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Tiwanaku

Autor: Olivier Grégoire

Verlag: Sit Down /Hutter Trade

Für 1-4 Spielende ab 14 Jahren

Spieldauer: offiziell 30-60 Minuten, eher 60-90 wenn noch andere Leute am Tisch mitspielen, die auch denken wollen

Rätsel gibt es  – wie Spiele- in unterschiedlichen Kategorien: Ein „Gitterrätsel“ oder ein Kreuzworträtsel unterscheidet sich fundamental von einem Sudoku oder einem klassischen Reimrätsel, einer Dummbatz Dribbelei, einem Lateral oder einer Scherzfrage. Tiwanaku orientiert sich von der Struktur her an Rätseln japanischer Schule, aus der auch Sudokus hervorgegangen sind. Bei diesen Rätseln versucht man in der Regel alle Felder durch logisches Schließen auszufüllen, ausgehend von wenigen Vorinformationen.

Bei Tiwanaku gilt es entsprechend den anfangs leeren Spielplan zu füllen: Auf jedes Feld gehört ein Landschaftsplättchen, auf dem wiederum eines von fünf Zahlenplättchen (offiziell: Pflanzensorte) liegt. Die Regeln sind so gestaltet, dass sich jedes Feld logisch ermitteln lässt, wenn nur genügend Informationen vorhanden sind. Ein paar Felder sind natürlich bei jeder Partie vorgegeben (es gibt vorgefertigte Level, aber das macht nichts, wenn man die alle durchhat, kann man von vorne beginnen – wer merkt sich schon, was vor zwölf Partien wo lag?)

Nun hat ein solches Rätsel eine eigene Dramaturgie: Am Anfang erfasst man die gegebenen Informationen und sucht nach den „Gimmies“, den Ecken, die sich eindeutig zuordnen lassen. Dann folgt die lange Knobelphase, die den eigentlichen Reiz ausmacht. Ab einem gewissen Punkt hat man das Rätsel defacto gelöst und muss die Kette nur noch „aufribbeln“, also die letzten Felder ausfüllen, die jetzt eindeutig sind und wo nichts mehr deduziert werden muss.

Diese drei Phasen sind aber nicht unbedingt deckungsgleich mit der Dramaturgie eines Spieles; Es gibt einen Grund, warum die meisten kompetitiven Rätselspiele (vor allem Deduktionsspiele) als Wettrennen angelegt sind: In einem Wettrennen kann jeder für sich knobeln ‑Interaktion wird vor allem durch eine asymmetrische Informationsausgangslage erreicht, die geteilt wird ‑ bis das Rätsel gelöst und das Spiel augenblicklich beendet ist.

Bei Tiwanaku dagegen sammelt man Punkte, indem man die Zahlenplättchen richtig errät. Dabei stehen die Informationen allen Spielenden gleichermaßen zur Verfügung. Eingeschränkt wird man lediglich durch die Bewegungsregeln, da fremde Figuren Felder blockieren. Tiwanaku ist dadurch nicht nur ein Logikrätsel, sondern auch ein Positionsspiel. Das ist sehr originell und für mich liegt in dieser Mischung aus abstraktem Setzspiel und Logikrätsel der Hauptreiz des Spieles. Aber es hat auch den Nachteil, dass die Rätseldramaturgie übernommen und kompensiert werden musste.

In der ersten Phase Tiwanakus gibt es keine „Gimmies“ – die Informationen sind so spärlich, dass sich daraus in der Regel keinerlei brauchbare Schlüsse ableiten lassen. Das ist aber prinzipiell kein Problem, denn in einem Spiel kann man diese Gimmies gut durch eine Erkundungsphase ersetzen: Spielfiguren werden eingesetzt und dadurch werden Landschaften gebildet (was wohin kommt, „weiß“ ein Drehrad, das befragt wird). Gleichzeitig kann man an dieser Stelle bereits Figuren strategisch positionieren – wenn man denn wüsste wo und wie. Der Autor hat für diese Phase Punkteanreize für das gleichmäßige Entdecken möglichst verschiedener Landschaftstypen gesetzt, damit schnell Informationen ins Spiel kommen können. Doch muss ich leider attestieren, dass dieser Mechanismus mit sehr viel Verwaltungsaufwand sehr wenig Ertrag liefert. Die Punkteunterschiede, die hier unter Umständen generiert werden können machen kaum einen Unterschied in der Endabrechnung. Zudem ist die Informationslage in diese Phase einfach zu dünn, als das wirklich gezielt auf Bonuspunkte gespielt werden könnte – und auch wenn sie den Kohl letztlich nicht Fett machen, ist es unbefriedigend wenn man bei einem so anspruchsvollem Logikspiel wie Tiwanaku einfach Pech mit den Bonuspunkten hat. Man kann zudem sogar argumentieren, dass diese Phase nicht macht was es soll, denn spielerisch ist es sinnvoller seine Figuren zusammenzuhalten, um so Gebiete gezielt auszuheben (damit man Rückschlüsse auf die Zahlenplättchen dort ziehen kann) und diese Spielweise wird durch die Bonuspunkte nicht unterstützt.

Wurden die ersten zwei, drei Zahlenplättchen richtig ermittelt (oder erraten), entwickelt Tiwanaku seinen Reiz: Jetzt gilt es, seine Figuren richtig zu platzieren, so dass man punkteträchtige Zahlen erraten kann, dass man flexibel bleibt, wenn neue Informationen dazukommen, dass man andere Spielende vielleicht sogar von den Fleischtöpfen fernhält und Informationen sammeln will man ja auch noch! In dieser Hauptphase liegt der Kern und auch die Stärke von Tiwanaku – Praktisch löst man ein anspruchsvolles Logikrätsel und spielt gleichzeitig noch ein Positionsspiel. Das ist eine Gehirnmassage, wie man sie nur selten erhält! Leider kann es etwas zu lange dauern, bis diese Phase erreicht hat: Ob genügend Informationen vorliegen hängt zum einen davon ab, ob und wann einzelne Spielenden auch einmal raten, ohne alles deduziert zu haben und wo die Spielenden herumentdecken, was defacto Zufall ist. Einzig im Solomodus und der kooperativen Variante kommen schnell genug weitere Informationen ins Spiel. Das wird allerdings durch den zusätzlichen Aufwand, einen Automatun steuern zu müssen, erkauft. Außerdem fällt das strategische Taktieren weitestgehend weg, was aber eine anspruchsvolle Rätselaufgabe zurücklässt.

So wie die Anfangsphase ist leider jedoch auch die Endphase des Spieles etwas zu lang geraten; Das Spiel ist zu dem Zeitpunkt bereits in der Endphase des Rätsels eingetreten, wo die Felder prinzipiell bereits ausgefüllt werden könnten. Das ist bei einem Spiel aber nicht mehr befriedigend, sondern schlicht zäh, vor allem wenn bereits die punkteträchtigen Zahlenfelder abgegrast wurden und jeder nur noch den Rest einsammelt. Es ist nicht ganz nachvollziehbar, warum das Spielende nur durch eine einzige Bedingung ausgelöst wurde (alle Landschaftsplättchen gelegt), die sich zudem komplett steuern lässt. Zielführender wäre es mMn gewesen, wenn das Ende auch eintritt, wenn zwei Sorten Zahlenplättchen verbraucht wären – das wären dann in der Regel die punkteträchtigsten gewesen und das Spiel hätte geendet, wenn es entschieden ist und nicht mehrere Runden später.

Könnte man die Anfangs- und vor allem die Endphase kürzen und Tiwanaku auf die wirklich gelungene Mittelphase zuschneiden, wäre das Spiel unter meinen Favoriten dieses Jahres. Wie es ist, gefällt Tiwanaku aufgrund des heerausfordernden Rätsel und originellem Spielablauf durchaus, man muss aber bescheinigen, dass es viel besser hätte sein können.

Ein Wort noch zur „thematischen“ Einkleidung: Das Spiel sieht super aus, gerade für das nicht gerade durch optische Extravaganz verwöhnte Genre. Aber die thematische Einkleidung behindert insbesondere durch die Begrifflichkeiten in der Spielregel das Lernen des Spieles. Ehrlich gesagt muss ich auch jedes Mal, wenn ich hier den Titel erwähne, nachschauen, ob ich ihn auch richtig geschrieben habe – das ist das Gegenteil von „hilfreich“. Ich will jetzt nicht über kulturelle Aneignung philosophieren, aber in diesem Fall wäre ein neutraleres Setting (mit ähnlicher Graphik) gleich auf mehreren Ebenen sinnvoller gewesen.

 

 

Peer Sylvester
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