Autoren: Matthias Prinz, Martin Kallenborn
Verlag: Kosmos
Für 1-5 Spieler*innen
ab 12 Jahren
Dauer: ca. 60 Minuten pro Fall
Redcliff Bay Mysteries ist kein Spiel mit einem Krimithema, sondern eine Kriminalgeschichte im Spielformat. Dieser Unterschied ist wichtig, da der Fokus nicht auf dem Spiel, sondern auf der Geschichte liegt. Diesen Punkt sollte man aber nicht als Vorwurf missverstehen. Es geht darum Redcliff Bay Mysteries in den richtigen Kontext zu setzen, um nicht mit der falschen Erwartungshaltung an den Tisch zu kommen.
Denn das Spielprinzip von Redcliff Bay Mysteries ist sehr schlicht gehalten. Auf mehreren Kartenstapeln verteilt, befinden sich kurze Texte welche zusammengenommen eine Kriminalgeschichte ergeben. Insgesamt gibt es in der Schachtel vier solcher Kriminalfälle, welche miteinander zusammenhängen und welche über weite Strecken die gleichen Orte und Personen betreffen.
Unsere Entscheidungen bewirken welche Kartentexte wir in einem Spieldurchlauf aufdecken und welche wir ungesehen in die Spielschachtel legen. Statt die Geschichten in Kapitel zu unterteilen, nutzt Redcliff Bay Mysteries Uhrzeitangaben auf den Kartenrückseiten. Haben wir zum Beispiel die 10 Uhr-Hauptkarte aufgedeckt, stehen uns die 10 Uhr-Ortskarten zur Verfügung.
Wir dürfen nur eine der so verfügbar gemachten Karten umdrehen und lesen. Unter bestimmten Umständen ist es auch möglich weitere Karten des gleichen Kapitels (der gleichen Uhrzeit) umzudrehen. Diese können zusätzliche und ergänzende Informationen bieten. So hofft und spekuliert man weitere Hintergründe und Indizien über das Geschehen zu sammeln. Hat man den Hauptstapel aufgebraucht, gilt es den Kriminalfall zu lösen in dem man zwei bis drei Fragen dazu beantwortet.
Die spielmechanische Tiefe von Redcliff Bay Mysteries ist verhältnismäßig gering. Was man in Anbetracht der Größe der Schachtel und des Spielbretts nicht sofort vermuten würde. Aber dafür vereinfacht das gewissermaßen den Einstieg. Gerade Menschen, die vielleicht mit zu viel Ehrfurcht auf moderne Brettspiele schauen, mag man so ein wenig die Berührungsängste nehmen.
Dafür dient auch der erste Fall des Spiels, der effektiv eine Regeleinführung ist und in seiner Erzählfunktion eher dem Vorspann eines Fernsehkrimis ähnelt. Es findet eine angeleitete Einführung in die Strukturen und Abläufe des Spiels statt und wir lernen parallel einige Charaktere des Spiels kennen. Diese Einführung mutet in ihrer sorgfältigen Kleinschrittigkeit beinahe bevormundend an und weckt womöglich Sorgen, dass das restliche Spiel ähnlich engmaschig und eingleisig daherkommen wird.
Dem ist glücklicherweise nicht so. Aber unsere Entscheidungen selbst kreisen immer nur darum welche Karten wir umdrehen. Damit erfüllt das Regelkonstrukt seinen Zweck. Die interessante Dynamik und Interaktion von Redcliff Bay Mysteries findet nicht in der Anwendung der Regeln, sondern im Gespräch untereinander statt. Aus den Informationshäppchen, die wir erhalten, spinnen wir Hypothesen und Theorien wer was wo und warum getan haben könnte.
Das erinnert oft an die gelungene Kartenspielreihe „Sherlock“. Dort sorgt die zufällige Verteilung der Karten oft für eine unvorhersehbare Ermittlungsarbeit der Spieler*innen. Nicht selten entpuppt sich eine zu Beginn leichtfertig abgeworfene Karte als der wichtigste Hinweis für die Lösung des Falles. Man kann so unwissentlich die eigene Ermittlung zum Entgleisen bringen und sich damit auch den Spielspaß sabotieren.
Diese Gefahren bietet Redcliff Bay Mysteries nicht. Dank des Uhrzeitsystem ist die Informationsvergabe an die Spieler*innen genau getaktet und liegt fast vollkommen in der Hand der Spielmacher. Dadurch kann der Fall erzählerische Finten bieten und sogar für überraschende Wendungen sorgen, ohne den Spannungsbogen in Gefahr zu bringen.
In diesen Momenten ist man ganz besonders motiviert herauszufinden, was als nächstes passiert. Es sind aber auch die Momente in denen sich Redcliff Bay Mysteries am wenigsten wie ein Spiel anfühlt und am Deutlichsten einer erzählten Geschichte ähnelt. Ob man das als Enttäuschung oder Erfolg wertet, hängt von der zu Beginn erwähnten Erwartungshaltung ab, mit der man die Schachtel auf den Tisch packt. Wer eine Geschichte erzählt bekommen möchte, wird sich hier wohl fühlen.
Umso bedauerlicher ist es, dass obwohl der Plot der einzelnen Fälle dramaturgisch gut ausgebreitet wird, die Tonalität von Redcliff Bay Mysteries oft ins Straucheln gerät. Das Ambiente verortet sich irgendwo zwischen einem viktorianischen „Mord ist ihr Hobby“ und stark anachronistischen Anspielungen, wie aus einem humoristischen Point’n’Click-Adventure der 90er Jahre. Das Ergebnis ist ein Krimi, der in einem Setting spielt, das sich selbst nicht ganz ernst zu nehmen scheint. Entsprechend fällt es uns ähnlich schwer die Ereignisse der Geschichte für voll zu nehmen und tief genug einzutauchen, um begeistert zu werden.
In den Texten gibt es Anzeichen, dass Redcliff Bay und seine Bewohner eine eigene Historie besitzen, die man in einem Folgespiel vielleicht hätte besuchen können. Aber so bleibt vieles in Redcliff Bay schablonenhaft und wird von Anspielungen an Phoebe Buffay aus Friends, Dinner for One oder unglaubwürdig benannten Ortskirchen eher ins Lächerliche gezogen.
Redcliff Bay Mysteries hätte ein guter Einstieg für Krimifans sein können, um sich modernen Brettspielen anzunähern. Aber so bleibt man mit dem Gefühl zurück ein solides Proof-of-Concept gespielt zu haben, welches vielleicht in der nächsten Inkarnation sein Potential ausschöpft.
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