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Michael Strogoff

Verlag: Devir
Autor: Alberto Corral
Spielerzahl: 1-5
Alter: ab 10 Jahren
Dauer: 60 Minuten

Michael Strogoff (von Alberto Corral) wurde 2017 von Devir veröffentlicht und ging im Wust der Neuerscheinungen auf der Spiel 2017 leider etwas unter. Ohne Gimmick oder grafische Extravaganz ist es eben nicht immer einfach eine lautstarke Zielgruppe innerhalb des Fachpublikums in seinen Bann zu ziehen.

Mehr noch, das Spiel begeht eine der Todsünden im doch recht oberflächlichen Schnellurteil des modernen Brettspielers: es gibt absolut keine mechanische Interaktion zwischen Spielern. Bei knobligen Puzzlern wird das gern verziehen und das Wegschnappen einer Ressource gern als „indirekte“ Interaktion schöngeredet, aber Michael Strogoff macht überhaupt keine Anstalten solche Dinge zu suggerieren. Das hier ist ein gradliniges Wettrennen und kein verschachteltes Sportfechten zwischen Spielexperten.

Wer bei dem Namen an Raimund Harmstorf und seinen männlichen Bart denkt, kennt vielleicht auch das Buch von Jules Verne, welches hier als Vorlage dient. Ein abenteuerlustiges Werk, welches vom titelgebenden Kurier des Zaren handelt, der die russische Tundra überqueren muss, um ein Attentat auf den Bruder des Zaren und eine Machtübernahme Russlands zu verhindern. Der amüsant reißerische Plot des Originals wird, inkl. des Leidenfrost-Effekts, durchaus textnah im Spiel abgebildet. Wobei mit der Chronologie der Ereignisse ein Stück weit weniger gespielt wird als z.B. bei Der Ringkrieg.

Das liegt unter anderem auch daran, dass Michael Strogoff ein deutlich schmaleres Spielgefühl bietet. Statt eines Kriegsepos spielt man einen verzweifelten Wettlauf gegen die Zeit bzw. den Verräter Iwan Ogareff, der unaufhaltsam gen Irkutsk reist. Es gilt ihn dort abzufangen und im Duell zu stellen, um das Spiel zu gewinnen. Dabei wird aber nicht zusammen gearbeitet, sondern es versucht jeder selbst den Ruhm und die Ehre einzuheimsen Russland vor dem Chaos gerettet zu haben (und nebenbei das Leben des Großfürst). Was erst wie eine unbeholfene Designentscheidung klingt, ist Schlüssel um das Spiel und seine fehlende Interaktion zu begreifen.

Die Dynamik des Spiels entfaltet sich nicht auf dem Spielbrett, sondern darüber. Es sind nicht die Mechanismen, die aufeinander wirken, sondern die Spieler. Oder genauer gesagt ihr Ehrgeiz. Denn Designer Alberto Corral setzt bei Spielern voraus, dass sie nichts als wichtiger erachten als ihre Freunde um jeden Preis zu übertrumpfen. Nur wer dieses leichte Nagen am eigenen Ego nachempfinden kann, wenn ein Konkurrenten links vorbeizieht, wird Michael Strogoff in seiner Gänze genießen können. Mit jedem Fortschritt auf der Strecke wird eine neue Gefahrenkarte gezogen und wenn sich Symbole doppeln, stürzen sämtliche potentiellen Bedrohungen der angesammelten Karten auf einen herab. Oft kostet es wertvolle Spielzüge, sich von diesem Rückschlag zu erholen und in dieser Zeit reisen die Mitspieler natürlich genüsslich an einem vorbei.

Während des Spiels bewegt man sich im Spannungsfeld zwischen angestacheltem Spielstolz und taktierender Zurückhaltung. Am ehesten erinnert das Spielgefühl an den ersten Spiel des Jahres-Gewinner Hase & Igel. Nur dass die Spannungsmomente hier mit gelegentlichem Würfeln und unberechenbaren Kartendecks an Brisanz gewinnen. Es schadet auch nicht, dass die Geschichte des Romans hier einen illustrativen Handlungsbogen liefert, der sowohl die Strecke, wie auch das Spiel selbst praktisch in Kapitel unterteilt.

Am Ende des Spiels wird dafür auch deutlich was Michael Strogoff eigentlich doch erwähnenswert macht. Sieg oder Niederlage werden im Nachhinein selten der überlegenen Taktik oder Strategie zugeschrieben, auch wenn beides eine Rolle spielt. Es kommt auch nicht oft vor, dass der Glücksfaktor als treibendes Element genannt wird. Stattdessen ärgern sich die Verlierer im falschen Moment zu vorsichtig gewesen zu sein. Der Sieger hingegen ist stolz darauf, im richtigen Moment ein Risiko eingegangen zu sein, um so alle anderen hinter sich zu lassen.

Auf seine Art geht es um Michael Strogoff eben doch um den Mut des echten Helden, mit dem Jules Verne seine Figur beschreibt. Nur sitzt man diesmal lediglich an einem Tisch und hofft, dass wenn man dran ist, die richtige Karte gezogen wird.

Georgios Panagiotidis
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