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Der Herr der Träume

Verlag: Plaid Hat Games (Vertrieb: Asmodee)
Autor: Jerry Hawthorne
Spieleranzahl: 2-4
Alter: ab 7 Jahre (Wenn ein Erwachsener am Tisch, gehen auch 6)
Spieldauer: 60-90 Minuten (eher 90)

Jerry Hawthorne hat vor einigen Jahren Maus und Mystik entwickelt, eine Art „Descent für  Teenager“. Jetzt ist er mit Herr der Träume noch eine Altersstufe tiefer gegangen und hat ein Spiel entwickelt, dass sich tonal an Kinder unter zehn richtet und schon fast ein Bindeglied zum Rollenspiel darstellt: Die Spieler schlüpfen in die Rolle von Stofftieren, die nachts ein kleines Mädchen beschützen – vor allem in der dunklen Alptraumwelt, die sie von der Wohnung des Mädchens aus erreichen. Das Spiel bietet dabei insgesamt sieben Abenteuer, jedes mit etwa 90 Minuten Spieldauer, was recht heftig für die Zielgruppe ist – Zum Glück bestehen Abenteuern aus Kapiteln, so dass man gut pausieren und das Material für den nächsten Tag stehen lassen kann (Wir haben jedes Abenteuer in zwei Etappen gespielt).

Atmosphärisch  sind die Abenteuer gelungen mit schönem Material und vor allem wirklich gelungenen, stimmungsvollen und auch altersgerechten Texten: Die Monster sind bedrohlich, aber nicht beängstigend, die Geschichte interessant aber nicht zu komplex – gerade richtig! Auch die Übersetzung ist absolut gelungen. Gelungen ist auch das Einteilen in verschiedene Kapitel: Jeder Schauplatz der Geschichte ist eine Doppelseite im „Buch der Geschichten“, wobei die linke Seite immer den Spielplan darstellt und auf der rechten die hier geltenden Regeln und die passenden Textstellen untergebracht sind. Da vieles passieren kann, gibt es hier oft einen regelrechten Ereignisbaum, der dafür sorgt, dass das Geschehen stimmig bleibt. Diese Struktur sorgt nicht nur für ein sehr narratives Erlebnis, sondern auch für Neugier: Man ist wirklich gespannt, wie es weitergeht, was sich wohl auf der nächsten Seite verbirgt. Das bedingt aber natürlich, dass jemand mitspielt,  der schnell Regeln erfassen und verwalten kann – ich habe daher immer mitgespielt und diesen Part übernommen. Schon allein, weil sonst zu viele Lesepausen entstehen, die das Spiel zu langatmig machen. Doch dazu später mehr; hier möchte ich erst einmal feststellen, dass die narrative, die rollenspielerische Seite absolut gelungen ist und der Grund sein dürfte, dass meine Sechsjährige von dem Spiel absolut begeistert ist.

Meine Elfjährige mag das (Zitat) „Konzept“ – also die Geschichte, die Einkleidung und den grundsätzlichen Ablauf – auch und spielt gerne mit. Talisman: Legendäre Abenteuer ist aber ihr Abenteuerspiel der Wahl und der Grund dafür dürfte unter der Haube des Herrn der Träume liegen:

 

Das Spiel will ja narrativ Abenteuer erzählen und die Handlungen der Protagonisten spielerisch abbilden. Daher sollte das verwendete Zufallssystem folgende Punkte erfüllen:

  1. Es sollte thematisch schlüssig sein
  2. Es sollte flexibel genug sein, um viele unterschiedliche Situationen zu simulieren
  3. Es sollte interessante Entscheidungen ermöglichen
  4. Es sollte für spannende Spielverläufe sorgen
  5. Bedenkt man die Zielgruppe sollte es zudem so einfach sein, dass es schnell erfasst werden kann, so dass sich die Kinder auf die Aufgabe konzentrieren können und nicht durch die Regeln abgelenkt werden.

Das erwähnte Talisman: Legendäre Abenteuer erfüllt all diese Punkte mit Ausnahme von (2) – Talismans Herausforderungen sind doch schon sehr ähnlich (siehe die verlinkte Rezi).

Der Herr der Träume verwendet dagegen ein doch eher abstraktes System, bei dem der Zugspieler erst farbige Würfel aus einem Beutel zieht und diese dann würfelt, um sie für verschiedene Aufgaben zu nutzen. Die Einsatzmöglichkeiten der Würfel hängen von der Farbe ab, so können rote Würfel für den Nah- und grüne für den Fernkampf verwendet werden. Zudem können schwarze und weiße Würfel gezogen werden – Weiße können den Spieler heilen und schwarze sind schlicht böse, denn sie triggern die Monster oder die negativen Spielplaneffekte (je nachdem wo man sich gerade befindet).

Wie die Beschreibung andeutet ist das System doch eher abstrakt. Tatsächlich wirkt es für mich eher so, als wäre es unabhängig vom eigentlichen Spiel entwickelt worden, denn keiner der oben genannten Punkte wird wirklich zufriedenstellend erfüllt: Thematisch ist das System wie erwähnt nicht gerade, es ist dadurch aber auch nicht leicht zu lernen, sondern fühlt sich sehr mechanisch an. Zudem sorgen viele kleine Anpassungen und Feinheiten dafür, dass die Zielgruppe kaum eine Chance haben dürfte Herr der Träume ohne Hilfe zu spielen. Das wäre noch zu verkraften, wenn man das Gefühl hätte, das System verfolgt einen klaren Zweck, doch wenn es das tut, dann sehe ich ihn nicht: Da es nur auf Farben und die Höhe des Wurfes ankommt (je höher desto besser) ähneln sich die meisten Aufgaben im Spiel doch sehr und beschränken sich darauf die richtigen Würfel zur richtigen Zeit zu ziehen und damit gut zu würfeln. Wer das tut, schafft ordentlich etwas, wer die falschen Würfel bekommt, kann oft überhaupt nichts sinnvolles tun, außer die Würfel jemand anderem zu geben. Für diesen Ertrag hätte es aber auch ein einfacheres Skillsystem getan. Das Spielprinzip ist trotz aller unterschiedlichen Spielplänen (und einigen kreativen Anwendungen) doch sehr eindimensional und würfellastig. Für Achtjährige mag die thematische Einkleidung ausreichen, ab zehn ist das spielerische auf Dauer doch etwas dünn. Besonders ärgerlich ist m.E. dass das System nicht einmal für ausgewogene Spielverläufe sorgt: Alles Böse wird mit schwarzen Würfeln ausgelöst. Da man die aber nicht für Aktionen nutzen kann, hat wer sie zieht auch weniger Möglichkeiten auf das Spielziel hinzuarbeiten. Mit anderen Worten: Werden keine schwarzen Würfel gezogen schaffen die Spieler mehr UND die Gegner tun nichts. Werden viele schwarze Würfel gezogen greifen die Gegner dauernd an UND die Spieler haben weniger Möglichkeiten der Verteidigung. So kippt das Spiel schnell mal in die eine oder andere Richtung (zumindest bei uns deutlich häufiger in die leichte Richtung). Auch hier bleibt die Frage was der Autor mit dem System erreichen wollte – Ein einfaches Würfel werfen á la HeroQuest wäre einfacher und flexibler und besser auf die Bedürfnisse des Spieles zugeschnitten gewesen. Wie es auch geht zeigt eine einzelne Mechanik in Herr der Träume: Auf vielen Plänen gibt es Felder, die eine Begegnung ermöglichen – da wird eine Karte gezogen und vorgelesen und gibt zwei Entscheidungen vor: Helfen oder weitergehen? Einen Tipp geben oder trösten? Entsprechend der Entscheidung gibt es eine Reaktion – das ist kein Schach, aber es sind thematische, einfache Entscheidungen und meine Kinder lieben diese Karten. Leider sind es zu wenige, so dass sich ein gutes Gedächtnis bald bezahlt gemacht hat… Das Würfel ziehen und werfen wirkt da im Gegenzug uninspiriert und Fehl am Platze.

Diese Diskrepanz zwischen gelungenem Storytelling und misslungener Mechanik sorgt dafür, dass Herr der Träume tatsächlich ein recht spezifisches Alter hat: 6-10 Jahre etwa, darüber allenfalls zum Mitspielen. Und auch diese Zielgruppe muss etwas Stehvermögen mitbringen, denn das erste Abenteuer führt erst langsam in die Welt ein – eigentlich eine gute Idee, aber die ersten Kapitel haben doch ein eher ungünstiges Verhältnis zwischen „Spiel“ und „Vorlesen“, insbesondere wenn Regeln nachgeschlagen werden müssen. Das Verhältnis wird erst besser wenn die Regeln sitzen (auch deswegen sollte ein regelkundiger Erwachsener mitspielen) und die Story in Gang gekommen ist.

Interessant ist Herr der Träume für die Zielgruppe aufgrund der gelungenen Storyelement durchaus – die ganze Verpackung ist rund. Ich habe durch das Spiel jedenfalls tatsächlich lust bekommen meine Kinder an einfache Rollenspiele heranzuführen. Und das ist auch eine Leistung.

Peer Sylvester
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