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Undo – Das Kirschblütenfest

Verlag: Pegasus
Autoren: Michael Palm, Lukas Zach
Spieleranzahl: 2-6
Alter: ab 10 Jahre (theoretisch kann man es alleine spielen. Das Alter ist m.E. aber zu niedrig angesetzt. Regeltechnisch kein Problem für Zehnjährige, geht es hier doch um „erwachsene“ Themen)
Spieldauer: Ein Durchgang dauert etwa 45-60 Minuten. Ein möglicher zweiter sollte deutlich schneller gehen. Die (ins Spiel integrierten) Regeln zu lesen schlägt noch etwa 10 Minuten oben drauf – wer das System kennt, startet entsprechend schneller.

Das Undo-System hat mich total verwirrt. Nicht weil es kompliziert zu spielen wäre – Das ist es mit Sicherheit nicht:  Ziel ist es, zu verhindern, dass jemand stirbt, über den man absolut nichts weiß. Jede Runde wählt man einen beliebigen Punkt aus dessen Leben (= eine Karte) aus, liest einen Absatz über eine dort spielende Szene und wählt aus drei Alternativen aus, wie man die Szene beenden möchte. A, B oder C. Mehr ist nicht. Wie gesagt, sehr leicht…

Doch Undo funktioniert so gänzlich anders als ich dachte, dass es funktionieren würde. Tatsächlich hatte ich mehr herkömmliche Rätsel erwartet oder vielleicht etwas in Richtung Sherlock Holmes Criminal Cabinet. Das aber ist Undo nun gerade nicht: Vielmehr zwingt es  einen Entscheidungen zu treffen – WELCHEN Zeitraum wollen wir uns anschauen? WELCHE Entscheidung müssen wir dort treffen? – die man genau genommen nicht treffen kann, weil man zu wenige Informationen hat. Zur Erinnerung: Die Reihenfolge, in der man die Karten besucht ist völlig den Spielern überlassen! Während einer Partie werden nicht einmal alle Karten verwendet, so dass man niemals die ganze Hintergrundgeschichte kennen kann. Daher ist es gut möglich, ja wahrscheinlich, dass man eine wichtige Szene vor sich hat, das aber gar nicht weiß. Oder auch nur weiß, wer die handelnden Personen sind. Geschweige denn, dass man die symbolische Bedeutung bestimmter Handlungen oder Gegenstände einschätzen kann. Zwar kann man sich nähere Informationen besorgen, doch dies nur sehr eingeschränkt und ob man genügend Kontext hat, um diese Informationen auch zu verarbeiten ist völlig offen, ja zufällig.

Entsprechend improvisiert man. Und da liegt je nach Blickpunkt die Genialität oder der Schwachpunkt des Undo-Systems; Da man nicht genügend Informationen hat, muss man mit dem wenigen arbeiten, was man hat – und das bedeutet, man überlegt sich gemeinsam Hypothesen, ersetzt sie durch andere Hypothesen, wählt die Option, die vermeintlich den wenigsten Schaden anrichtet, guckt sich bei den Jahreszahlen an, ob sich plötzlich etwas im Leben des Verstorbenen verändert hat oder beginnt mit den jüngsten Erlebnissen oder durch andere Szenen angedeutete Schlüsseldaten und hofft und bangt, dass man die richtige Entscheidung getroffen hat – was man anhand der vergebenen Punkte zum Glück sofort rückgemeldet bekommt. Dieses sofortige Feedback ist wichtig, denn dann weiß man, ob man zumindest grob auf der richtigen Spur ist oder nicht. Tatsächlich wird im Laufe der Partie immer klarer, was eigentlich passiert ist, die Geschichte nimmt immer konkretere Formen an. Was nicht bedeutet, dass man bei Spielende alle Details verstanden hätte oder am Ende bei jeder Karte die beste Option wählen kann – man kann aber schon bestimmte Optionen besser ausschließen. Und manchmal auch gezielt das Richtige rausgreifen (manche Entscheidungen sind dabei durchaus leichter zu treffen als andere).

Prinzipiell sieht man immer kleine Ausschnitte aus einem riesigen Bild. Am Anfang hat man keine Ahnung, was auf dem Bild jetzt eigentlich genau zu sehen ist. Je mehr Ausschnitte man sieht, desto eher vermutet man, um was es bei dem Bild geht. Da man aber nie das ganze Bild sieht, kann es immer sein, dass man das entscheidende Element oder wichtige Querverbindungen einfach noch nicht zu Gesicht bekommen hat. Das ist schon cool – aber ich mochte bei dem Film Cube auch immer die Story und das Rätseln der Charaktere über den Hintergrund mehr als die Gewaltdarstellungen der Fallen.

Erst mit der Auflösung nach einem Spielsieg (bei einer Niederlage darf man die Partie wiederholen) erfährt man alle Details. Dieses offene, wenig konkrete ist das was eine Partie Undo ausmacht. Wer gerne Hypothesen aufstellt und sich überlegt, wie die Geschichte verlaufen könnte, wird glücklicher als jemand, der ein Rätsel gelöst sehen will.

Dabei ist der Schwachpunkt die Wertung – man kann gewinnen, indem man an den richtigen Stellen die richtigen Entscheidungen trifft oder in dem man an unwichtigen Stellen durchgehend gute Entscheidungen trifft. Das ergibt für die entstehende Story nicht immer einen Sinn – um mal ein gänzlich von mir ausgedachtes Beispiel zu nehmen: Wenn man schon verhindert, dass der Killer, das Opfer überhaupt trifft – wieso gibt es dann noch Punkte wenn man ihm dann noch die Waffe wegnimmt? Und hat es überhaupt irgendwelche Auswirkungen auf den Mord, wenn man dafür sorgt, dass die Schweine gut gefüttert sind? Die Wertung ist anders kaum möglich, hat aber einige Mitspieler durchaus gestört. Umgekehrt ist Undo aber eben kein Film, nicht mal ein Choose-Your-own-Adventure-Buch, sondern mehr ein Quantum-Objekt, dessen Interpretation den Zustand mit beeinflusst – für all diese vermeintlichen logischen Probleme, lassen sich Erklärungen finden – und da man das ganze Spiel über interpretiert und hypothetisiert hat, passt die Wertung irgendwie doch.

Undo lief so konträr zu meinen Erwartungen, dass  ich erst gar nicht wusste, was ich von dem ganzen halten sollte. Mittlerweile halte ich dass das Undo-System für eines der interessantesten Experimente im Brettspielbereich der letzten Zeit ist. Ob das Experiment gelungen ist, wird von der Qualität der anderen zwei Fällen abhängen – ich werde sie mir aber auf jeden Fall ansehen.

Und mir eine weniger dilettantische Schachtelgraphik wünschen, denn die hat das Spiel auf keinen Fall verdient.

 

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Peer Sylvester
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