Verlag: Iello
Autor: Hinata Origuchi
Spieleranzahl: 2-4
Alter: ab 8 Jahre
Spieldauer: 20 Minuten
So ein Spielerlebnis ist auch immer ein wenig mit kleinen Enttäuschungen übersäht. Die erste Enttäuschung war, zu erfahren, dass der Titel des Spiels eigentlich viel länger ist. Für den deutschen Markt wurde er aber auf das sehr austauschbare und kaum erinnerungswürdige „The Legend of the Cherry Tree“ verkürzt. Das mag vielleicht oberflächlich wirken, aber die erste Runde eines Spiels mit dem Namen „Die Legende des Kirschbaums der alle zehn Jahre blüht“ versprüht Charme und Verspieltheit. The Legend of the Cherry Tree hätte genauso gut nach einer beliebigen Provinz Japans benannt werden können.

Aber schon kurz nach der Regelübersicht ist klar, dass das Spiel weder viel erzählerische Tiefe, noch thematische Dichte besitzt. Es ist ein verhältnismäßig einfaches und gradliniges Sammelspiel mit sehr übersichtlicher Punkteabrechnung am Ende.
Umso überraschter, und auch ein wenig enttäuscht, geriet ich am Ende eines Zuges dann doch ins Stolpern. Welche Blüten müssen zurück in den Beutel? Darf ich noch nachziehen? Welche Farbkombinationen darf ich mir nicht erlauben? Wo kommen jetzt welche Blüten hin?
Es ist nur ein kurzer Moment der Verwirrung am Zugende. Wenig dramatisch, aber dennoch verwunderlich. Obwohl alle anderen Informationen zum Spiel sprachneutral auf Sichtschirm und Karten abgebildet sind, fehlen überraschenderweise Piktogramme, die den Zug selbst erläutern. Erfahrene Spieler haben sicherlich nach kurzer Zeit keine Probleme mehr damit. Aber auch diese Zeit will erstmal aufgebracht sein.

Je nachdem wie sehr man sein Glück während seines Zuges ausreizt, kann man manche oder auch alle Blüten, die man aus dem Beutel gezogen hat, behalten. Dann gibt es noch die 3 besonderen Fähigkeiten (als Einsteiger- und Profi-Variante), die man womöglich bei einem gelungenen Zug einsetzen kann.
Wer sich jetzt fragt, was es mit diesen Fähigkeiten auf sich hat und wie sie das Spielgefühl beeinflussen, dem sei gesagt, dass das Herz des Spiels nicht im Ziehen der Blüten steckt, sondern in der wortwörtlich allerletzten Entscheidung im Spiel.

The Legend of the Cherry Tree ist ein kurzes, und auch kurzweiliges, Spiel. Man sollte sich von den Optionen beim Blüten ziehen nicht ablenken lassen. Es handelt sich dabei eigentlich nur um ein in viele Schritte aufgeteiltes Ziehen einer Spielhand. Es geht nicht darum welche Hand wir ziehen, sondern wie wir diese einsetzen.
Die Blüten werden auf zwei Arten in Siegpunkte verwandelt. Eine davon ist öffentlich, die andere geheim. Die Öffentliche ist für jeden Spieler ersichtlich, da sie nun ja… öffentlich ist. Jeder kann nachrechnen mit wie vielen Punkten jeder Spieler in die Abrechnungsphase startet.
Aber es sind die Blüten, die man hinter seinem Sichtschirm sammelt, die das eigentliche Spiel entfalten. Diese teilt man gemäß ihrer Farben in zwei Gruppen auf. Wer sich die Mehrheit holt, bekommt nochmal groß Punkte. Bisher ist das wenig außergewöhnlich.
Zwei der Farben im Spiel sind jedoch Joker und können nach Belieben in die beiden Gruppen gelegt werden. Hier überrascht das Spiel dann mit einem cleveren Kniff. Denn man muss seine Joker geschickt auf die beiden Gruppen aufteilen, um die bestmögliche Punktzahl zu holen. Plötzlich wird einem klar, dass man hätte aufpassen sollen, welche Blüten die anderen Spieler hinter ihren Schirm gelegt haben. Man muss abwägen welche Verteilung die besten Chancen liefert, um den Spielsieg zu holen.

Es ist dieser kleine Unterschied, der aus einem seichten Push-Your-Luck-Spiel einen witzigen kleinen Wettstreit mit Biss macht. Das Ziehen mündet in einem spannenden Finale, bei dem es um den Sieg geht. The Legend of the Cherry Tree hat eine ungewöhnliche Spannungskurve, die durchaus ihren Charme hat. Leider braucht man einige Runden, um sich dessen bewusst zu werden. Ich bin mir nicht sicher, ob die meisten Gruppen sich beim Ende der ersten Partie nicht bereits aus diesem japanischen Idyll verabschiedet haben.
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