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Reise zum Mittelpunkt des Buches

Gerade habe ich Jule Vernes „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ gelesen. Und ich muß sagen: Ich bin ziemlich enttäuscht! Ich habe andere Bücher von Verne gelesen und Stil und Wissenschaftlicher Background und (ganz neutral betrachtet) auch die Story waren auf dem Niveau seiner anderen Bücher. Daran lag es also nicht. Der Grund war vielmehr, dass ich etwas ganz anderes erwartet hatte: Als Kind/Jugendlicher habe ich mehrmals den gleichnamigen Zeichentrickfilm gesehen und anscheinend hat sich der verantwortliche Filmemacher aus Gründen der Dramaturgie zahlreiche Freiheiten erlaubt. Und gerade die Dinge, die der Filmemacher sich ausgedacht hat, sind mir in Gedächnis geblieben. Zufälligerweise waren es auch gerade die Dinge, von der ich dachte, dass sie gute Spielelemente bieten könnten. Meine ursprüngliche Idee war es nämlich ein Spiel aus der Romanhandlung rauszudestillieren.
Jetzt habe ich das Buch aber gelesen und stelle fest: Keine rivalisierende Forschungsgruppe, keine Angriffe von Spinnen und kein Saurier-Ei, dass bei Romanende als Beweis für die tatsächlich entdeckten Saurier herhalten kann. Stattdessen besteht ein Gutteil des Buches aus dem ereignislosen wandern, dem Aufstellen von wissenschaftlichen Hypothesen und den langen Verzweiflungs-Tyraden des Protagonisten. Nicht so langweilig wie es klingt, aber deutlich ereignisnisärmer als gedacht.
Natürlich ist der Grund klar: Was sich noch ganz ansprechend liest, würde als Film nicht wirken. Da muss mehr Action her! Film und Buch sind nun einmal unterschiedliche Medien und das Herausdestillieren einer guten Filmhandlung aus einer guten Romanhandlung ist eine Kunst für sich (es gibt gute und schlechte Beispiele für Romanumsetzungen).
Dasselbe gilt natürlich auch für Spielumsetzungen. Eigentlich sogar noch fast im größeren Maße – will man die Regeln nicht explodieren lassen, muss in der Regel ein Aspekt des Buches exemplarisch rausgesucht werden, um den es dann gehen soll. Leider gilt meistens, dass sich Spiele weniger Freiheiten nehmen dürfen als Filme (hab ich jetzt zumindest subjektiv das Gefühl) – entweder benutzen sie den Film ganz abstrakt (Wie die HdR-Kartenspiele) oder es muss die Romanhandlung drin vorkommen (Wie beim Herr der Ringe Spiel). Die Frage wäre z.B. ob ich guten Gewissens ein Spiel basierend auf der „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ erfinden kann, dass die wesentlichen Aspekte des Filmes aufgreift, auch wenn diese Aspekte in dem Buch gar nicht vorkommen. Würden sich die Jules-Verne-Fans beschweren? Würde es jemand merken? Ich weiß es nicht.

Im Prinzip läuft wieder alles auf die alte (und hier auch schon wiederholt angesprochene) Diskussion zwischen Thema und Spielumsetzung. Wenn ich ein Thema habe: Wie weit muss die Umsetzung gehen? Muss ich die wesentlichen Handlungsstränge und Wendepunkte erfassen oder reicht einer? Reicht vielleicht sogar das „Lesegefühl“? Die Fragen sind aktueller denn je, denn Spieleverlage -allen voran Kosmos- haben die Buchumsetzung entdeckt. Galt früher „Hüte dich vor Lizenzprodukten!“ sind heute viele ordentliche Buchumsetzungen auf dem Markt. Besonderen Anteil daran hat Kai Haverkamp, der mittlerweile sowas wie ein Spezialist für Buchumsetzungen ist. Gerade bei Kinderbüchern versteht er es, die Essenz des Buches zu erfassen, mit dieser zu arbeiten und so eine spielbare Umsetzung eines Buches anstelle einer unspielbaren „Nacherzählung“ zu kreiren. Als Beispiel wäre „Weißt du eigentlich wie lieb ich dich hab“ zu nennen. Eigentlich hat das Buch nichts, mit dem man arbeiten könnte, geht es doch nur um das gegenseitige (leicht kitschige) Schulterklopfen zweier Karnickel. Doch Haverkamp hat gemerkt: In den Dialogen geht es um Entfernungen, also hat er ein Entfernungsratespiel draus gemacht. In der vorliegenden Umsetzung passt das zum Buch und er fängt die wesentliche Aussage ein.
Doch die „wesentliche Aussage“ ist nicht immer einfach. Ob er sie bei „Pippi Langstrumpf“ gefunden hat, weiß ich nicht, hab aber meine Zweifel. Außerdem wird es bei erwachsenen Büchern dann wieder schwieriger, denn Erwachsene sind anspruchsvoller. Ein Aspekt reicht da nicht mehr, Erwachsene wollen die Handlung erleben! Und dann wirds schwierig: Was lasse ich weg (muss ich zwangsläufig, denn Bücher sind zu lang für 1:1 Umsetzungen), was ändere ich ab (auch das muss sein, denn trotz „Handlungsnachbau“ soll das Spiel ja nicht vorhersehbar sein) und was kann ich aus spieltechnischen Gründen dazutun, ohne das es von den Fans Ärger gibt?
Wer die Fragen beantworten kann, ist schon einen ganzen Schritt weiter. Doch bevor dieser getan werden kann muss man sich fragen: Welches Buch kann ich überhaupt adäquat umsetzen? Bei neuen Büchern kommt noch ein „Risikofaktor“ hinzu: Ein potentiell interessierter Verlag muss auch die Lizenz bekommen. Wenn die Vorlage zu dicht am Buch ist und die Lizenz kommt nicht (wie bei Dune gerade geschehen), gibt es Probleme für den Autoren. Das Problem haben Klassiker nicht.

Ich dachte „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ wäre ein Buch, das gut geeignet wäre, um als Spiel umgesetzt zu werden (Anders als „Per Anhalter durch die Galaxis“, von dem ich glaube, dass jede Spieleumsetzung enttäuschen muss, da ich mir nicht vorstellen kann, wie ein Spiel den schrägen Humor Adams einfangen will): Eine lineare Handlung, eine Art „Wettlaufspiel“ und ein unverbrauchtes Thema. Jetzt wo ich es gelesen habe bin ich mir nicht so sicher: Zu wenig interessantes passiert im Buch. Na mal sehen.
Übrigens würde mich auch eine Spielefassung von „Moby Dick“ reizen – aber das Buch selbst schreckt mich ab, zumal es extrem langatmig und -weilig sein soll. ;-) Und dann weiß ich nicht, ob „Walfang“ heutzutage noch ankommt. Andererseits: Auf einem sehr abstrakten Level, wäre es schon machbar, denke ich.
Wem fallen noch weitere Bücher ein, die eine Spieleumsetzung verdienen und bei denen eine entsprechende Bearveitung auch möglich ist? Klassiker sind bevorzugt.
—-
Nochmal gespielt: Gipsy King. Beim zweiten Mal gefiel es mir nicht mehr ganz so gut, es ist mir zu sehr durchgerechne. Aber vielleicht war ich auch nicht in Stimmung. Auf jeden Fall ist es schnell mal gespielt, also wird es so oder so nochmal auf den Tisch kommen.
Auch Glik von Portal konnte seine zweite Partie verbuchen und ich bin nach wie vor sehr angetan von diesem abstrakten Spiel! Ein bisschen wie Rasende Roboter, aber es spielt halt jeder für sich. Nicht so furchbar verkopft wie andere abstrakte Zweier, aber durchaus strategisch. Sehr schön! Ich muss jetzt unbedingt mal die Mehrpersonenvariante testen.
Race to the Galaxy hab ich auch ausprobiert und finde es klasse! Ich bin eigentlich kein Fan von Spielen, die es in ähnlicher Form mal gegeben hat (Race ist ja ursprünglich als Puerto-Rico-Kartenspiel gedacht gewesen) – so hat mich Phönizia nicht interessiert, weil ich Outpost habe. Aber race gefällt mir sowohl thematisch als auch spielerisch deutlich besser als SJ, da die Möglichkeiten fazettenreicher sind und sich nicht so schnell festgefahrene Strategien einschleifen können. Allerdings ist die Einstiegshürde deutlich höher – eine Partie ist definitiv zu wenig und ich lechze nach mehr…

ciao
peer

Peer Sylvester
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5 Kommentare

  • Moin Peer,
    ich bin gerade mal meine Bücherregale abgelaufen (nur kurz überflogen) und spontan sind mir direkt ein paar Bücher insAuge gesprungen, die ich mir für eine Spielevorlage denken könnte:

    Die Edda: Sicher, es gibt schon ein paar Spiele, die die germanische oder nordische Mythologie aufgreifen. Aber ich hatte noch keines in der hand, wo ich das Gefühl hatte, ja, da lebt die Mythologie.

    Der Medicus: Grandioses Buch. Ich kann jetzt nicht direkt sagen, was sich daraus für enie Umsetzung als Spiel eignen würde. Aber ich denke, da ließe sich etwas finden.

    Die Familie Bonaparte: Ein historischer Roman um Napoleon und seine Familie. Es gibt zwar schon einige Spiele aus der Zeit. Aber man könnte ja eine Art Mehrheitenspiel daraus machen, in der die Spieler in den Rollen von Familienmitgliedern versuchen, Napoelons Gunst zu erlangen, um die besten und angesehensten Posten in seinem Reich zu erlangen. Minister hier, König da. Heirat mit…

    Lycidas: Vielleicht das beste Fantasybuch der letzten Jahre. Fantastisch, was für eine Welt Marzi da entwickelt mit viele skurrilen Gestalten und einer Metropole unter dem London der heutigen Zeit. Hier könnte man sicher sehr schön von der geschichte aus dem Buch abrücken und die Welt, die sich aufspannt aufgreifen. Interessant hier: in der uralten Metropole (dem London unter unserem London) läuft die Zeit anders ab, was sicher für interessante Spielmechanismen taugt.

    So viel erstmal von mir :-)

    Andreas

  • Danke für die Vorschläge. Lycidas kenne ich jetzt nicht, aber die Geschichte mit dem doppelten London erinnert mich an Neil Gaimans „Neverwhere“ – in sehr cooles Buch, das vermutlich auch eine Buchumsetzung verdient hätte.
    Dabei fällt mir gerade ein sehr guter Film ein, zu dem es ein sehr gutes Computerspiel gab: Jim Hensons Labyrinth. Schade dass der Film so alt ist – der hätte ein gutes Spiele ergeben können :-)

  • Moin Peer,
    wenn Du weiterhin mit dem Gedanken spielst, aus dem Roman ein Spiel zu machen – denk‘ daran, dass demnächst eine neue Verfilmung ansteht. Und rate mal, welcher Verlag schon bastelt. Nicht, dass Deine Mühe am Ende umsonst ist…
    Viele Grüße,
    Frank