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Precognition

Autor: Julien Prothière
Verlag: Ludonaute
Für 2 – 4 Spieler*innen
ab 12 Jahren
Spieldauer: etwa 60 Minuten

Julien Prothière hat mit Kreo/Kreus und Roméo & Juliette zwei anspruchsvolle, aber zugängliche kooperative Spiele geschaffen. Beide Spiele sind in ihrer Art außergewöhnlich und bieten keine leichte Kost. Aber für geneigte Spielenthusiast*innen eröffnen sie interessante und spannende Spielerfahrungen, die im kooperativen Umfeld für sich stehen können.

Mit Precognition scheint er sich nun an einem kompetitiven Spieldesign beweisen zu wollen. Aber irgendwie auch nicht. Das Konzept des Spiels ist zwar ungewöhnlich, aber in seinen Umrissen einfach gefasst. Wir geben Karten nach links und rechts weiter. Uns selbst bleiben zwei Karten, die wir gemeinsam oder einzeln nutzen können, um unser Tableau aufzuwerten. Dort befinden sich Siegpunkte (Menschen, die wir retten wollen), um die es am Ende gehen wird. Auf unserem Tableau sammeln wir noch weitere Ressourcen (Nahrung für die Menschen und Heiler, für erkrankte Menschen), die wir im Verlauf des Spiels benötigen werden, um unsere Menschenfiguren vor Hunger und Gefahr zu schützen. Abgerundet wird unser Tableau durch besondere Bonusfähigkeiten, welche wir versuchen können im Laufe des Spiels freizuschalten. Nichts davon bricht völlig mit dem, was wir bereits aus anderen Spielen kennen. Aber dennoch ist Precognition anders auf eine Art, die nicht ohne weiteres zu fassen ist.

Capt. Stubing meldet kalten Gegenwind im Anflug

Die deutlichste Andersartigkeit des Spiels lässt sich an den konkreten Regeln erkennen. Das Weitergeben und Erhalten von Karten ist auf ungewöhnliche Art mit den individuellen Kartenstapeln verbunden. So erhälte ich zwei Karten von der Person zu meiner Linken. Eine Karte davon werde ich im Laufe der Runde zurückgeben. Gleichzeitig habe ich aber auch zwei eigene Karten nach rechts weitergegeben, um in dieser Runde ebenfalls eine davon zurückzubekommen. Um das ganze nicht zu übersichtlich werden zu lassen, ziehe ich zwei weitere Karten vom eigenen Stapel. Am Ende der Runde werde ich eine Karte nach links zurückgegeben, eine eigene Karte von rechts zurückbekommen und eine Karte aus der Hand für mich selbst gewählt haben. Damit habe ich zwei aktive Karten (eine von rechts erhaltene und eine selbst gewählte), die es auszuführen gilt und zwei inaktive Karten, die ich nach rechts weitergebe und so die nächste Runde vorbereite.

Das klingt kompliziert, aber ironischerweise ist diese Regel nicht die größte Hürde mit der Precognition aufwartet. Sicherlich braucht es einige Anläufe, um diesen Kartenkreislauf von Runde zu Runde fehlerfrei auszuführen. Aber mit etwas Wiederholung ist dieser Ablauf schnell gemeistert.

Deutlich schwieriger, da nur indirekt angedeutet, wird es wenn Precognition verlangt, dass man nicht nur das eigene Tableau, die eigene Hand und die eigene Strategie verfeinert, sondern den gesamten Spielkreislauf berücksichtigen soll, um optimale Züge zu machen. Gerade im regulären, kompetitiven Modus des Spiels gibt es dafür keine Notwendigkeit. Denn so lange alle anderen am Tisch die Messlatte nicht nach oben heben, gibt es auch keinen Grund Precognition anders zu spielen als jedes andere Eurogame in dem es um Ressourcen-Optimierung geht.

Aber die erste Andeutung, dass Precognition mehr einfordert, findet sich bereits im Regelheft. Der Regelablauf ließe sich kurz und knapp erklären, wenn man allein die Handlung einer einzelnen Person betrachtet: Karten nehmen, Karten auswählen, Karten weitergeben. Das ist kurz, einfach und eingängig. Stattdessen wird in der Anleitung aber die Perspektive über den gesamten Spieltisch eingenommen. Ob dahinter eine didaktische Absicht steckt, ist reine Spekulation. Es ergibt aber Sinn, wenn man das Spiel ein paar Mal gespielt hat oder sogar den (angeblich) optionalen kooperativen Modus ausprobiert hat.

Denn dort geht es darum nicht nur die Entscheidungen und Karten der eigenen Person zu bedenken; man muss auch die Abläufe und Zusammenhänge des gesamten Systems im Kopf halten. Damit folgt Precognition dem gleichen Ansatz, der bereits Kreus und Roméo & Juliette so spannend und fordernd gemacht hat. Wenn man sich vom Zufall des Kartendecks zumindest stellenweise losreißen will, braucht man einen Zustand der völligen Geistegegenwärtigkeit. Oder „Unagi“ wie Ross Geller sagt.

Man muss gewillt und bereit sein das eigene Hirn zu strapazieren und mehrere, sich im Fluss befindende Faktoren der gesamten Spielrunde mental jonglieren. Das ist eine ziemliche Herausforderung. Um sich an sie heranzuwagen, bietet sich zu Beginn die kompetitive Variante des Spiels an. Sie erlaubt es den engen Fokus auf das eigene Tableau und das eigene Deck zu werfen. Wer rechts und links von mir sitzt, muss einfach nur schlechte Karten zugespielt bekommen und ich selbst versuche das Beste aus meiner Kartenkombo zu holen. Das spielt sich nach kurzer Zeit flüssig und schnell herunter. Fordernd ist das Spiel in dieser Form jedoch nicht. Am ehesten ringt man damit sich daran zu erinnern in welcher Abfolge bestimmte Dinge ausgeübt werden müssen und welche man nicht vergessen sollte.

Stattdessen gleicht Precognition in der kompetitiven Version einem Tutorial. Es ist wie das Tauchen im Kinderschwimmbecken, bevor man in der kooperativen Variante vom 3-Meter-Brett hüpfen muss. Während man im Spiel gegeneinander einfach nur irgendwelche Siegpunkte ins Ziel bringen muss (und wenn möglich mehr als alle anderen am Tisch); setzt die kooperative Variante mehrere Ziele, die es genau zu erreichen gilt.

Diese Auslage ist nur mit viel Zusammenarbeit und Voraussicht möglich

Ziele, die nur wenig Spielraum für sub-optimale Züge lassen und hohe Konzentration von allen fordern. Denn sobald auch nur eine Person am Tisch ihre vorgelegte Aufgabe nicht erfüllt hat, ist das Spiel verloren. Das unterscheidet Precognition nicht wesentlich von anderen kooperativen Spielen, die verschiedene Bedingungen und Gefahren liefern, die das Spiel zu einem frühen Ende zwingen. Aber dennoch fühlt es sich hier anders an. Es lastet hoher Druck auf jedem von uns und es ist nur durch kluge Kooperation und gewissenhafte Vorausplanung möglich, das reguläre Ende des Spiels zu erreichen. Das macht Precognition zu einem kooperativen Spiel auf sehr hohem Niveau.

Während ich diese Kritik zu Precognition schreibe, fällt mir auf wie stark des Design eigentlich ist und wie viele interessante und ungewöhnliche Entscheidungen sich darin auftun können. Aber genau das ist vielleicht mein schärfster Vorwurf an das Spiel. Diese Dinge sollten mir, wenn schon nicht beim Lesen des Regelwerks, spätestens beim Spielen selbst deutlich werden. Ich sollte beim Spielen erkennen können, dass Precognition spielerische Tiefe und spannende Herausforderungen bietet. Es sollte mir dadurch den Anreiz bieten es immer und immer wieder spielen zu wollen.

Aber das sich das Spiel erst durch eine intensive, schriftliche Auseinandersetzung eröffnet, sollte nicht passieren. Als Kritiker bedanke ich mich natürlich, dass es ein Spiel gibt, welches ich „entdecken“ darf, um anderen davon zu erzählen. Unterm Strich kann ich dem Spiel jedoch lediglich bescheinigen, dass wenn man sich den Aufwand macht nicht nur den Spielablauf zu verstehen und die Spieldynamik zu verinnerlichen, man im Anschluss den kooperativen und damit „vollständigen“ Modus angehen kann. Erst dann entfaltet sich Precognition in seiner Gesamtheit und erst dann kann man wirklich einschätzen wie viel Spaß man daran hat. Aber der Weg dorthin ist alles andere als gut beleuchtet.

Es mag Spielertypen geben, die es lieben, viel Zeit und Lernaufwand zu investieren, um ein Spiel auf hohem Niveau zu meistern und feiern zu können. Womöglich finden sich unter ihnen auch Leute, die Precognition als spezielle Delikatesse loben, die nur von trainierten und belastbaren Spieler*innen gewürdigt werden kann. Aber die größte Hürde liegt nicht in den Regeln, oder im hohen Schwierigkeitsgrad des Spiels. Es ist die Tatsache, dass es mehrere Anläufe mit bis zu drei weiteren Spieler*innen benötigt, um sich überhaupt auf das richtige Spiel einzulassen. Denn diese Art von Verpflichtung ist schwer einzufordern, wenn man sich nicht sicher ist was für eine Spielerfahrung am Ende auf die Gruppe wartet.

Die interessanten Entscheidungen und anspruchsvollen Herausforderungen sind vorhanden. Es ist auch sehr befriedigend, wenn die Synergien zwischen den Spieler*innen nicht nur versehentlich gelingen. Wenn man durch vorausschauendes Planen und Mitdenken die Hürden nimmt, die das Spiel einem in den Weg stellt, fühlt sich das sehr gut an. Aber es ist deutlich schwieriger dieses Spielniveau zu erreichen, als man es von vielen – gerade auch kooperativen – Spielen gewohnt ist. Precognition ist ein anspruchsvolles, kooperatives Spiel, welches vertraute Elemente auf ungewöhnliche Weise vermengt. Das es seine Besonderheiten jedoch erst mit ausreichend Aufwand und Übung offenbart, wird ihm wohl in vielen Spielrunden zum Verhängnis werden.

Georgios Panagiotidis
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