Autoren: Kara Centell-Dunk, Nathan I. Hajek, Aaron Haltom, Philip D. Henry
Verlag: Fantasy Flight Games /Asmodee
Für 1-4 Spielende ab 14 Jahren
Spieldauer: 120-180 Minuten (eher 3-5 Stunden pro Abenteuer)
Wenn Teil 1 schon eine Doppelrezi verdient hat, dann wollen wir uns auch bei Teil 2 nicht lumpen. Zuerst kommt diesmal Peers Kritik und weiter unten denn Georgios’ Urteil.
Peers Kritik:
Terrinoth ist erst einmal gerettet – knapp 160 Stunden haben ich und meine Spielgruppe mit der Grundbox und der Erweiterung Der Krieg des Verräters verbracht. So viel Zeit verbringt man nur dann mit einem Spiel, wenn es ein besonderes Spielerlebnis bietet. Warum Descent: Legenden der Finsternis dieses besondere Spiel ist, was es richtig macht, was es insbesondere besser macht, als vergleichbare Spiele, haben wir bereits ausführlich dargelegt.

Jetzt also die Erweiterung.
Als Descent: Legenden der Finsternis erschien, war bereits beschlossene Sache, dass es diese Erweiterung als Fortsetzung geben würde – Zwar endet die Kampagne in einem Finale, die überspannende Geschichte endet aber in einem Cliffhanger. Der Krieg des Verräters schließt entsprechend nahtlos an die Geschehnisse des ersten Teils an.
Die Aufgabe ein Spiel wie Descent zu erweitern ist sicherlich nicht einfach: Einerseits soll der Übergang natürlich möglichst glatt vonstattengehen, andererseits erwarten die Fans sicherlich auch neue Überraschungen und neue Ideen. Dass zudem das ursprüngliche Entwicklungsteam gekündigt hat, wird nicht geholfen haben. Gerade zu Beginn der neuen Kampagne hatte ich meine Zweifel, aber Der Krieg des Verräters hat mich mehr und mehr überzeugt. Es ist tatsächlich gelungen, die Stärken des Spieles weiter zu verbessern.

Das gelingt zunächst einmal durch deutlich längere Abenteuer; Die Charaktere werden in neue, zum Teil sehr cineastische Settings geworfen. Das gelingt durch neue Aufgaben und zum Teil sehr geschicktem Spiel mit Erkundungsmarkern, die hier eine Vielzahl von Funktionen erfüllen (wobei mir in dieser Hinsicht ein paar NPC als Miniaturen lieber gewesen wären, als neue Helden-Minis). Vor allem aber ist das „mehr“, dass mit der Erweiterung ins Spiel kommt, nicht nur „Content“ sondern erfüllt den Zweck, auch neue Spielerlebnisse zu bieten: So wird die Anzahl der Papp-Gegenstände fast verdoppelt, dadurch sind die Level unglaublich detailreich (wir witzelten schon, dass in der nächsten Erweiterung dann auch Elektrizität verlegt werden muss) und erhöhen so die Atmosphäre. Die neuen Fertigkeiten sind nicht nur dazu da, die Helden hochzupowern, sondern erhöhen vor allem Gruppendynamik, da viele Fähigkeiten sich auf andere Helden beziehen. Zusammenarbeit zahlt sich mehr aus. Insbesondere bei Kehli ist dies spürbar im Grundspiel war das Profil der Zwergin nicht klar, wir konnten mit ihr nicht viel anfangen, weil ihre Stärken nicht so richtig zu den meisten Abenteuern zu passen schien. Sie hatte eher zwischen als in den Abenteuern zu tun. In der Erweiterung lernt sie eine neue Fertigkeit, die narrativ wie spielerisch interessant ist, da sie im Hintergrund den Rest der Gruppe unterstützt. Sie wurde vom eher ungeliebten Charakter zum Stammpersonal. Doch auch die anderen Charaktere wurden sanft verbessert, so dass das Gruppengefüge gestützt wird, es aber Platz für Schwerpunkte, die von den Spielenden gesetzten werden, bleibt.
Das passt insbesondere auch deswegen, weil Der Krieg des Verräters nicht nur die Geschichte fortsetzt, vielmehr wird hier der Schritt von Helden zu Legenden vollzogen; Durch die neuen Fähigkeiten und durch großzügigere Verteilung von Erfahrungspunkten (die hier zur „Ausrüstung“ von Fähigkeitskarten dienen) hat man deutlich das Gefühl, dass die Charaktere mehr auf spielerischer Ebene können und dass die Spielenden mehr taktische Entscheidungen treffen können und ihnen ein größeres Arsenal an Möglichkeiten zur Verfügung steht. Hatte man beim Grundspiel das Gefühl einen aufstrebenden Helden zu spielen, so bekommt man hier wirklich das Gefühl, jemanden vom Schlage eines Legolas oder Aragon zu führen – nicht unbesiegbar, aber der riesigen Aufgabe gewachsen. Dieses Gefühl wächst so subtil im Laufe der Kampagne, dass es mir erst gegen Ende so richtig bewusst geworden ist. Davon abgesehen, dass wir natürlich schlicht neue Abenteuer spielen wollten, ist dies definitiv die größte Stärke der Erweiterung.
Allerdings verbessert Der Krieg des Verräters nicht nur die Stärken des Grundspieles, sondern hält auch auf fast einzigartiger Weise Kurs, wenn es um die Schwächen geht. Insbesondere nehmen die Cutszenen noch deutlich einmal mehr Zeit in Anspruch als zuvor. Wie ein überambitionierter Rollenspieler, der darauf besteht, dem Rest der Gruppe unbedingt die 40-seitige Hintergrundgeschichte seines Charakters vorzulesen, müssen sich die Spielenden hier immer und immer wieder Details der Terrinauthischen Realpolitik anhören, die nur wenig bis keinen Bezug auf die eigentlichen Spielhandlungen haben. Sicherlich müssen die Abenteuer eingeführt werden, so dass die Aufträge darin Sinn ergeben, aber die pure Anzahl der Charaktere, die Längen der Szenen und immer mehr und undurchdringlicheres „Lore“, leisten da keinen wirklichen Beitrag. Im Gegenteil: Die Spielenden schalten bei den Cutszenen selbst dann innerlich ab, wenn sie diese selbst mit verstellter Stimme nachsprechen. Weir hatten die ganze Zeit befürchtet, irgendwann einen Test machen zu müssen, wo wir wohl geradewegs durchgefallen wären – Wir wären vermutlich schon daran gescheitert, den den titelgebende Verräter zu benennen. Werbung für die Bücher waren die jeweils nicht.
Zum Teil ermöglichen das Mehr an Cutszenen auch ein Mehr an Entscheidungen, was ja theoretisch etwas positives ist. Allerdings wirken viele Entscheidungen nicht sehr bedeutungsschwer. Die Auswirkungen mögen im Hintergrund ablaufen, aber ob man im Endkampf Belohnung A oder Belohnung B bekommt, ist dann auch fast egal, zumal man nicht mehr weiß, welche Entscheidungen dieses Ergebnis hervorgerufen hat. Dadurch wirken die Entscheidungen in Summe wie eine vertane Chance. Exemplarisch genannt, sei eine bestimmte Entscheidung, die das Verhältnis zwischen zwei Spielercharakteren bestimmt. Die Entscheidungsmöglichkeit ist überraschend und es wirkt sehr cool, dass man auch eine solche Ebene (Das „Privatleben“ betreffend) entscheiden kann ‑ die Auswirkungen beschränken sich aber auf ein paar leicht veränderte Dialogzeilen und ein Bild im Abspann. Das ist dann doch recht enttäuschend. Das ganze System mit Entscheidungen, die vor allem die Loyalität von NPC-Gruppen beeinflusst, was wiederum Gebäude freischalten kann, die wiederrum kleine Effekte haben, wirkt eher verkrempelt, denn spannend. Zum Glück beschränken sich diese Kritikpunkte auf das Leben außerhalb der Abenteuer und beeinflussen das Spielerlebnis nur insofern negativ, als dass es die schon ohnehin längere Spielzeit weiter aufbläht. Bisweilen haben wir eine Stunde gebraucht, um ein Abenteuer zu beginnen.
Endete das Urspiel wie erwähnt mit einem Cliffhanger, ist das Ende des Verräterkrieges eher mit dem Staffelende einer Fernsehserie zu vergleichen. Nach einem wirklich epischen Kampf (der sehr viel befriedigender war, als das letzte Abenteuer der Grundbox) ist ein Punkt erreicht, in dem die Geschichte enden kann, aber nicht muss. Es wirkt, als ob beim Erscheinen des Spieles noch nicht feststand, ob es in Terrinoth weitergeht.

Auch nach den erwähnten knapp 160 Stunden hoffe ich auf eine Fortsetzung, System und Charaktere sind mir ans Herz gewachsen. Allerdings mag ich keinen Tipp abgeben, ob es dazu kommt. Ein Problem sind natürlich die Zölle und die unsichere Gesamtlage in den USA, die gerade ein Miniaturenlastiges Spiel wie Descent trift. Ich bin aber auch nach wie vor eher unsicher, inwieweit die Preispolitik von Fantasy Flight games aufgeht; Der Krieg des Verräters als Erweiterung, für die man das Grundspiel benötigt ist preislich an der potentiellen Zielgruppe noch sehr viel weiter weg kalkuliert, als es schon beim Grundspiel der Fall war. Einen dreistelligen Betrag für eine Erweiterung auszugeben, tun wohl nur die Kickstartergestähltesten unter den Spielenden. Ich gebe zu: Wenn Asmodee mir kein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hätte, hätte ich es mir vermutlich nicht gekauft ‑ . Dabei gehörte Descent: Legenden der Finsternis zu meinen größten Spielerlebnissen der letzten Jahre! Man bekommt natürlich auch viel für sein Geld, aber ich hätte auch damit leben können, dass es keine neuen Minis mehr gibt, wenn das Spiel dadurch unter 100€ geblieben wäre ‑der eigentliche Inhalt des Spieles liegt eh an anderer Stelle. Wie mir wird es auch anderen Spielenden gegangen sein. Daher kann ich nur hoffen, dass FFGs Strategie aufging und ein weiterer Teil in Arbeit ist.
Ich will schließlich eine neue Box erkunden dürfen!
Georgios’ Urteil
Erweiterungen kommen in der Regel in einer von zwei Formen daher: als Fortsetzung oder Neuinterpretation. Descent – Der Krieg des Verräters fällt dabei ganz ungeniert in die erste Kategorie. Das ist zum Teil erzählerisch gegeben. So kündigte sich Descent Legenden der Finsternis bereits sehr selbstsicher als Akt I einer mehrteiligen Erzählung an. Entsprechend wurde auch Der Krieg des Verräters mit einem Akt II auf der Packung ausgestattet.
Da eine Fortsetzung per Definition auch eine Form der Kontinuität ausdrückt, wird hier auf alles gebaut was schon in Akt I präsent war. Es gibt viele Miniaturen, viele Waffen, viele Fertigkeiten, viele Geländeteile und viele Erzählsequenzen. Die Betonung sollte hier auf dem Wort „viel“ liegen. So wie die Präsentation von Akt I vor allem vom Gedanken der Maximalisierung getragen war, sollte das auch in Akt II weitergeführt werden. Das erweist sich jedoch als zweischneidiges Schwert.

So fallen die Dialoge zwischen den eigenen Figuren und Nebenfiguren in die gleiche Falle wie das Vorgängerspiel. Sie sind nicht für das Spiel geschrieben worden, d.h. mit spieltechnisch relevanten Informationen ausgestattet, sondern eher mit quasi-literarischen Anspruch geschrieben, d.h. mit einem Augenmerk auf das Worldbuilding. Das ist Leser*innen von Fantasyromanen durchaus vertraut und es birgt einen ganz eigenen Reiz und Faszination. Es ist eine in jenem Medium wertgeschätzte Facette des Lesegenusses. Wir können noch besser in die Welt eintauchen, während wir beim Lesen immer mehr über diese Welt in Erfahrung bringen. Vieles, wenn nicht sogar alles, von dem was wir dadurch lernen, zahlt auf unser Verständnis der erzählten Geschichte ein.
Wenn Spiele Geschichten erzählen würden, dann wären diese langen Dialoge ohne Frage das Highlight des Spiels. Sie sind so geschrieben, dass sie die sprechenden Charaktere offenbaren. Es sind keine austauschbaren Phrasen. Figuren lassen sich über weite Strecken allein an Hand der Dialoge wiedererkennen. Das ist handwerklich beachtlich und lobenswert. Auch die Charakterentwicklung – abseits des spielmechanischen Zuwachs an Handlungsoptionen – wird innerhalb der Geschichte weitergeführt. Zwar treten manche der Heldenfiguren aus Akt I in Akt II etwas in den Hintergrund, aber in Summe durchlaufen Brynn, Galaden, Vaerix, Kehli, Fortunis und Syrus alle eine Form der Veränderung. Auch das zeichnet gute Geschichten aus. Obendrein wird innerhalb der Zwischensequenzen mit Foreshadowing und Motiven gearbeiten, an denen man sich auch literatur-analytisch sehr schön abarbeiten könnte.
Aber Terranoth besteht nicht nur aus den sechs Hauptfiguren. Es gibt auch mindestens genau so viele Nebenfiguren die in den Sequenzen zwischen den Abenteuer auftauchen. Auch diese besitzen eine eigene, erkennbare Charakterisierung. Auch diese werden sich im Laufe von Akt II mal mehr und mal weniger erkennbar verändern. Die Geschichtenerzählung und das Worldbuilding wird in Descent – Der Krieg des Verräters sehr gewissenhaft und mit hohem Selbstanspruch betrieben. Die Welt soll sich lebendig anfühlen. Es sollen spürbare Veränderungen geschehen, während die Spieler*innen ihre Abenteuer erleben.
Wenn Brettspiele wie Point-and-Click Adventure aus den frühen 90ern funktionieren würden, dann wäre Descent Akt II ein absoluter AAA-Titel. Aber das tun sie nicht. Sie erzählen auch keine Geschichten, sondern setzen uns als Spielende in den Mittelpunkt, um Geschichten entstehen zu lassen.
In meiner Kritik zu Descent – Legenden der Finsternis verglich ich es mit Hero Quest. Ein Spiel, welches konzipiert wurde um Brettspieler*innen die freiere Welt des Rollenspiels schmackhaft zu machen. Es sollte Spieler*innen mehr Entscheidungsfreiheit und Einflussnahme auf den Spielverlauf geben. Es sollte die Spielenden in den Mittelpunkt des Geschehens setzen und nicht die Spielwelt in der sie sich bewegten. Die Welt war dynamisch, ja, aber das Spiel wurde durch die Entscheidungen der Spielgruppe voran getrieben.

Dieses berauschende Gefühl Protagonist*in zu sein zeichnet aber auch Brettspiele aus. Der Rahmen mag dafür weniger flexibel sein als es bei einem Rollenspiel der Fall ist. Aber das Wesen des Spielens besteht in unserer Identität als die Personen, welche die Handlung des Spiels vorantreiben. Diese Rolle ist für das Spielgefühl um ein Vielfaches wichtiger als es eine ausgearbeitete, facettenreiche und dynamisch agierende Spielwelt ist. Aber genau das scheint bei Descent Akt II stellenweise vergessen worden zu sein. Der Übergang zwischen der Spielwelt und den Spieler*innen wirkt oft unpräzise und unmotiviert. Es ist ein abrupter Perspektivwechsel aus handelnder Person und beiwohnende Beobachter*innen.
Wie in Akt I darf jede Figur im Laufe der Kampagne mehrfach eine Entscheidung fällen, die ihre zwei internen Charakterwerte bzw. Überzeugungen verändert. Das fühlte sich in Akt I wichtig und spielrelevant an, weil diese Entscheidungen an Storymomente geknüpft waren, die aussagekräftig wirkten. Es schien etwas auf dem Spiel zu stehen. Vergleichbare Momente muten in Akt II eher wie eine verschleppte Designverpflichtung an, als wie ein treibender Motor der Kampagne. Sie treten in Situationen auf, denen man kaum eine große Bedeutung zuspricht. Das ist bedauerlich, da sich so die Trennung zwischen Figuren und Spielwelt noch weiter aufzieht.Darum erinnert Descent – Der Krieg des Verräters auch weniger an Hero Quest, sondern eher an Pandemic Legacy Season 2. Es ist spielerisch noch ein mal einen guten Zahn ambitionierter als sein herausragender (aber auch nicht makelloser) Vorgänger. Die Kernelemente des Spiels sind ausgefeilter und anspruchsvoller geworden.
Die in Dialogen und Zwischensequenzen erzählte Geschichte ist auch inhaltlich pointierter geworden. Viele Ideen, welche gerade unter dem konservativen Spektrum der Spielerschaft mit Argwohn und Ablehnung betrachtet werden, werden hier mit charmanter Ungeniertheit und Selbstbewusstsein in den Mittelpunkt gestellt. Ja, es geht hier um Kriegsflüchtende und der moralischen Notwendigkeit ihnen zu helfen. Ja, es geht um Liebesbeziehungen, die nicht heteronormativ sind. Ja, aus der Not anderer Profit schlagen zu wollen ist auch in Terrinoth ein verachtenswertes, wenn auch legales, Verhalten von Personen, die ein Handelsmonopol besitzen. Descent – Der Krieg des Verräters versteckt sich nicht in politischer Neutralität oder nutzt das Fantasy-Setting um sich nur an Fantasieproblemen abzuarbeiten.
Die Geschichte in Descent Akt II ist inhaltlich stärker und auch umfangreicher. Aber sie fühlt sich nicht mehr wie die Geschichte unserer Spielfiguren an. Die Geschichten entwickeln sich um uns herum, aber nicht aus unseren Taten heraus. Wenn unsere angesammelten Entscheidungen sich im Finale erneut auf die aktuelle Spielsituation auswirken, fühlt es sich darum weniger wie das Ende der Charakterreise an, die unsere Figuren durchlaufen haben. Stattdessen fordert die Story von Akt II lediglich die Gefallen ein, die wir uns bei den Nebencharakteren in Terrinoth im Vorfeld erarbeitet haben. So als würden wir eine Schuld einfordern, welche im fulminanten letzten Abenteuer endlich bezahlt wird.
Das ist einer der Gründe weshalb der emotionale Bogen der Kampagne so zerfaserst wirkt. Er wird nicht mehr von der inneren Entwicklung unserer Helden vorangetrieben, sondern von äußeren Umständen. Zusätzlich werden neben den überlebenden Charakteren aus Akt I nun weitere Figuren in das Geschehen eingeführt. Auch diesen wird durch Dialoge Charakter gegeben. Das gelingt deutlich öfter als es misslingt. So viel Lob muss sein. Aber sie bereichern bestenfalls einzelne Abenteuer. Ihr Bezug auf die Charakterentwicklung unserer Helden ist höchstens nominell. Das steht im starken Kontrast etwa zur Waldläuferin aus Akt I, welche mehr Einblick in Galadens tragische Geschichte verlieh. Gerade auch weil die Interaktion zwischen den beiden zeigte mit welchem inneren Konflikt Galaden in Akt I rang.
In Descent – Der Krieg des Verräters öffnen diese Nebenfiguren zwar das Setting, also die Welt Terrinoth, aber damit verliert man die Hauptfiguren – unsere Helden – aus den Augen. Das ist gut fürs Worldbuilding, aber schlecht für das Spielerlebnis.
Descent – Der Krieg des Verräters ist erzählerisch eine direkte Fortführung der Themen und Motive aus Akt I. Nur werden sie diesmal mit noch mehr Überzeugung vorgetragen. Wenn man Kampagnenspiele wegen ihrer Geschichte spielen will, dann mag das eine uneingeschränkt positive Entwicklung sein. Aber Descent Legenden der Finsternis wurde nicht wegen seiner Geschichte gefeiert und ins Herz geschlossen. Es war die Tatsache, dass sich diese Kampagne wie „unsere“ Geschichte anfühlte. Es waren „unsere“ Entscheidungen, die das Schicksal des Landes prägten und es waren „unsere“ Entscheidungen, die am Ende der Kampagne thematisch wie auch charakterlich schlüssig zusammengeführt wurden. Das fühlte sich nicht nur toll an, es hatte auch etwas Einzigartiges.
Akt II ist im Vergleich dazu zerfasert, sehr auf das Worldbuilding fokussiert und fühlt sich darum – gerade in den immer noch langen Dialogsequenzen – überfrachtet an. Es gibt zu viel von den Dingen, die um das spielerische Herzstück von Descent, konstruiert wurden. Zu viele Orte, zu viele Nebencharaktere, zu viele Erzählstränge und zu viele Bezüge auf Hintergründe, die nur eingefleischte Terrinoth-Profis kennen. Nur wenige werden den Namen „Timmoran“ direkt einordnen können. Aber all diesen Mängeln zum Trotz ist das Fundament des Spiels weiterhin robust und kräftig. Jedes im Spiel enthaltene Abenteuer hat seine eigene Identität, seinen eigenen Kniff und mindestens eine unterhaltsame Idee, um in Erinnerung zu bleiben. Das alleine macht Descent – Der Krieg des Verräters zu einer lohnenswerten Fortführung von Akt I.
Es wäre aber noch schöner, wenn es auch eine Weiterentwicklung geworden wäre.
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