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Die Weiße Burg

Verlag: Devir / Kosmos
Autoren: Shei S. & Isra C.
für 1-4 Spieler*innen
ab 12 Jahren
Dauer: 50-70 Minuten
#Spiel23

Vor etwa zwei Jahren sorgte Die Rote Kathedrale in Kreisen der Vielspieler*innen für Aufsehen. Es war eine kleine, handliche Schachtel mit vielen Komponenten und einem unerwartet anspruchsvollen Design. Mit Die Weiße Burg scheint so etwas wie der geistige Nachfolger des Spiels erschienen zu sein. Die Schachtel ist ähnlich klein und prall gefüllt. Aber auch das Regeldesign ist bemerkenswert. Es ist in seiner Kompaktheit irgendwo zwischen eleganter Verzahnung und undurchsichtiger Verknotung angesiedelt.

Würfel aktivieren Aktionen und bestimmen ihre Kosten

Wie so oft zeichnen sich die Wesenszüge des Spiels bereits in der Anleitung ab. Dort werden die Kernaktionen nicht unbedingt erklärt als in ihrer Ausführung dargelegt. Das ist ein dezenter, aber für das Erlernen und Verstehen des Spiels, enorm wichtiger Unterschied. Denn es ist deutlich einfacher ein Spiel zu begreifen, dessen Aktionen man sowohl in ihren Auswirkungen als auch ihrem Zweck klar benennen kann. Man mag zwar wissen, dass man einen Würfel von der linken Seite des Spielbretts nehmen muss, um diesen dann auf ein bestimmtes Feld zu platzieren und im Anschluss wahlweise Ressourcen zu nehmen, auszugeben oder Spielsteine auf dem Brett zu platzieren. Aber ohne den Zweck hinter diesen Aktionen erfasst zu haben, irrt man eher durch den Spielverlauf. Entsprechend fühlt sich Die Weiße Burg gerade in den ersten Partien eher wie eine Experimentierkasten an, statt wie ein engmaschiges Spielfeld voller Anreize, welches es klug zu manövrieren gilt.

Oft ist nicht genau erkennbar warum eine Aktion vorteilhafter ist als die andere. Allgemeiner gesagt, es ist nicht immer abzusehen welche Würfelaktion einen taktischen und welche einen strategischen Vorteil mit sich bringt. Diese Unterscheidung lässt sich in Die Weiße Burg allein durch Spielerfahrung, d.h. wiederholtes Exerzieren von Partien machen. Es ist eben diese Unbestimmbarkeit, die ein flüssiges Spielen in manchen Spielgruppen verhindert. Die Weiße Burg steht damit genau an der Grenze zwischen einer reizvollen Knobelei, die ihre Geheimnisse nur den diszipliniertesten Spieler*innen eröffnet, und einer pikierend umständlichen Anhäufung verschiedener Spielreize, die sich gegenseitig im Weg zu stehen scheinen.

Bestimmte Aktionen sind nur mit bestimmten Würfeln möglich

Um es klar zu sagen, Die Weiße Burg zu spielen oder irgendwann so gut zu verstehen, dass man es flüssig spielen kann, ist Arbeit. Hat man sich durch das Regelwerk gekämpft, wird man am Tisch öfters in den starren Blick des Denkers verfallen, während man rechnet, knobelt und die Kombinationen auf dem Tisch zu evaluieren versucht.

Die Weiße Burg ist ein umständliches Spiel. Das komprimierte Design mag sich visuell ansprechend präsentieren, aber das Spielerlebnis ist durchaus mühsam. So wie es mühsam ist täglich um 6 Uhr morgens joggen zu gehen. Bei einigen Menschen mündet dieser Lauf am Ende in einem Endorphinfeuerwerk, der sie durch den restlichen Tag (oder zumindest den restlichen Morgen) tragen wird.

Leider gehöre ich, wie manche andere Menschen auch, nicht zu diese Art Morgenjogger. Mir stellt sich oft eher die Frage, warum ich mir diese Mühe überhaupt machen sollte. Denn es gibt so viele andere Möglichkeiten, um ähnlich viel Freude zu haben. Ohne dass ich mir Schritt für Schritt die Informationen auf dem Spielbrett herleiten und im Kopf zusammensetzen muss.

Die meiste Zeit verbringt man in Die Weiße Burg damit, sich seinen Zug vorzustellen, weiterzudenken und gelegentlich auf ein Kosten-Nutzen-Verhältnis herunterzurechnen und mit anderen Zugoptionen zu vergleichen. Sobald man eine Entscheidung gefällt hat, ist die eigene Teilhabe am Spiel für diesen Zug abgeschlossen. Im weitesten Sinne erinnert das etwas an Schach. Nur, dass sich Schach deutlich übersichtlicher präsentiert. Dafür sind die Spielkomponenten in Die Weiße Burg schön bunt.

Noch mehr Aktionen, Verkettungen und Kombinationen gibt’s auf dem Tableau

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es innerhalb der ganzen komprimierten und kompakten Designentscheidungen einen interessanten spielerischen Kern gibt. Mit jeder Partie steigt die Vertrautheit der einzelnen Kombinationsmöglichkeiten. So wird das anfänglich zähe Spiel immer geschmeidiger, je geübter man darin ist. Landet das Spiel nach etwas längerer Zeit wieder auf dem Tisch, fällt aber umso mehr auf wie labyrinthartig man vorgehen muss, um sich Punkte zu holen.

Das freiwillige Überwinden unnötiger Schwierigkeiten wird gerne als Wesenszug des Spielens kolportiert. Wenn dem so ist, dann wäre Die Weiße Burg in jeder Hinsicht ein voller Erfolg. Aber dieses leicht süffisante Bonmot ignoriert das Bedürfnis von Spieler*innen auch zur Entspannung und gegenseitigen Erheiterung spielen zu wollen. Dafür ist Die Weiße Burg weniger gut geeignet.

Mit diesem Spiel wird eine sehr bestimmte Nische bedient. Spieler*innen, die sich daran erfreuen, wenn ein Design ihnen etwas Mühe und Aufwand abverlangt, werden Die Weiße Burg zu würdigen wissen. Für alle anderen bleibt ein Spielerlebnis, welches viel Konzentration verlangt und darum auch nur eingeschränkt einladend ist.

Georgios Panagiotidis
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