spielbar.com

Shell We?

Autor: Reiner Knizia

Verlag: Korea Boardgames

Für 2-4 Personen ab 8 Jahren

Spieldauer: 30 Minuten (eher 15-30 Minuten)

Eines der Spiele, die ich in meinem Leben zweifellos am häufigsten gespielt habe, ist Elfer Raus. Das liegt vor allem an meiner ersten Lebenshälfte begründet: Elfer Raus war eines der wenigen Spiele, die schon vor mir in den elterlichen Haushalt einzogen – Unsere Edition stammt von 1960 (Elfer Raus selbst ist seit 1925 auf dem Markt). Es liegt aber auch daran, dass es ein sehr eingängiges Spielprinzip ist: Karte legen oder ziehen, wobei man gegenüber Mau Mau den Vorteil hat, dass man weiß, wo und wann welche Karte angelegt werden kann – eben immer nur auf die aktuellen höchsten bzw. Niedrigesten Plätze jeder Farbreihe, die mit einer Elf begonnen wird. So kann man zumindest manchmal Karten gezielt spielen oder zurückhalten, um die Farbreihen in für einen günstige Richtungen zu locken. Nur ergibt sich natürlich die Möglichkeit dazu längst nicht immer – wer nur die Enden der Reihen auf der Hand hält, steht auf verlorenem Posten.

Da sich das Spiel aber aufgrund der Einfachheit und Familienfreundlichkeit doch recht großer Beliebtheit erfreut (das Spiel ist immerhin satte 100 Jahre praktisch ununterbrochen in Deutschland erhältlich), wurde versucht, diesen Frustfraktor irgendwie auszugleichen. Dazu wurden Spezialisten angeheuert: Wolfgang Kramer interpretierte 2011 die Legeregeln flexibler mit Elfer Raus! Extra und Reiner Knizia ergänzte das Kartenspiel um ein Spielbrett für sein Elfer Raus – Das Brettspiel.

Ohne die Lizenz ist das Spielprinzip (ergänzt um eine Variante mit flexiblerem Bonussystem) nach Korea gekommen. Diese Version liegt mir vor – bei meiner Bestellung war mir noch nicht bewusst, dass es die Neuinterpretation eines meiner absoluten Kindheitsspiele sein würde.

Das Problem der „zu viele Endkarten lassen sich nicht kompensieren“ wurde gleich mehrfach bekämpft ‑ das erste Plättchen (die man hier statt Karten legt) darf noch irgendwo eingesetzt werden, es gibt zahlreiche Verbindungen zwischen Farbreihen, es gibt Bonuszüge, mit denen man Plättchen frei verteilen oder anderweitig loswerden kann, es gibt Jokerplättchen, die überall angelegt werden können ‑ so dass es tatsächlich eher die Ausnahme denn die Regel ist, passen und Plättchen ziehen zu müssen. Allenfalls in den ersten oder den letzten Zügen kommt das einmal vor, der Beutel wurde hier noch nie leer gespielt (während beim Kartenspiel der Stapel längst aufgebraucht war, bevor die ersten ins Ziel trudelten) und das auch nur auf der “schwierigeren” Seite.

Tatsächlich überkompensieren die neuen Elemente die Schwächen des Originals sogar, denn taktisches Steuern der Zahlenreihen ist jetzt bestenfalls nur noch sehr bedingt möglich. Dadurch verschiebt sich der Schwerpunkt merklich von „Ich muss irgendwie versuchen, nicht letzte:r  zu werden“ zu „Wie viele Plättchen kann ich in meinem Zug mit Hilfe von Boni idealweise loswerden“ und „Wird Spieler:in x diese Runde fertig und ich sollte die Minuspunkte (die verbleibenden Plättchen) minimieren? So frustrierend das Kartenglück bei Elfer Raus auch sein mochte, so spannend konnte es gelegentlich sein, wenn es darum ging, ob man doch noch rechtzeitig die Endkarten abwerfen kann. Shell We ist weniger frustrierend, hat keinen Leerlauf und ist gefälliger. Es ist auch eine sehr blutarme Geschichte, denn am Ende bewegen sich alle in etwa auf demselben Niveau, die Überlegungen ändern sich während oder zwischen den Partien nicht groß. Elfer Raus hat ausgedient, weil es mittlerweile sehr viel bessere Reisespiele gibt. Shell We ist wegen der Größe als Reisespiel ungeeignet und erscheint zu einem Zeitpunkt, an dem es bereits sehr viel bessere, ähnlich gefällige Legespiele gibt.

Legespiele leben meistens davon, dass man auf die Zukunft wettet, kurzfristiges gegen langfristig abwägt und/oder einen überraschend genialen Platz für ein Plättchen findet. In Shell We gibt es keine Wetten, nur Reihenfolgen, es gibt keine genialen Plätze, nur vorgegebene Plätze. Das einzige was Shell We bietet sind gelegentliche Legeboni, die aber zu oft eintreten und wenig spektakulär sind. Damit bleibt Shell We während der ganzen Partie auf Sparflamme.

Peer Sylvester
Letzte Artikel von Peer Sylvester (Alle anzeigen)