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Atoll

Name: Jan Štěpánek

Verlag: albi

Für 1-4 Spielende ab 12 Jahren

Spieldauer: 90 Minuten (eher 30-45 Minuten pro Person)

Irgendwie ist es ein besonders befriedigendes Gefühl, schöne Bilder von Tieren auszulegen.

Wer jetzt ein kleines Deja Vú hat: Ja, den Satz habe ich bereits zweimal geschrieben. Weil er wahr ist. Aber auch, weil das Bauen eines Ökosystems aus verschiedenen Tierkarten gerade ein Modethema ist. Dagegen ist nichts einzuwenden, es gibt schlimmere Moden, als sich schöne Tierbilder ansehen zu müssen. Die Gefahr besteht freilich, dass die einzelnen Vertreter im großen Pool der Spiele miteinander verschwimmen und vorschnell untergehen. Hat  Atoll genügend Meerwert für all die schlechten Wortwitze?

Die Struktur von Atoll ist bekannt: Wir kaufen Karten mit Tieren (in diesem Fall Meerestiere) und legen diese in die Auslage, wobei wir Bedingungen erfüllen müssen (in diesem Fall müssen genügend Korallen um die designierten Tierplätze herum gebaut worden sein. Und ja, ich weiß, dass Korallen Tiere sind, aber so ist die Erklärung verständlicher, als wenn zweimal von „Tieren“ gesprochen hätte und so). Dabei versuchen wir Punkteträchtige Kombos aufzubauen und alle Ressourcen sind knapp. Neben Geld sind das vor allem Plankton, dass benötigt wird, um Tiere zu füttern, wodurch sie zum einen punketrächtiger werden und zum anderen wiederrum von größeren Tieren gefressen werden können, ohne dass sie abgeworfen werden müssen. Zudem gibt es einen Bonus, wenn die höchste Fressstufe erreicht wird, der sogar mehrfach ausgezahlt werden kann, wenn die Population zwischenzeitlich durch Räuber wieder sinkt und dann durch Füttern wieder steigt. Dieser Jojo-Effekt ist eine nette Idee, die zudem auch dafür sorgt, dass man einen Grund hat, bereits früh mit dem Füttern anzufangen, statt erst kurz vor Spielende.

Der Bonus und die zunehmenden Synergien zwischen den Effekten der Korallen und der Effekte der Tiere (Noch einmal: ja ich weiß, dass Korallen, Tiere sind!) sorgen dafür, dass die Runden, ähnlich wie etwa bei

Im Moment weniger ein Atoll, als ein stark verschmutztes Aquarium

Everdell, nach hinten heraus immer länger werden. Reicht es in Runde eins vielleicht für zwei Karten, Explodiert das Ökosystem in Runde vier förmlich. Spätestens ab Runde drei entwickelt sich so ein reizvolles Puzzle, um die richtige Reihenfolge des Fütterns, des Kaufens oder des „Freischaltens“ von Korallen. Außerdem gibt es die genreüblichen Wetten auf kommende Karten („Ich brauche dringend einen kleinen Fisch!“) und die Befriedigung, wenn die Kombos zünden und der Fischbestand wächst. Vom befriedigenden Gefühl schöne Tierkarten legen zu können (die zudem oft thematisch als passend empfundene Effekte haben), ganz abgesehen. Atoll kann schon was – es bietet viel Stoff für Freunde des gehobenen Kennerbereiches mit vielen möglichen Strategien, deren Erfolg aber auch von den Karten, die in die Auslage wandern, abhängen. Die Herausforderung, situativ einzuschätzen, was sich gerade lohnt ist aber schön knobelig. Atoll ist ein gut designtes Spiel!

Es ist aber kein Einzelgänger sondern, wie in der Einleitung beschrieben – Bestandteil eines ganzen Ökosystems aus „Tierkartenkombospielen“. Und innerhalb dieses Ökosystems steht Atoll nicht gerade an der Spitze der Nahrungskette.

Ich will zur Erklärung gar nicht die Originalität zur Begründung heranziehen. Das Genre ist abgegrenzt genug, dass die Chance besteht, dass eine potentielle Neu-Atollerin nur wenig andere Vertreter dieser Kategorie kennt. Zudem ist Originalität nicht automatisch gleich  Spielspaß oder gar Designqualität. Auch die Kopflastigkeit der letzten Runde, die potentiell so lang ist, wie die drei Runden davor, ist eher überraschend denn wirklich problematisch. Nein, eine konkrete Designschwäche ist nicht gar so einfach zu benennen.

Sicher, ein Problem ist, liegt darin begründet, dass  in dieser letzten Runde die Schleife aus Füttern-Bonus-Mit Bonus neue Dinge kaufen – diese ebenfalls Füttern – Neuer Bonus möglichst oft oder zumindest lukrativ gedreht werden will. Diese Schleife zu finden und zu gestalten mag ein interessantes Puzzle an sein, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein Teil dieser Schleife darin besteht, Marker auf seiner Auslage hin und her zu verschieben z.B.: Jäger-Population raus – Beute Population runter.  Das mag im Einzelfall sogar dank der Boni irgendwie befriedigend sein, aber es ist läuft völlig autonom ab, weder durch noch von anderen beeinflusst noch andere beeinflussend. Daher bedarf es schon eines starken Willens, mehrschrittige rein administrative Züge -wie mehrmaliges Füttern – nicht in einem Rutsch durchzuführen, sondern Schritt für Schritt, jedes Mal wenn man dran ist Dieses Klein-Klein mögen keine „Null-Züge“ sein – man erreicht ja Dinge, kommt vorwärts –  sie fühlen sich aber stark danach an.

Diese Phasen sind aber vor allem Symptom für etwas anderes: Die besten Vertreter des Genres lösen entweder das Problem der weitestgehend fehlenden Interaktion beim Auslegen von Tierkartenkombos besser oder spielen sich zumindest flotter, so dass diese  nicht so auffällt. Und genau diesen kleinen Nachteil bekommt Atoll nicht an anderer Stelle kompensiert: Die Graphik ist gut, aber nicht spektakulärer als woanders. Die thematischen Bezüge sind gut, aber nicht thematischer als woanders. Die Ideen sind gut, aber nicht beeindruckender als woanders. Die Regeln sind nicht übermäßig komplex, aber auch nicht besonders gradlinig (und es hätte gerne etwas übersichtlicher dargeboten werden dürfen). Wer gerne knobelt, wird hier gut unterhalten, aber auf eine sehr vertraute Art und Weise. Selbst Solo ist Atoll nach meinem Dafürhalten nicht so gut, wie manch vergleichbares Spiel: Zu administrativ ist das Puzzle bisweilen, nicht zuletzt aber auch, weil die punkteträchtigsten Ökosysteme nicht unbedingt die spektakulärsten sind: Lieber wenige Co-Symbionten als eine echte Nahrungspyramide. Meine besten Ergebnisse habe ich ohne die Spitze der Nahrungskette produziert – eher Mikro-Biotop denn Great Barrier Reef. Das mag kleinlich klingen, ich werte es aber als subtiles Sympton dafür, dass es bei Atoll im Detail oft auf Optimierung der Nachkommastellen ankommt, denn auf große Richtungsentscheidungen.

Atoll ist mit Sicherheit keine Seegurke, sondern ein solider Vertreter der Meere. Oder in der poetischen Sprache des Spieles selbst: Ein mittlerer Fisch.

Peer Sylvester
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