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Railroad Ink

Verlag: Horrible Games
Autoren: Hjalmar Hach, Lorenzo Silva
Spielerzahl: 1-6
Alter: ab 8 Jahren
Dauer: 20-30 Minuten

Die Schwemme der Roll’n’Writes der letzten zwei Jahre entpuppt sich mittlerweile als zweischneidiges Schwert. Würfeln (oder anders zufällige Zahlen oder Werte ermitteln) und diese dann auf seinem Zettel notieren ist ein einfaches und griffiges Konzept, das schnell einleuchtet. So sind diese entfernt mit Kniffel verwandten Spiele zwar ungemein zugänglich und in den meisten Fällen selbst hobbyfernen Personen schnell erklärt, aber sie kommen auch in einer Frequenz auf den Markt, dass der Moment der Übersättigung jederzeit eintreten kann.

Dass so viele Spiele dieser Art erscheinen ist in Anbetracht der verhältnismäßig geringen Entwicklungszeit und noch geringerer Produktionskosten kaum verwunderlich. Es braucht kein BWL-Studium um zu erkennen, dass diese kleinen Mitbringsel schnell Gewinn abwerfen. Auch Rezensenten begrüßen anfangs dieses angeblich neue Genre, lässt sich doch so ein Spiel sehr schnell durchleuchten und beurteilen.

Aber spätestens bei dem sechsten oder siebten Roll’n’Write treten die ersten Probleme mit dieser Spielgattung auf. Denn ein Spiel zu testen ist eben nicht das gleiche wie eine Kritik zu verfassen. Erstere kann sich darauf ausruhen Unterschiede und Eigenheiten aufzulisten. Wie wird gewürfelt? Bei Railroad Ink würfelt ein Spieler vier bzw. sechs Würfel, deren Ergebnis für alle Spieler gelten. Was macht man mit dem Ergebnis? Man zeichnet sie auf seiner abwischbaren Spielkarte ein. Was will man erreichen und was vermeiden? Lange Strecken von einem Ausgang zum anderen führen, und dabei möglichst wenige Anschlüsse, die ins Nichts gehen. Wie erzielt man seine Punkte? Für jede Verbindung, die ohne Fehler bis zum Ausgang führt. Hinten noch ein “gefällt mir” oder auch “mag ich nicht” rangeklatscht und die Content-Maschine läuft.

Aber wer versucht jedes einzelne Exemplar kritisch zu bewerten und in den aktuellen Spielemarkt einzuordnen, wird bald bemerken, dass sich diese Spiele so grundlegend nicht unterscheiden. So greift man bevor man sich versieht bei der Erklärung, warum die eine Würfelei besser sein soll als die andere Kritzelei, zu esoterischen und abstrakten Argumenten.

Railroad Ink ist ein Roll’n’Write-Spiel, das sich nicht gänzlich anders spielt als andere seiner Art. Es wird gewürfelt, dann wird eingetragen und man wägt ab wie man sich seine Optionen möglichst lang offen halten bzw. seine Punkte maximieren kann. Das findet vor allem alleine statt. Gemeinschaftlich teilt man vielmehr das Wehklagen über die furchtbaren Schicksalsschläge, die einem Siegpunkte kosten. Gelegentlich entweicht dem einen oder anderen auch ein zufriedenes Nicken, wenn Fortuna einen doch mal anlächelt und die hohen Punktewertungen sicher scheinen.

Das offene Spielfeld und die hohe Variabilität der Würfel vermittelt hier ironischerweise das Gefühl man würde nicht gänzlich vom Zufall abhängen. Der typische Frustrationsmoment dieser Spiele tritt immer dann ein, wenn vorherige Entscheidungen einen in eine punktetechnische Sackgasse oder gar zu Minuspunkten drängen. Bei Railroad Ink setzt dieser Moment oft sehr spät ein und so kann man länger im Glauben bleiben, dass die eigenen Entscheidungen einen wichtigen Unterschied gemacht haben.

Das tut niemandem weh. Roll’n’Writes spielen sich, wie auch Railroad Ink, flott runter und sind vorbei bevor man sich zu sehr langweilt. Der Spielhunger wird damit aber nur sehr selten befriedigt. Diese Spiele sind wie eine Tüte Kartoffelchips. Sie sind lecker, machen kurzfristig auch schon mal süchtig, aber satt ist man danach nicht. Ob das nun gut oder schlecht ist, ist eine müßige Frage. Genauso gut kann man sich darüber streiten welche Kartoffelchips ein besseres Verhältnis zwischen Schärfe und Salzigkeit haben als andere.

Denn Roll’n’Writes können ihrer eigenen Trivialität nicht entkommen. Das macht es nicht leicht sie zu bewerten ohne gleich die gesamte Spielart zu verurteilen. Dabei müssen diese Spiele in keinster Weise gerechtfertigt werden. Sie funktionieren gut, schließlich bereiten sie Menschen Freude. Sie bereichern das Spielangebot, schließlich können Verlage mit geringem Risiko in neue Produkte investieren. Aber sie sind auch zur Belanglosigkeit verdammt. Es sind Spiele, die statt Emotionen, Affekte auslösen. Es sind Rätsel, die Zerstreuung liefern, statt Herausforderungen. Daran ist nichts falsch und unterhaltsam ist Railroad Ink allemal. Aber es ist auch ein Spiel, welches in Vergessenheit gerät, wenn man sich die Schachtel nicht regelmäßig ins Blickfeld schiebt.

Es gibt von Railroad Ink übrigens auch eine blaue Variante, die mit anderen Zusatzregeln für die Sonderwürfel daherkommt.

Georgios Panagiotidis
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