiten, bei jeder Racheaktion guckt man dann so ’ne Viertelstunde den Mitspielern zu. Aber das Material, Thema und Spielmechanismen bilden eine Einheit. Würfelspiele mag ich eigentlich nicht, aber hier ist – ähnlich wie bei Descent – der Würfel Motor für Geschichte und Emotionen. Dass bestimmte Szenen immer noch in meinem Gedächtnis ablaufen, spricht für das Spiel. Unterstrichen wird das durch die sehr passende Graphik und auch die Miniaturen passen hier einmal.

Mein erster Gedanke war „Mach‘ dich mal lieber rar“,
als ich schließ- und endlich merkte, daß ich eingekesselt war.
Selbst mein freundlichstes Grinsen kam irgendwie nicht an
Stattdessen der Kommentar: „Alter, jetzt bist du dran!“

 

 

Peer Sylvester
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