Spiele mit sexuellen Inhalten sind selten und wenn dann entweder auf dem Niveau von flachen Penälerwitzen oder Dr. Sommer – Ratgebern. Nicht zuletzt deswegen wird die Kickstarterkampagne Nightshift es auf Anhieb in die Hotness auf Boardgamegeek geschafft haben: Hier hat eine ehemalige Stripperin sich ernsthaft mit dem Thema „Stripclub“ beschäftigt und ein vollwertiges Brettspiel kreiert, dass über das Niveau eines Cards against Humanity hinausgeht. Wir fanden das so spannend, dass wir uns mit der Autorin unterhalten haben.
Hi! Vielen Dank, dass du uns ein Interview gibst! Stell dich doch bitte unseren Leser*innen kurz vor!
Ich bin online unter meinem Künstlernamen „Exotic Cancer“ bekannt. Auf Instagram und TikTok habe ich mir einen Namen mit Illustrationen und Animationen gemacht, in denen es um beunruhigende und dystopische Inhalte geht. Mein Online-Portfolio habe ich gestartet als ich noch als Stripperin gearbeitet habe. Viele meiner frühen Arbeiten waren direkt von meinen Erlebnissen im Club inspiriert.
Du machst nun ein Spiel über Striptease – warum?
Erstmal mag ich halt Brettspiele sehr und ich dachte als Stripperin zu arbeiten wäre ein großartiges Setting an dem Leute Spaß haben können. Dahinter hat Nightshift auch das Ziel durch Mitgefühl und Verständnis gegen das Stigma rund um Sexarbeit anzugehen. Ich hoffe dadurch, dass ich Menschen ermutige die Perspektive von Stripperinnen einzunehmen, erkennen sie das Sexarbeit anspruchsvolle aber auch ernstzunehmende Arbeit ist.
In Spielen geht es im Allgemeinen um „agency“ (hier: Selbstwirksamkeit). Es ist sicher kein Zufall, dass in Nightshift es die Tänzerinnen sind, die in Aktion treten. Hast du mit dieser Prämisse angefangen, oder ergab sie sich während der Entwicklung des Spiels?
Es ist mit Sicherheit kein Zufall. Die Tänzerinnen waren schon immer die Protagonistinnen. Es ist der Blickwinkel aus dem ich die Clubs gesehen habe und es war ein wichtiger Aspekt, um starke Frauen in den Mittelpunkt des Spiels zu stellen.
Obwohl Tänzerinnen selbstbestimmt arbeiten, habe ich mir gut überlegt wie weit das in die Spielmechanismen übergehen sollte. Die Wahrheit ist, dass selbst eine großartige Tänzerin eine schlechte Nacht haben kann. Wenn man entscheidet welchen Gast man anspricht, ist es auch immer ein Glücksspiel wie gut es sich entwickelt. Von der ersten Version des Spiels an, hatte ich verdeckte Karten und Würfel, um diese Unvorhersehbarkeit im Club einzufangen.
Als wir zuerst vom Spiel gehört haben, stellten wir uns die Frage: wie würde man die Zielgruppe für dein Spiel beschreiben? Es scheint kein Familienspiel zu sein, aber nach dem was man hört, richtet es sich auch nicht an Menschen, die ein „schlüpfriges“ Spiel erwarten.
Nightshift richtet sich an alle Erwachsenen, die offen genug sind es zu spielen. Ich denke die eindrücklichsten Filme, Bücher und Spiele sind jene, die uns erlauben eine Perspektive einzunehmen, die weit abseits unserer eigenen Erfahrungen liegt. Ich hoffe, dass ich das Menschen bieten kann. Das Spiel ist ganz sicher nicht anrüchig oder schlüpfrig (es gibt keine Nacktheit). Es ist auch nicht reißerisch oder soll schockieren. Wir haben sehr daran gearbeitet, dass die Mechanismen möglichst nahe an der Realität sind, aber dennoch von Nicht-Spieler*innen schnell und ohne Hilfe erlernt werden können. Es ist sicherlich kein wirklich komplexes Spiel. Das Ziel ist ein tolles Gemeinschaftserlebnis zu ermöglichen. Eines aus dem hoffentlich spannende Gespräche entstehen und in denen Annahmen hinterfragt werden.
Wenn man sich die Illustrationen von Nightshift anschaut, scheint das Spiel einen augenzwinkernden Sinn für Humor zu haben. Viel wichtiger, es gibt ein vages Gefühl der Empathie gegenüber allen Figuren. Kannst du etwas dazu sagen wie die visuelle Identität des Spiels entstanden ist?
Ich habe versucht eine gute Mischung aus archetypischen Clubgästen und Teilnehmern, die etwas Humor oder interessante Mechanismen ins Spiel bringen, zusammenzusetzen. Die Farbwahl und Charakterzeichnungen sind in meinem klassischen EC-Stil, der mit Absicht eher ungeschliffen und wenig schmeichelhaft ist. Ich freue mich, dass Ihr die empathische Seite daran sehen könnt. Clubgäste kommen aus allen Teilen der Gesellschaft.
Viele Brettspielthemen haben ihre Wurzeln in etwas Echtem. Sie erlauben Spieler*innen sich vorzustellen in diese Welt einzutauchen. Wie hast du das Gleichgewicht zwischen deinen realen Erfahrungen im „adult entertainment“ (Erwachsenenunterhaltung) und der Fantasievorstellung, die das Spiel den Spieler*innen bietet, gefunden?
Es gibt so viele Perspektiven aus denen man auf Unterhaltung für Erwachsene schauen kann. Ich habe versucht sehr bewusst zu entscheiden welche ich nach vorne stelle und welche ich ausblende. Menschen haben viele negative Vorurteile was die Industrie angeht. Ich habe diese Dinge eher als Ausnahme statt als die Regel erlebt, darum habe ich sie ausgelassen.
Das Spiel beinhaltet keine Nacktheit, da das Ausziehen alltägliche Realität für eine erfahrene Tänzerin ist und nur einen kleinen Teil der Arbeit darstellt. Es steht nicht im Mittelpunkt. Ich wollte Spieler*innen, so gut es ging, dazu ermutigen über die Dinge nachzudenken über die ich während der Arbeit nachdenken würde: Wie kann ich meine Zeit hier am Besten nutzen? Oder wie kann ich diesen Besucher zu einem Stammgast machen?
Wo siehst du Sex als Thema in Brettspielen und wo würdest das Thema gern sehen?
Ich denke Sex ist ein Tabu-Thema in Brettspielen. Es wird entweder oberflächlich behandelt oder gar nicht. Während die meisten anderen Medien einen gut ausgeprägten „Ab 18“-Bereich haben, hat sich das in Brettspielen sehr viel langsamer entwickelt. In der Vergangenheit wurden Brettspiele als etwas für Kinder und Familien verstanden.
Ich glaube es gibt ein großes Potential das Thema Sexualität mit der gleichen Sorgfalt und Ernsthaftigkeit zu behandeln wie andere Themen. Ich würde es gerne so abgebildet sehen, dass es offene Gespräche darüber normalisiert und ein tieferes Verständnis von Intimität und menschlichen Beziehungen verbreitet.
Ich würde gerne mehr Akzeptanz von Sex in der Brettspielindustrie sehen und dass das Thema so behandelt wird wie in anderen Medien. Die meisten Menschen verstehen, dass auch wenn sie selbst Inhalte „nur für Erwachsene“ nicht nutzen wollen, es anderen Menschen frei steht es zu tun. Ich möchte, dass sie über Brettspiele auch so denken.
Vielen Dank für das Interview!
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