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Tiefenrausch

Verlag: Noctis Verlag
Autoren: Lukas Setzke, Martin Student, Verena Wiechens
Spieleranzahl: 1-5
Alter: ab 14 Jahren
Spieldauer: 3-4 Stunden (laut Schachtel, wir haben knappe 3 Stunden gebraucht)

In der Rezension zum Vorgänger von Tiefenrausch schrieb ich, dass Vendetta nach langer Zeit mal wieder ein Krimispiel war, dass kompetent gemacht war. Da kann es natürlich passieren, dass ich es allein wegen der fehlenden Konkurrenz etwas höher bewertet habe. Diese These lässt sich jetzt mit Tiefenrausch überprüfen – gleiche Macher und zwischen den beiden habe ich nur ein paar Sherlock-Fälle innerhalb des Genres gespielt.

Wie auch bei Vendetta, verkörpert man auch bei Tiefenrausch nicht etwa den Arm des Gesetzes sondern, äh… den Bein des Ungesetzes oder so; Bei Vendetta löste man einen Fall als Mafiosi, um dem Paten zu dienen, hier ist man ein Drogenlord, der den Fall lösen möchte, bevor Interpol auftaucht und die eigenen Machenschaften gefährdet. Auch wenn mir der Rollenwechsel nach wie vor gefällt: Das ist hier doch noch etwas konstruierter als im ersten Teil. Ich muss aber gestehen, dass ich ob des Settings leichte Bauchschmerzen habe; „Mafiosi in New York“ – das war inhaltlich wie optisch klar im Filmklischee-Bereich á la Der Pate. Bei „Drogendealer in der Südsee“ bin ich unsicher, ob das jetzt ebenso eine Film-Schablone ist oder doch schon Vorurteil. Generell ist es nicht immer leicht einzuschätzen, wann ein Spiel problematische Vorurteile reproduziert und wann es sich so offensichtlichen Klischees bedient, die eher dazu dienen, eben jene Trennung zwischen Realität und Setting schärfer stellen zu lassen. Auf der anderen Seite, haben die Figuren in Sachen Diversität gegenüber dem ersten Fall deutlich dazugewonnen. Auch ist es durch die Verbrecherrolle, die man schlüpft, relativ klar, dass hier nichts verherrlicht werden soll – es wird deutlich, dass der Rollenwechsel stattfindet, damit man sich nicht mit ethischen Fragen der Ermittlungsarbeit (wie der Notwendigkeit von Durchsuchungsbefehle) belasten muss.

Der Fall selber spielt, wie oben angedeutet, an einer Südseeinsel und dreht sich um einen Popstar. Ob die Ähnlichkeiten mit Rhianna/Barbados nur in den Köpfen unserer Spielerunde existierte, vermag ich nicht zu sagen. Diese Rolle erklärt auch die sexualisierte Darstellung auf dem Cover, die genau an das Musikbusiness erinnert.  Was nun genau passiert ist und so, möchte ich nicht spoilern – genau das herauszufinden, ist ja das Ziel. Ähnlich wie bei Vendetta ist auch Tiefenrausch Kartengesteuert, wobei die Spielenden relativ viele Entscheidungen treffen müssen, die durchaus beeinflussen, was sie wann zu sehen bekommen. Auch Internet und Telefon werden eingebunden, sogar ein Musikvideo wurde produziert. Das ist alles schon sehr solide und stimmig. Zwar hat Tiefenrausch nicht ganz die freie Ermittlungsarbeit wie etwa Das Feuer von Adlerstein, aber es ist schon sehr viel immersiver als normale Escape Rooms – man ermittelt schon recht konkret. Die Variabilität der Rätsel ist zudem wieder recht hoch. Vendetta fand ich vom Handlungsbogen her etwas interessanter und klarer strukturiert, aber da reden wir schon über Nachkommastellen der (bei uns nicht vorhandenen) Wertung. Der Schwierigkeitsgrad ist zudem recht angenehm; das Sternesystem ist sehr großzügig und daher motivierend (obwohl wir den leisen Verdacht hatten, dass es sehr schwer ist, nur die Hälfte der möglichen Punkte zu nicht zu bekommen). Anders als bei Crime Storys muss man zudem keine angst haben, wirklich essentielle Infos zu verpassen – man macht es sich ggf. nur ein bisschen schwerer oder leichter, wenn man eine ungünstige Option wählt. Ich habe allerdings auch hier das Gefühl, dass die Entscheidungen bei Vendetta noch etwas mehr Gewicht hatten – weniger für den Hauptfall, aber für die Nebenstorys schon.

Was ist jetzt also aus meiner oben stehenden These geworden? Nun, sowohl Vendetta als auch Tiefenrausch sind sehr solide Krimipuzzle. Insbesondere merkt  man, dass Story und Rätsel eine Einheit bilden und nicht nebeneinander herlaufen oder dass die Story gar nur Vehikel für abstrakte Logikrätsel sind. Nach wie vor, bin ich von dem System sehr angetan und auch wenn mir Vendetta ein μ besser gefällt, kann ich doch beide empfehlen. Man kann die Spiele sogar weitergeben, wenn man nichts mit Notizen vollmalt – was will man mehr?

Ich jedenfalls freue mich auf den dritten Teil.

Peer Sylvester
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