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Die Rote Kathedrale

Verlag: Kosmos
Autor: Shei S. & Isra C.
Spieleranzahl: 1-4
Alter: ab 12 Jahren
Spieldauer: 50-80 Minuten

Erwartungen sind eine heimtückische Angelegenheit. Vor etwas mehr als einem Jahr wurde ich auf „The Red Cathedral“ aufmerksam. Aufmachung und Spielkonzept machten mich neugierig und so hielt ich ein Auge darauf. Seitdem sind viele Rezensionen zum Spiel erschienen und sie waren durchweg positiv. Manche waren begeistert, andere lediglich freudig überrascht. Der Grundtenor schien, dass dieses Spiel tatsächlich etwas taugte.

Nun ist auch mir „Die Rote Kathedrale“ in den Schoß getrudelt und ich habe mich, durch die positive Resonanz ermutigt und von meiner anfänglichen Neugier angetrieben, mit einer gewissen Vorfreude an das Spiel gesetzt.

„Die Rote Kathedrale“ ist ein Tüftlerspiel. Anders als bei Spielen, die man eher durch augenzukneifendes Knobeln, wagemutige Entscheidungen oder ungenierte Sturheit zu gewinnen versucht, muss man hier präzise planen, genau abwägen und immer neue Möglichkeiten kombinieren, um so ans Ziel zu gelangen. Es ist ein Spiel, welches sich vor allem über seine Detailverliebtheit definiert. Ein Punkt, der wie ich finde sehr gelungen durch die grafische Aufmachung kommuniziert wird. Auch hier gibt es klare, präzise Linienführung; filigrane Details selbst auf der Rückseite von Karten, die man im Spiel nur offen auszuliegen hat. Es ist ein Spiel, welches die Sorgfalt mit der man es spielen soll bis ins letzte darlegt. Bauchentscheider und Glücksritter werden gegen vorausschauende Projektkoordinatoren hier immer den Kürzeren ziehen.

Hier wird eine Aktion abgehandelt

Dabei scheinen die Grundlagen des Spiels recht einfach. Jede Runde stehen drei Aktionen zur Wahl, in der man entweder ein Bauprojekt für sich beansprucht (die einzelnen Etagen der namensgebenden Kathedrale), Material für diese Bauprojekte sammelt oder eben gesammeltes Material auf seine Bauprojekte legt. Jede dieser Aktionen benötigt jedoch auch Folgeentscheidungen, um abgeschlossen zu werden. So wird die Entscheidungskette, entgegen anfänglicher Übersichtlichkeit, immer kleinteiliger und wirkt zu allem Überfluß auch oft sehr lange nach. Denn würden die Folgen dieser Entscheidungen schon nach kurzer Zeit verpuffen, wäre „Die Rote Kathedrale“ in der „Kenner“-Szene nicht so gut angekommen.

Die Herausforderung, die einem hier gestellt wird, liegt eben nicht primär darin die Kathedrale besser als seine Mitstreiter zu bauen. Sie äußert sich darin, dass man die drei Aktionen vollständig durchdenken und vergleichen will bevor man sich festlegt. Die Herausforderung lautet viel mehr weder in lähmende Entscheidungsunfähigkeit zu verfallen, noch einen suboptimalen Zug zu machen. Denn „Die Rote Kathedrale“ ist selbst in der Punktewertung detailverliebt und genau. Wenn die errichteten Türme der Kathedrale gewertet werden, können optionale „Verzierungen“ die man zuvor platziert hat, darüber entscheiden, wer sich mehr Ruhm auf der Siegpunktleiste abtragen darf und wer nur mit halb so viel nach Hause geht. Es gibt viele Möglichkeiten, um noch einen Vorteil aus einer Aktion zu holen oder diese zumindest vorzubereiten.

Das clevere Design des Spiels äußert sich dabei in der beinahe unauffälligen Art wie Zwänge, Einschränkungen und auch Anreize in den Spielverlauf eingewoben sind. Wer einen Bauabschnitt beansprucht, erhält so eine Verbesserung für die Aktion Material Sammeln. Das Sammeln von neuem Baumaterial wird durch Synergieeffekte mit Würfeln und Bonusaktionen in einzelnen Bereichen des Spielbretts noch belohnender gemacht. Das Abschließen eines Bauabschnitts, in dem man Material dort ablegt, kann in einzelnen Situationen zu Punktabzügen bei den Mitspielenden führen.

Das wollen wir bauen

Kaum eine Entscheidung ist in sich abgeschlossen. Durch das gesamte Design ziehen sich die feinsten Vorteile und Anreize, die eine tiefere Beschäftigung mit dem Spiel wecken sollen. Man wird in das facettenreiche Zusammenspiel der unterschiedlichen Folgen der jeweiligen Aktion gezogen. Damit das funktioniert, müssen dieses Effekte und Eigenschaften auch sorgfältig begrenzt werden. Wenn „Die Rote Kathedrale“ einen Makel hat, dann ist er hier zu finden. Unter dem vieles verzeihenden Überbegriff „Kennerspiel“ wird hier einiges an Regelstudium und -kenntnis abverlangt, bevor man sich auf das Spiel ganz einlassen kann.

Präzise und sorgfältig muss nicht nur die eigene Strategie überlegt werden, auch das regelkonforme Spiel fordert eine gute Kenntnis der einzelnen Schritte und Abläufe im Spiel. Fehler werfen dabei das Spielgefühl nicht unbedingt aus der Bahn, aber sie schmälern durchaus das Erfolgserlebnis wenn die Punkteausschüttung zum Spielende erfolgt. Denn mit der Sorgfalt und Detailtreue des Designs wächst auch der Ehrgeiz das Spiel exakt so zu spielen und zu gewinnen wie es im Regelheft steht.

Die Regeldichte ist auch den Machern klar gewesen und daher kommt das eigene Spieltableau mit einer sprachneutralen Übersicht daher, deren Hieroglyphen jedoch ebenfalls erst verinnerlicht werden muss, bevor man sie souverän nutzen kann. Die Hürde um das Spiel in seinem Naturell zu genießen ist sicherlich hoch und es ist nicht unbedingt offensichtlich ob dieser Aufwand gerechtfertigt ist.

So zeichnet sich der Spielaufbau – wie auch der Spielverlauf – dadurch aus, dass es viele Schritte zu durchlaufen gilt, bevor man sich mit dem eigentlichen Spiel beschäftigen kann. Diese Wertschätzung und Freude an Details, an Feinheiten und auch präzisen Schritten und Abfolgen signalisiert „Die Rote Kathedrale“ sowohl in Aufmachung wie auch im Spieldesign.

Damit holt es genau die Leute ab, die diesen hohen Grad an Aufmerksamkeit und Sorgfalt beim Spielen an den Tag legen wollen. An vielen Punkten finde ich mich an Eurogames aus meiner spielerischen Anfangszeit erinnert, als auch ich es genoss die Verzahnungen eines Regelwerks genau unter die Lupe zu nehmen.

Projektmanagement für Anfänger

Was dem Spiel jedoch fehlt ist die Leichtigkeit und die Eleganz, nach der ich mich heute sehne. Das will ich dem Spiel und den Machern nicht ankreiden, denn Spiele werden ja in der Regel nicht für Einzelpersonen gemacht. So haftet dem Spiel eine Aura des Aus-Der-Zeit-Gefallenen an. Schon allein deshalb ist es eigentlich eine Proberunde wert.

Aber ob dieses selbstbewusst Untrendige Spielrunden überzeugt, hat vielleicht auch viel mit Erwartungen zu tun. Erwartet habe ich eine Überraschung und das ist „Die Rote Kathedrale“ nicht. Allein dass die Schachtel nicht größer ist als sie sein muss, um deutlich zu machen was für ein Spielerlebnis man bekommt, ist eine unerwartete Freude.

Kenner- und Expertenrunde mögen deshalb von „Die Rote Kathedrale“ überzeugt sein, weil die Spielschachtel nicht mit Luft gefüllt wurde. So wie man es von anderen Spielen kennt, die gleich viel Aufmerksamkeit und Kopfarbeit einfordern, aber doppelt so viel Platz im Schrank und drei Mal so viel Zeit auf dem Tisch brauchen. Das mag die Leute zu einem entzückten Schmunzeln verleiten, die bereits so tief in der Materie stecken, dass sie ihre Spielesammlung alphabetisch, autobiografisch und chromatisch ordnen können. Für alle anderen ist „Die Rote Kathedrale“ das wonach es aussieht: ein sorgfältig arrangiertes, gediegenes Spielerlebnis, das nie Gefahr läuft zu eskalieren.

Georgios Panagiotidis
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