Verlag: Ravensburger
Autor: Keine Autorenangabe
Spieleranzahl: 2-6
Alter: ab 10 Jahre
Spieldauer: ca. 60 Minuten
In jeder Stadt
geht es auf und ab
Und das Volk
ist trotzdem froh
Doch nicht in Nottingham
Kennen Sie diese Zeilen? Dann gehören Sie zur Zielgruppe von Villainous! Das ist ein Disney-Zeichentrickklassiker-Fanprodukt: Jeder Spieler darf einen der ikonischeren Disney-Bösewichte spielen (aus allen Generationen: Captain Hook ist ebenso dabei wie die böse Fee aus Dornröschen oder Dschafar aus Aladdin) und bekommt ein eigens auf ihn zugeschnittenes Deck und ein eigens zugeschnittenes Ziel und ein eigenes zugeschnittenes Spielbrett mit vier eigens zugeschnittenen Örtlichkeiten, auf denen man sich bewegt und generische Aktionen durchführen kann. Das eigentliche Spiel steckt dabei in erster Linie in den Karten: So muss Ursula aus Arielle z.B. fast ohne Kampfkarten auskommen und daher die blöden Helden mit Knebelverträgen besiegen, während Captain Hook auf schlagkräftige Piraten zurückgreifen kann und Prinz John am besten nur das nötigste gegen Helden unternimmt, da er diese besteuern und so quasi finanziell ausnehmen kann.
Ins Spiel kommen diese Helden/Gegenspieler/Nervtöter durch die Mitspieler: Eine der oben erwähnten Aktionsmöglichkeiten ist das „Ärgern“, bei dem man aus dem gegnerischen Heldendeck nervige Gutmenschen spielen kann – und da auch diese Decks personalisiert sind, wird die Herzkönigin vom Märzhasen geärgert und Dschafar vom fliegenden Teppich. Alle Karten wunderbar gestaltet mit den Originalgraphiken übrigens.
Zusammengefasst: Villainous ist ein toll gestaltetes Spiel mit originellem, thematisch sehr passendem Spielverlauf und relativ wenigen Regeln. Das ist super! Das ist genau das richtige für mich!
Das Wünschen weiterer Wünsche ist nicht wünschenswert
In der Praxis ist das Spiel allerdings für mich eine riesige Enttäuschung; Alle Croquette-Tore sind richtig aufgestellt, aber der Abschlag wurde verpasst, der Ball von Tick-Tock gefressen.
Es fängt schon damit an: Mit wem genau soll ich Villainous eigentlich spielen? Idee und Konzept stellen es ideal für ein Familienspiel auf: Mit Oma, Opa und meinen Kindern am Spieletisch sitzen und gemeinsam Disney-Filme nachspielen. Was kann es schöneres geben? Doch für diese Idylle spielt sich Villainous zu verquer – die Regeln mögen einfach sein, aber das liegt nur daran, dass die eigentlichen Feinheiten auf die Karten übertragen wurden. Zwar kann ich schnell die Regeln erklären, aber wie man eigentlich spielt, muss jeder selbst herausfinden – zumindest bis der Erklärbär alle Rollen einmal selbst gespielt hat. Zwar gibt es für jeden ein kleines Booklet mit wichtigen Sonderregeln und Tipps, aber vor einer Partie erst einmal 10 Minuten Lesepause einzuplanen killt jede Motivation. Und ob das Erstspielern hilft, sei auch mal dahingestellt – der recht abstrakte Ablauf verwirrt Spielunerfahrene (dass man vom jeden Ort aus Karten an jeden beliebigen Ort spielen, aktivieren und bekämpfen kann, ist erstaunlich unintuitiv) genauso wie einige Interaktionen der Karten. Die nicht spielunerfahrenen Kinder im Alter zwischen 10 und 14 äußerten gleich mehrfach, dass sie keine Ahnung hätten, was sie eigentlich tun und machten dann irgendwas ungezieltes. Den Erwachsenen erging es kaum besser. Insbesondere Ursula erfordert einen sehr diffizilen Umgang mit den eigenen Karten, so diffizil, wie man es sonst in einem sogenannten „Vielspielerspiel“ erwarten würde.
Aber: Vielspieler erwarten deutlich mehr Spielkontrolle in ihrem Spiel. Die meisten Charaktere sind von ihrem Deck abhängig (einige aber noch mehr als andere) – liegen benötigte Karte unten, hat man Pech gehabt. Aber selbst wenn einem der hohe Glücksfaktor nicht übel aufstößt: Die möglichen Strategien halten sich in sehr engen Grenzen. Man macht meistens das, was man kann und was einem irgendwie weiterhilft oder zumindest nicht behindert. Oft genug macht man sogar gar nichts außer Karten abwerfen, weil abwarten tatsächlich am wenigsten behindert. Knifflige Entscheidungen sind eigentlich kaum welche zu treffen. Großartige Strategien, außer das möglichst direkte Ansteuern des Zieles sind kaum zu fahren. Spiele ich ein zweites Mal mit derselben Rolle, spiele ich vermutlich schneller, weil ich weiß, was ich machen kann und wie die Karten wirken. Ich spiele aber nicht wirklich anders.
Ab mit dem Kopf!
Das liegt auch daran, dass jeder praktisch alleine spielt. Interaktion beschränkt sich auf die gelegentliche Karte, die man außerhalb des eigenen Zuges spielen darf, wenn eine bestimmte Bedingung erfüllt wurde. Da man a) diese Karte erst einmal haben muss und b) dann ein Mitspieler auch eben diese Bedingung erfüllen muss, passiert dies auch in Vollbesetzung viel zu selten, um spielspaßrelevant zu sein. Es sind nur weitere Karten, mit Regelfragen für Neueinsteiger.
Apropos: Spielt nicht in Vollbesetzung! Es dauert zu lange bis man dran ist und was die anderen machen, interessiert nur sehr peripher.
Das Ärgern, auf dem Papier größte Interaktionsquelle, ist im Prinzip nur ein Automatismus, ein gelegentliches, ungezieltes Ärgernis um mehr Thema ins Spiel zu bringen. Tatsächlich wäre es sogar besser gewesen, wenn die Helden irgendwie selbstständig ins Spiel kommen würden, denn dann könnte man Villainous solo spielen – und als solches Solospiel wäre es vermutlich ganz reizvoll, weil dann Zeit- und Glücksfaktor im angemessenen Verhältnis zueinander liegen und man auch im Multiplayermodus sowieso zu 95% sein eigenes Süppchen kocht. So gibt es das zusätzliche Problem, dass niemand den Captain Hook angreifen möchte, da dieser Peter Pan aus dem Heldenstapel zum Gewinnen braucht. Zu zweit oder zu dritt lässt sich gelegentliches Ärgern kaum vermeiden, in Vollbesetzung muss man mit dem Klammerbeutel gepudert sein, um in Hooks Heldenstapel zu wildern.
Kein Familienspiel, kein Vielspielerspiel, Villainous setzt sich zwischen alle Stühle der Teeparty. Schade. Es gibt kaum ein Spiel, dass ich so gerne gemocht hätte, wie Villainous.
In jedem Spiel
geht es auf und ab
und der Peer
ist trotzdem froh
Doch nicht mit Villainous.
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