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Vampire – Die Maskerade: Vendetta

Verlag: Horrible Guild / Heidelberger
Autoren: Charlie Cleveland, Bruno Faidutti
Spieleranzahl: 3-6 (eher 4-5)
Alter: ab 14 Jahren
Spieldauer: laut Schachtel 30 Minuten – eher 60 Minuten

Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob das Spiel so heißt wie hier angezeigt – dies ist der bei Boardgamegeek eingetragene Name – oder ob es nur Vampire: Vendetta heißt oder nur Vendetta oder nur Deutsche Ausgabe.  Das ist eben das Problem, wenn es einen Titel gibt, der innerhalb einer größeren IP erscheint. Die IP in diesem Fall ist Vampire – Die Maskerade (Das „Vampire“ ist übrigens englisch und nicht der Plural der Deutschen Entsprechung), ein Rollenspiel, und ich will mich ein bisschen dem Hintergrund widmen:

Vampire – Die Maskerade ist ein klassisches Rollenspiel, dass in den 90er Jahren die Szene ziemlich dominiert hat. Das hatte vor allem zwei Gründe: Zum einen vereinfachte die World of Darkness-Reihe (von denen Vampire der erfolgreichste Part war) die damals sehr Skill-orientierten Systeme stark. Statt langer Listen mit Fertigkeiten und elaborierten Punktensystemen gab es nur wenige Eigenschaften mit Werten von Null bis Fünf. Das erleichtete den Einstieg enorm und erlaubte größere Freiheiten. Umgekehrt gab das System auch viel Verantwortung an die Spielenden (insbesondere den Spielleiter:in) ab, den was unter einer „unglaublich mächtigen“ Chimäre denn nun eigentlich zu verstehen ist, musste die Gruppe aushandeln. Der zweite Grund war der elaborierte und durchaus stimmungsvolle Hintergrund, der das Setting bildet: Vampire, Werwölfe, Wechselbälder, Magiere und Jäger streifen unerkannt durch die Wäld und bekämpfen sich im Geheimen. Aber auch nur die Vampiregesellschaft war komplex in verschiedene Familien unterteilt, mit verschiedenen Eigenschaften, die sich wiederrum in zwei verschiedenen „politischen“ Gruppen organisierten (Die „Guten“ Bösen, aus der sich die meisten PCs rekrutieren und die „Bösen“ Bösen, die vor allem als Bösewichter dienen), die sich alle gegenseitig bekämpften und in Machtspiele verwickelten.  Das war ein durchaus faszinierender HIntergrund mit viel Geschichte – aber auch viel „Lore“ (also Wissen), dass die Spielenden sich aneignen sollten, um sich auch aqäquat zu bewegen. Da die Bücher sich zudem sehr humorbefreit und prätentiös gaben (und dabei auch schon mal deutlich über die Stränge schlugen) wurde nicht zuletzt auch ein bestimmter Spielertyp angesprochen, den ein Mitspieler recht treffend als „Rollenspielfascho“ bezeichnete. Doch trotz dieser Hypothek: Dank der guten Quellenbücher und der durchaus faszinierenden Welt bin ich doch jahrelang in diese Welt eingetaucht.

Das  Vampir-Regelbuch. Sieht in echt etwas besser aus als auf dem Bild

Dann haben sich die Macher selbst ins Kinie geschossen: Alles war auf „Gehenna“ eingestellt, ein „in bäldiger Zukunft“ erwartetes Ereignis, dass alles verändern sollte (sozusagen Corona). Und das musste nun ja irgendwann kommen. In diesem Fall in dem Moment, als alle Quellenbücher leicht überarbeitet ein zweites Mal erschienen sind und nicht erwartet werden konnte, dass sie sich auch ein drittes Mal noch verkaufen würden. Und Gehenna änderte alles. Was blöde ist, wenn a) jeder die Welt mochte, wie sie war und b) sich die Fans ein enormes Nerdwissen angeeignet hatten, das jetzt nutzlos werden würde. Gehenna floppte.

Meines Wissens ist vor kurzem aber wieder ein neues Reboot erschienen, das wieder Ordnung herstellt. Zwar sind die bösen Bösen jetzt Geschichte, aber die guten Bösen sind intakt und deren Clans, aus denen sich die meisten Charaktere rekrutieren ebenfalls. Und das sind auch die Clans, die in diesem Brettspiel von den Spielenden verkörpert werden.

Ob vor oder nach oder trotz Gehenna wird im Regelbuch nicht erwähnt und ist für das Setting auch egal: Die Clans bekämpfen sich gegenseitig um Macht zu gewinnen, denn Macht sind Siegpunkte und wer hätte nicht gerne viele Siegpunkte? Eben! Gekämpft wird an mehreren Orten um eben diese Macht (und um Personenkarten, die einen Macht und die Währung Blut bescheren) und gekämpft wird mit Karten. Jeder Spielende hat ein eigenes Deck, mit Karten, die zum eigenen Vampirclan passen. Die Karten haben einen Wert und einen Effekt. Erst werden die Karten zu den Orten gespielt (die Anzahl der Karten nimmt im Spiel zu, was für einen guten Spannungsbogen sorgt) und der Wert kann durch den Einsatz von Blut erhöht werden. Wer seine Karte gemeierweise verdecken will, muss ebenfalls mit Blut zahlen. Nach dem Kartenspiel werden Karteneffekte ausgelöst, dann werden Belohnungen an die Clans mit den höchsten Gesamtwerten vergeben und es werden weitere Effekte ausgelöst und dann gehts zum nächsten Ort. Im Kern ist das Spiel einfach – wie das Rollenspiel, dass die Vorlage bietet.

Doch wie das Rollenspiel ist auch Vendetta durch das „Lore“ sperrig: Viele Begriffe („Diablerie“) wollen erst einmal verstanden werden und es gibt eine Reihe von kleineren frickeligen Regeln. Vor allem aber sind die Interaktionen zwischen den (allesamt einzigartigen) Karten oft sehr komplex. Anders als beim Rollenspiel hat hier aber niemand das letzte Wort, es gibt hier keine höchste Instanz. Es gibt bereits 54 Regelthreads bei Boardgamegeek, fast alle befassen sich mit der Interaktion von Karten. Für ein einfaches Prügelspiel sicherlich zu viele.

Diese Hürde kommt daher, dass sich jedes Deck wirklich anders spielt und vor allem auch passend zu den entsprechenden Clans. Ich finde es regelrecht beeindruckend wie gut sich das Lore des Rollenspieles hier wiederfindet: Die brutalen Bruhja, die quasi die Schlägetrupps der Vampirwelt darstellen, etwa haben hohe Werte, aber keine wirklich schlimmen Effekte. Die Blutmagier betreibenden Tremere dagegen haben regelrechte Hammerkarten, aber die Kosten an Blut sorgen für einen regelrechten Tanz auf dem Vulkan (Fällt der Blutwert auf Null, kann das katastrophale Ausrikungen haben). Die Gangrel, die vor allem an der Peripherie der großen Städten leben, haben eher schwache Werte, können aber mit geschicktem Spiel auch hier immer „von der Peripherie“ aus punkten. Und so weiter. Das ist alles sehr stimmig und für jemanden wie mich, der sich in der Welt auskennt, sehr cool.

Allerdings hat diese Flexibilität eben die Kehrseite, dass die Karten z.T. echt komplex sind und dass die Effekte nicht leicht zu erfassen sind. Vielleicht soll man das auch gar nicht – Autoren und Spieldauer sprechen eher für die Intention eines lockeren Chaos-Spieles. Doch geht es hier eben nun einmal um Siegpunkte und es ist nun einmal möglich viel durchzurechnen und die Folgen einer Fehlkalkulation können enorm sein (In einer Partie hingen für mich 9 von abschließend 34 Siegpunkten an einer Regelinterpretation). Als Folge ist die Spieldauer höher, als ich sie in einem durch Karteneffekte getriebenen Spiel gerne hätte – ehrlich gesagt haben wir die 30 Minuten immer sehr deutlich verfehlt, in der ersten Partie waren wir gut zwei Stunden unterwegs (was aber auch an zwei nicht sehr entscheidungsfreudigen Spielern lag) – Sind die Decks bekannt, geht es etwas flotter, aber die Interaktionen sind jedes Mal neu und da viele Karten sehr stark von anderen Karten abhängig sind, treten immer wieder Regelfragen auf. Verstärkend kommt hinzu. dass Vendetta wirklich in Vollbesetzung gespielt werden will – viele Karteneffekte varriieren mit der Anzahl der Gegner und Clans mit vielen entsprechenden Karten sind bei Minimalsbesetzung defacto benachteiligt. Vor allem aber lebt das Spiel ja gerade von diesen Interaktionen und da sind mehr eigentlich besser. Wenn es nur flotter ginge! Es ist aber eher schwierig von den Spielenden gleichzeitig zu verlangen, dem Kampf um Siegpunkte ernst zu nehmen und gleichzeitig auch nicht.

Zusammenfassend: Vendetta ist ein Spiel mit toll umgesetztem Hintergrund und einfachem Kern. Der Hintergrund macht das Spiel aber sperrig und sorgt für Regelunsauberkeiten. Es ist damit nicht nur eine gute Umsetzung des Settings von Vampire, sondern auch eine Umsetzung der Stärken und Schwächen des Rollenspieles. Eine echte Rollenspielumsetzung sozusagen.

Peer Sylvester
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