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Ist die Jury obsolet?

Weihnachtszeit, Zeit der Besinnung und der Besonnenheit. Zeit zum Nachdenken. Und bald kommt das neue Jahr, also auch Zeit zum Umdenken und Zeit das Alte zu hinterfragen. Und „das Alte“ ist eben auch die Jury zum Spiel des Jahres, die ja jetzt schwer auf die 40 zugeht (naja, die ist immer noch ein halbes Jahrzehnt  jünger als ich).

Ich war nie ein großer Jurykritiker. Ohne den Pöppel hätte ich persönlich wohl nicht so leicht zum Spielen gefunden. Ohne den Pöppel wäre es nie zum Phänomen  „German Games“ gekommen, davon bin ich überzeugt. Auch den Ruf nach verschiedenen Kategorien oder mehr Transparenz habe ich nie von mir gegeben. Was Kategorien anrichten können sieht man beim Spiel der Spiele, bei dem ein Solospiel zur Empfehlung für das Spiel mit Freunden wird. Transparenz ist gegeben, wenn einem klar ist, dass eine Abstimmung letztlich eine Abstimmung bleibt. Und das am Ende, wenn jemand gewinnt, auch jemand verlieren muss.

Es gab in den vergangenen Jahren Entscheidungen, die ich kritisiert habe, die ich nicht nachvollziehen konnte. In der Mehrheit aber, hat die Jury ihre Arbeit gut gemacht. Die kritischen Spiele waren alle dabei. Kaum ein Klassiker, den die Jury nicht bedacht hat. Fehlentscheidungen gibt es immer und sie bleiben Einzelfälle. Der Erfolg gibt der Jury recht: Nach wie vor kaufen Hunderttausende allein in Deutschland das Spiel mit dem Pöppel. Jedes Jahr aufs neue.

Und genau das ist vielleicht ein Problem: Die Jury ist zu erfolgreich. Sie hat ihr Ziel erreicht: Brettspiele sind etabliert, es gibt eine Brettspielszene und einen Brettspielmarkt in Deutschland. Wenn man aber sein Ziel erreicht hat, sollte man sich ein neues stecken oder aufhören -sonst besteht die Gefahr zum Ballast zu werden.

Als die Jury begann gab es kaum mehr als ein preiswürdiges Spiel im Jahr. Vielleicht waren es auch mal zwei, aber dennoch scheinen die Preisträger der 80er Jahre im Rückblick als ziemlich logisch. Damals war es wichtig, dass dem Käufer bei der Kaufentscheidung geholgen wurde: Seht, dieses Spiel ist wirklich gut! Das ist was neues! Das lohnt sich für Familien!

Und heute? Heute ist die Anzahl der Spiele unüberschaubar geworden. Dabei ist die Qualität aber ebenfalls mitgestiegen. Einen totalen Flopp wird man kaum bekommen. Ob ein Familienvater Dixit kauft oder eines der anderen Spiele, die man so im Kaufhaus findet und auf denen nicht „Hasbro“ steht, ist fast schon egal. Die Jury hat das erkannt und versucht der Spieleflut mit zahlreichen Listen, Nominierungen und Sonderpreisen beizukommen. Doch das ist letztlich alles Tand: So lange es den einen Hauptpreis gibt, wird sich der unbedarfte Spielkäufer daran orientieren und alles andere außen vor lassen. Es gibt nur einen Gewinner und die anderen Spiele sind alles Verlierer – so zumindest die Wahrnehmung, gleich was für tolle Listen es gibt. Das merkt man schon daran, dass selbst Vielspieler, die es besser wissen müssten, eine Nominierung ohne Titel als Fehlentscheidung einschätzen. Diese Fokussierung auf einen Hauptpreis ist bei der momentanen Spieleschwemme aber grob fahrlässig – zu viel Gutes bleibt auf der Strecke. Aus einem Strom hervorragender Spiele wird eines fast schon willkürlich herausgepickt.  Und damit erreicht die Jury letztlich das Gegenteil von dem, was sie ursprünglich wollte.

Ironischerweise sieht man den Effekt ganz deutlich beim Kinderspielpreis: Hier ist eine Führung noch notwendig, hier ist es noch nicht egal was man kauft – dass der Kinderspiel den Hauptpreis in Punkto Verkaufszahlen mittlerweile überholt hat ist kein Zeichen dafür, dass eben mehr Leute Spiele für Kinder statt für Familien suchen, sondern folgt aus den eben geschilderten Argumenten.

Was ist aber die Konsequenz aus diesen Überlegungen (sofern man die enthaltenen Überzeugungen denn teilt)? Der Weg über mehr Listen und mehr Nominierungen und mehr Sonderpreisen ist jedenfalls falsch, denn damit schafft man schlechtestenfalls nur mehr Verlierer und fördert bestenfalls die Verwirrung: Welcher Pöppel ist denn nun der Richtige? (siehe auch hier). Mindestens ebenso verkehrt ist die andere Überlebensmaßname der Jury: Durch Veränderung der Kriterien (z.B. durch Verringerung des möglichen Anspruchsniveau) den Schwall zum Rinnsaal auszudünnen versuchen. Erstens wird das wohl kaum funktionieren – es gibt einfach zu viele gute Spiele – zum anderen erreicht man damit wenns schlecht läuft, dass die Verlage mitziehen und sich dem neuen Niveau anpassen (Ein Hauptpreis bringt zu viel Geld), dass verringert aber das Faszettenreichtum der Spieleszene und nivelliert zum anderen den ursprünglichen Effekt: Irgendwann haben wir wieder „zu viele Spiele“ und dann müssten die Kriterien weiter eingeschränkt werden usw. Ein Teufelskreis…

Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder weiter wie bisher, auch wenn alles eigentlich schon so ist, wie es sein soll. Das SdJ wird als großer Wirtschaftsfaktor bestehen bleiben, aber eine Perspektive, ein Ziel, eine Utopie ist nicht mehr zu erkennen. Und die Jury muss sich immer neue Möglichkeiten ausdenken, wie sie die Verlierer weniger als Verlierer darstellen möchte.

Oder sie ändern grundlegend ihre Ausrichtung. Hundertausende von Weihnachtskäufern wird das verwirren – aber verzichten die dann auf den Spielekauf? Wohl kaum. Irgendwas werden sie schon kaufen, nur halt nicht mehr so konzentriert. Was den Verlagen vielleicht sogar recht sein könnte, denn der Lottogewinn des SdJs ist ja nur einem vergönnt, der den anderen Verlagen Käufermasse entzieht. In so einer Situation könnte eine neue Jury („neu“ im Sinne einer neuen Ausrichtung) Lotse sein – nicht durch einen Hauptpreis, sondern um mehrere besonders empfehlenswerte Spiele hervorzuheben. Gerne mit Sternchensystem für den Schwierigkeitsgrad, wenns denn gewünscht ist.

Utopie? Empfehlenswert? Keine Ahnung! Das sind nur ein paar Adventsgedanken von mir… (Und weit genug weg von jeglicher Preisverleihung um diese Gedanken nicht auf spezielle Titel zu beziehen).

ciao

peer

Peer Sylvester
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4 Kommentare

  • Interessanter Gedanke! Aber ob dies durchsetzbar ist angesichts der allgemeinen Gier nach dem Superstar? Mutig wäre es, und eine andere Kommunikationsstrategie gehört dann wohl auch dazu. Ich bin gespannt …
    Christian

  • Ich glaube, zunächst sollten wir dankbar sein, dass das Spiel des Jahres so gut funktioniert. Natürlich ist das nur ein erster Wegweiser, Insider werden sich nicht nur das Spiel des Jahres kaufen, aber das Spiel des Jahres ist eine Einstiegsdroge, ein Wegweiser und erleichtert den normale Käufern in den Wust der Neuentscheidungen die Entscheidung, auch wenn diese Ausschließlichkeit nicht so gerecht sein mag.
    Ich glaube nicht, dass eine Liste mit mehreren Spielen so viel Aufmerksamkeit in den Medien erzielen würde. Es gibt doch für die Journalisten nichts spannenderes als ein Wettbewerb mit Gewinnern und Verlierern, dann kann man sich darüber auslassen, ob es eine kluge Entscheidung ist oder nicht. (Meistens werden auch in den Artikeln die anderen Spielen auf der Enpfehlungsliste vorgestellt, die eben nicht gewonnen haben.)
    Für die anderen Spiele muss man sich andere Möglichkeiten überlegen, damit sie ihre Kundschaft bekommen.