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Liebe & Intrige

Verlag: Goldsieber Spiele
Autoren: Ellen Maria Ernst / Kira Verena Samol
Spieleranzahl: 2-4
Alter: ab 10 Jahre
Spieldauer: ca. 50 Minuten

Zielgruppe.

Kein anderes Wort wurde seit Wolfgang Kramers Stellungsnahme vor einigen Monaten so diskutiert, wie das Wörtchen „Zielgruppe“. Und kein anderes Wort ist in der kommenden Rezension von Goldsiebers Liebe & Intrige wichtiger.
Bereits die rosa Schachtel ruft aus „Hier, ich bin ein Spiel, dass sich nicht an die Spieleszene richtet! Ich bin was besonderes! Ich richte mich an Frauen!“
So zumindest die Theorie der Autorinnen, die in das Seelenleben des weiblichen Geschlechts zweifellos mehr Einblick haben, als der maskuline Rezensent.
Daher zäume ich das Pferd einmal von hinten auf und definiere die Zielgruppe von Liebe & Intrige anhand dessen, was das Spiel zu bieten hat:

1. Die Zielgruppe mag Romane von Jane Austen oder vergleichbares
Das Thema ist eindeutig: Ende des vorletzten Jahrhunderts wollen die besorgten Eltern ihre drei Töchter verheiraten. Das muss natürlich in der richtigen Reihenfolge geschehen (bevor die hässliche Tusnelda nicht unter der Haube ist, kann die mitreißende Amelie keinen Mann finden) und natürlich haben die Herren besondere Ansprüche – desto adliger der Mann, desto höhere. Und der Ruf kann schon leiden, wenn die angeblich so tugendhafte Tochter mit Casanova in die Kiste hüpft oder sich in der Kneipe das Hirn wegtrinkt. Da helfen nur Besuche im Theater oder die Hilfe bei der Armenspeisung um das ramponierte Image wieder aufzupolieren! Und wo Liebe ist, darf die Intrige natürlich nicht fehlen, schließlich sind bei ersterer ja alle Waffen erlaubt. Entsprechend darf man seinen lieben Mitspielerinnen schon mal die Männer abspenstig machen oder sie sogar mit Pocken infizieren! Also Sehnsucht, Kalkül und Schicksalsschläge wollen gemeistert werden – ganz so wie bei Stolz und Vorurteil.
Fazit: Wer jetzt schreiend die Flucht ergreift, um nach Rittern, Raketen oder Bohnenfeldern Ausschau zu halten, kann nicht zur Zielgruppe dieses Spieles gehören. Wer dagegen denkt: „Na, das ist doch mal ein Thema, das mich anspricht!“, der darf weiterlesen.

2. Die Zielgruppe stellt Thema über Mechanik
Wer jetzt fragt: „Wie geht das Spiel überhaupt?“ Der ist schon einmal grundfalsch bei diesem Spiel. Die Mechaniken sind Nebensache (wie eigentlich auch der Spielsieg, wenn man’s genau nimmt). Nein, hier geht es darum, sich gegenseitig mit den zweifelhaften Tugenden und Praktiken der Töchter zu ärgern, über eigene Schicksalsschläge zu lamentieren und sich über die der Gegner lustig zu machen. „Table-Talk“ nennen die Amis das und die haben das thematische Spiel ja quasi erfunden. Und Table-Talk wird durchaus gefördert: „Ätsch deine hässliche Tochter, bekommt nie jemanden!“, „Ah ja, mit Casanova im Bett erwischt – Typisch!“, Ja, gelacht und gescherzt werden darf man schon bei Liebe & Intrige.
Fazit: Nur wer die Geschichte in einem Spiel liebt, kann zum nächsten Absatz übergehen. Wer jedoch meint, Zug um Zug sei das Nonplusultra in Sachen Simulation, darf sich den Rest dieser Rezension sparen.

3. Die Zielgruppe will nicht (zu viel) denken
„Bitte kein Spiel wo man nachdenken muss!“ hört man gelegentlich. Meistens wird der Satz in Verbund mit „Nichts zu kompliziertes!“ geäußert. Ertönen diese Sätze so springt Liebe & Intrige auf und ruft „Hier bin ich! Nehmt mich! Ich bin das Ziel eurer Gelüste“ Und das nicht zu Unrecht: Die Regeln sind glaskar und wirklich nicht zu kompliziert: Setzen. Eigenschaften verbessern. Manchmal würfeln oder eine Karte spielen. Karte ziehen. Nächster Spieler. Das ist in drei Minuten begriffen. Und in 5 Minuten hat man alle Strategien verinnerlicht. Denn so richtige Strategien gibt es eigentlich gar nicht. Die Möglichkeiten sind a) Woanders hingehen, seine Eigenschaften verbessern und hoffen, dass dort ein Mann liegt, den man will oder b) Woanders hingehen und versuchen jemand anderem den Mann auszuspannen. Die einzige andere Frage wäre: Nehmen was kommt oder sich auf die wirklich edlen (und anspruchsvollen) Herrschaften konzentrieren?
Fazit: Wer gerne plant, geschickte Winkelzüge ausbrütet, langfristige Strategien hegt und vom ersten Moment an auf Sieg spielt, der sollte weitergehen, hier gibt es nichts für ihn zu sehen. Nur wer aus dem Bauch heraus spielt, wem Gedeih oder Verderben egal ist, solange er irgendwie beschäftigt wird und wer auf größere Spielkontrolle verzichten kann, kommt überhaupt als Zielgruppenmitglied in Frage.

4. Die Zielgruppe sieht das Brettspiel nur als Plattform für kultivierte Gespräche
Warum spielt man eigentlich, wenn die strategische Herausforderung, also der Wettkampf an sich, nicht als Motivation in Frage kommt? Natürlich der Unterhaltung wegen! Auf der Unterhaltungsebene bietet Liebe & Intrige den bereits erwähnten „Table-Talk“ und die sich daraus ergebenen Gespräche. Und Gespräche werden durchaus gefördert, denn so richtig ablenkend wirkt das Durchführen des eigenen Zuges nicht wirklich. Hier ein bisschen setzen, optimieren, Karte vorlesen – Das hat eher den Charakter einer Beschäftigung als einer geistigen Herausforderung und geht bald in Routine über, wirkt sogar ab der zweiten Tochter etwas repetiv (Ich hätte mir – wo ich gerade dabei bin – übrigens abwechslungsreichere Aktionskarten gewünscht. Gibt das Thema da wirklich nicht mehr her? Und was sollen die „Siegpunktkarten“? Die sind wirklich überflüssig! Oder verzichtet tatsächlich jemand mal darauf sie zu spielen?). Insofern kann man sich durchaus unterhalten, nach dem Motto „Was wollte ich sagen, bevor ich meine Karten sortiert habe? Ach ja, also die Else, die hat gestern wieder…“ Und da sich die Spannungsphasen im Spiel rar machen, ist so eine verbale Ablenkung hier tatsächlich nicht Ärgernis sondern Programm.
Fazit: Sie grübeln gerne über ihren Zug? Soziale Kontakte bereiten Ihnen Übelkeit? Das Spiel soll für sich stehen und auch ohne externen Ablenkungen Spaß machen? Ich weiß nicht, was Ihnen Ihr Arzt oder Apotheker empfiehlt, wir empfehlen Ihnen jedenfalls NICHT Liebe & Intrige.
Sie betrachten Spiele als Mittel zum Zweck? Sie wollen sich eigentlich unterhalten und suchen etwas, mit denen sie ihre Hände beschäftigen wollen, wollen aber nicht mit dem Rauchen anfangen? Liebe & Intrige könnte genau auf Ihrer Wellenlänge liegen! Bleiben Sie dran!

5. Die Zielgruppe kennt keine anderen Spiele
Um Wolfgang Kramer zu parodieren: Leute, die keine Spiele kennen, halten bestimmte Spiele für die besten Spiele, die sie kennen. So geht es auch „Liebe & Intrige“ „Unfassbar was heute alles möglich ist!“ mögen Spielemuffel ausrufen, die ihren letzten spielerischen Kontakt mit Kinderlotto hatten. Tatsächlich muss man den Autorinnen bescheinigen, auf die üblichen Mechanismen wie „Würfeln, wie viele Felder man vorwärts darf“ verzichtet und durchaus einige moderne Mechanismen verwendet zu haben. Dass unterm Strich das Thema das einzig originelle an diesem Spiel sein dürfte, stört die Zielgruppe nicht, denn die kennt die zahlreichen Vorbilder nicht. Zudem: Siehe Punkt 2.
Fazit: Sie benötigen beim Umzug einen ganzen Möbelwagen nur für ihre Spiele? Sie können ohne nachzudenken 10 Spiele nennen, mit denen sie ihre nichtspielenden Nachbarinnen zu begeisterten Spielerinnen konvertieren können? Wieso haben sie überhaupt bis hierher gelesen?
Sie halten Zooloretto für eine Vormittagssendung und wundern sich, dass es Leute gibt, die mehr als 3 Spiele besitzen, wo sie doch nicht einmal Monopoly jemals zu Ende gespielt haben? Werfen Sie mal einen Blick auf Liebe & Intrige, es wird sie überraschen! Und – nur aus Neugier – wie haben sie diese Seite entdeckt?

Ob das Experiment „Liebe & Intrige“ für Goldsieber aufgeht? Ich weiß es nicht. Als Geschenk für die nichtspielende Liebesromanleserin ist es dank der liebevollen Aufmachung allemal geeignet. Ob und wie oft es dann allerdings tatsächlich auch gespielt wird vermag ich aber beim besten Willen nicht zu sagen.

Peer Sylvester
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2 Kommentare

  • Erwähnte ich, daß meine ersten Töchter Kira und Verena heißen werden? Mein Gott, ist die hübsch. Ach ja, und Liebe&Intrige spiele ich auch ziemlich gerne, wenngleich ich nicht alle o.g. Kriterien erfülle… ;-)