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Freedom – The Underground Railroad

Verlag: Academy Games
Autor: Brian Mayer
Spieleranzahl: 1-4
Alter: ab 13 Jahre
Spieldauer: 90-120 Minuten

Diese Rezension wird nicht mit einem Fazit abgeschlossen werden. Freedom ist ein besonderes Spiel, dessen Empfehlung (oder Nicht-Empfehlung) sich nicht in einem Satz ausdrücken lässt. Daher ist das Fazit gewissermaßen zwischen den Zeilen versteckt. So sollte es aber auch sein, oder?

Freedom ist ein kooperatives Spiel: Alle Spieler versuchen gemeinsam Sklaven von ihren Plantagen im Süden der USA zu retten und nordwärts bis nach Kanada zu transportieren. Erst dort sind sie dann gerettet. Unterwegs sind viele Sklavenjäger unterwegs, die sich einmal per Zufall (Würfel) und einmal kontrolliert (bestimmte Felder lösen die aus) bewegen und Sklaven wieder zurück in die Plantagen schicken. Natürlich kostet das Bewegen der Sklaven Geld und Aktionen. Außerdem müssen noch Marker gekauft werden, die nichts bringen, außer dass man ohne die nicht gewinnt. Die Spieler sind unter Zeitdruck – wie bei kooperativen Spielen üblich verlieren sie, wenn sie zu langsam mit dem Befreien sind.

Rein mechanisch betrachtet ist das Geschehen sehr puzzlelastig. Fast jede Sklavenbewegung löst eine (berechenbare) Sklavenjägerbewegung aus. Da die Zufallsbewegung bereits bei Rundenbeginn ausgelöst wird, können die Spieler so theoretisch bereits vor der ersten eigentlichen Handlung den gesamten Zug durchplanen. Und da gibt es viel zu planen: Neben der Bewegung und dem Geld gibt es auch Karten mit Vorteilen, die gekauft werden können und Karten mit Nachteilen, die verhindert werden sollten (was aber nicht immer möglich ist) und jeder Spieler hat auch noch Spezialoptionen. Da es keine verdeckten Informationen gibt, ist es den Spielern überlassen, ob sie zusammen planen oder einem einzelnen die Planung überlassen – oder ob sie mehr aus dem Bauch heraus agieren. Was allerdings kaum klappen wird. Umgekehrt wird aber kein Schuh draus: Auch wenn die Spieler alles minutiös planen, erhöhen sie damit zwar ihre Chance, das Spiel zu gewinnen, eine Garantie aber gibt es nicht. Wenn die Negativereignisse massiv zuschlagen (sie werden vom selben Stapel gezogen, wie die positiven Karten) oder wenn der Zufallswurf todsicher das Worst-Case-Szenario auslöst, wird’s hart. Bei einer Normalverteilung stehen die Chancen auf einen Sieg aber nicht schlecht. Dabei fällt die Entscheidung über Sieg oder Niederlage eigentlich immer erst in den letzten beiden Runden, was eine gewisse Spannung bis zum Schluss garantiert.

Ein kooperatives Spiel muss den Vergleich mit Pandemie aushalten. Dort ist der Glücksfaktor noch etwas höher, die Spielverläufe sind noch extremer (manchmal hat man keine Chance, manchmal gewinnt man ohne groß ins Schwitzen zu kommen). Aber Pandemie ist auch kürzer und weniger kopflastig. Eine Niederlage bei Freedom schmerzt mehr, da mehr Kraft, Zeit und Hirn hineingesteckt wurde. Und eine Niederlage, weil der einzige mögliche Wurf (von 36) den Spieler in die Suppe spuckte schmerzt doppelt. Umgekehrt weiß man, was man geschafft hat, wenn man es geschafft hat.

Doch Freedom auf die Mechanismen zu reduzieren wäre ein Fehler, denn das Thema ist einzigartig: Dieses Spiel befasst sich mit der dunklen Seite der amerikanischen Geschichte, der Sklavenseite. Damit erfüllt es etwas, was ich immer gefordert habe: Spielthemen zu bieten, die auch mal unangenehm sind, die eine Aussage haben. Das Thema von Freedom hebt sich erfrischend vom Euro-Einerlei ab und verlässt die Comfort-Zone. Das einmal nicht nur Kriege oder Könige im Zentrum eines historischen Spieles stehen, wurde auch Zeit. Das Spiele mehr können als unterhalten und dennoch Spaß machen, demonstriert Freedom einigermaßen eindrucksvoll.

Es gibt allerdings auch Stimmen, die darauf hinweisen, dass Cover und Kurzbeschreibung falsche Erwartungen wecken; Nicht die abenteuerliche und gefährliche Flucht der Sklaven steht im Mittelpunkt. Die Sklaven sind keine Helden. Vielmehr verkörpern die Spieler reiche, weiße Männer, die den hilflosen Sklaven zur Hilfe eilen und diese (im Spiel) komplett kontrollieren. Erst in Kanada sind die Sklaven frei – und vom Spieltisch verschwunden, der Kontrolle der Spieler entzogen. Sklaven dienen hier als eine Art Siegpunkte und werden so auf den reinen Messwert reduziert, der bestimmt, on das Spiel gewonnen oder verloren wird.

Dieses Argument ist m.E. zwar faktisch weitestgehend korrekt, geht aber am Punkt vorbei. Das Problem aus meiner Sicht ist ein anderes: Zu keinem Zeitpunkt, bei keiner Partie bin ich in irgendeiner Weise in das Thema eingetaucht. Der Bewegungsmechanismus ist nicht nur grüblerisch sondern auch rein abstrakt (die Sklavenjäger sind sogar geometrische Figuren). Die Karten haben zwar historische Namen, aber das kaufen von z.B. Lincoln, damit der zwei Sklaven bewegt oder einen Rabatt gibt oder ähnliches , fühlt sich nicht thematisch an. Auch hier wieder ein Vergleich mit Pandemie: Bei beiden bewege ich im Kern Würfel durch die Gegend. Aber das Auftauchen der Würfel bei Pandemie simuliert zumindest die Ausbreitung einer Krankheit durchaus adäquat. Bei Freedom bleibt alles auf der abstrakten Ebene – zumindest für mich, der als Deutscher vermutlich weniger emotionale Bindung zum Thema hat. Dadurch sind die vermeintlich harten Entscheidungen, wie z.B. auch mal einen Sklaven opfern zu müssen, um andere Sklaven zu retten, emotional so tragisch wie das Opfern einer Figur beim Schach – nämlich gar nicht. Der Rätselcharakter steht doch sehr im Vordergrund. Das muss nicht schlecht sein, aber es ist anders, als von mir erhofft.

Peer Sylvester
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