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Pendulum

Verlag: Stonemaier Games
Autor: Travis P. Jones
Spielerzahl: 1-5
Alter: ab 12 Jahren
Dauer: 60-90 Minuten

Eurogames sind ja generell nicht so für ihre thematische Tiefe bekannt. Das ist auch in Ordnung, nicht immer muss ich tief in eine Geschichte eintauchen, um eine positive Spielerfahrung zu haben. Unterschiedliche Spiele machen unterschiedliche Angebote, was den Spielspaß betrifft.

Dennoch sind die meisten Eurogames thematisch eingebunden und das nicht zu Unrecht: Eine thematische Einkleidung hilft zu verstehen, was bei einem Spiel zu tun ist: Ich baue Ställe, um darin Nutzvieh zu halten, um das zu verkaufen, um damit Geld zu machen, um damit den Kirchenbau zu finanzieren, was mir Vorteile und Siegpunkte bringt. Derselbe Handlungsstrang könnte bei einem anderen Spiel lauten: Ich baue Weinfässer, um darin Wein reifen zu lassen, um den zu verkaufen, um damit Geld zu machen, damit ich damit mein Weingut weiter ausbauen kann, was mir Vorteile und Siegpunkte bringt. Oder gar: Ich baue Pentagramme, um damit Dämonen einzufangen, die mir mystische Macht geben, mit der ich die Weltherrschaft erringen kann, was mir Vorteile und Siegpunkte bringt. Thematisch ist das nicht tief, aber es gibt eine Richtung und eine innere Spiellogik vor.

Das beschreibe ich deswegen so ausführlich, weil ich immer noch Probleme habe, zu definieren, was bei Pendulum eigentlich das Thema ist, was für eine innere Spiellogik die Mechanismen eigentlich haben. Sicher, es gibt eine launige Hintergrundgeschichte um verschiedene Wesen/Monster/Dämonen, die ein Land regieren wollen und deswegen im Wettstreit um drei Arten von Siegpunkten… ich meine im Wettstreit um „Macht“, „Beliebtheit“ und noch was (die dritte Eigenschaft, vergesse ich immer, weil es total egal ist) stehen. Aber außer einer netten Graphik auf den Spielertableaus bleibt das Spiel abstrakt. Und nicht nur „Eurogames-Abstrakt“ sondern „abstrakt-abstrakt“.

Das fängt schon mit den Aktionen an, die im Spiel durchführt werden: Wie bei Worker Placement – Spielen üblich setzt man auch hier seine Arbeiter auf Aktionsfelder (mit der üblichen Einschränkung, dass nur ein Spieler eine Aktion durchführen darf, diesmal allerdings mit mehreren Ausnahmen). Doch wo bei einem normalen WP-Spiel Spieler vielleicht einen Arbeiter in die „Mühle“ stellen um gelbe Holzwürfel (Korn) in weiße Holzwürfel (Mehl) umzuwandeln, setzt man seine Leute hier auf… Aktionsfelder. Pendulum verzichtet auf jedwede thematische Fassade, was bedeutet, dass man sich schlicht merken muss, was wo gemacht werden kann. Es bedeutet auch, dass die Mechanik überhaupt nicht verschleiert wird, mehr noch als bei anderen Eurogames hat man daher hier eher das Gefühl eine Maschine zu bedienen, statt thematisch etwas aufzubauen.

Und das betrifft auch das große Zentralelement des Spieles: Die Echtzeitkomponente.

Wer bei „Echtzeit“ an hektisches Alle-Bauen-Gleichzeitig-irgendwas-und-der-schnellste-gewinnt denkt, liegt falsch. Das funktioniert ab einer gewissen taktischen Tiefe einfach nicht mehr sehr gut, auch weil der Verwaltungsaufwand zunimmt und „Hektik“, da gleich bedeutend mit „viele Fehler“ machen ist – und was bei Galaxy Trucker lustig ist, wäre bei einem Spiel wie Agricola frustrierend und führt leicht zu unabsichtlichen Schummeleien und umgeworfenem Spielmaterial. Bereits Tobias Stapelfeldt hat das 2006 mit Space Dealer (später: Time ´n Space) erkannt und die Sanduhr zur Entschleunigung genutzt – genutzte Sanduhren durften erst wieder verwendet werden, wenn sie durchgelaufen sind.

Pendulum geht einen ähnlichen Weg, aber etwas abstrakter und einfacher: Jeder Bereich auf dem Spielplan (in der Regel thematisch kohärent mit „Bereich“ bezeichnet) ist in zwei identische Teile geteilt und in jeweils einem Teil rieselt die Sanduhr. Arbeiter dürfen nur dort bewegt werden, wo die Sanduhr nicht ist. Arbeiter genutzt (also Aktionen durchgeführt) werden darf nur dort wo die Sanduhr steht. Da die Sanduhren unterschiedlich schnell laufen ist weniger Hektik als Timing gefragt: Im richtigen Moment die Arbeiter in den Bereich stellen, den man möchte, dann abwarten, bis die Sanduhr dort durchgelaufen ist und umgestellt werden kann. Dann den Arbeiter auslösen und wenn die Sanduhr erneut abgelaufen ist, kann und sollte der wiederverwendet werden. Das klappt gut und auch wenn es gelegentliche Engpässe gibt, sind die Überlegungen nicht grundsätzlich unterschiedlich von anderen Arbeitereinsetzspielen – mit dem großen Vorteil, dass niemand alles durchrechnen kann, weil er sonst seine Einsätze verpasst. Wenn sich die Innovation um den Sanduhrmechanismus am Ende auch nicht so originell in der Praxis anfühlen, wie es sich vorher auf den Papier angekündigt hat, ist die dadurch gestellte Aufgabe durchaus reizvoll. Die Rolle der Sanduhr in der inneren Spiellogik bleibt aber unklar.

Pendulum stellt mehrere mittelanspruchsvolle Logistikaufgaben – Produktionsketten müssen so gestaltet sein, dass in jedem Schritt das benötigte auch bereitliegt und keine Sanduhr verschwendet wird. Das erzeugt Stress, ist aber auch eine schön knobelige Herausforderung. Wichtiges Designelement sind die asymmetrischen Charaktere, deren Fähigkeiten leicht variieren. Herauszufinden, wo die einzelnen Figuren ihre Stärken und vor allem ihre Schwächen haben, empfinde ich als augsesprochen reizvoll: Wo sind Engpässe? Wie umgehe ich die? Dies zu erkennen und sich anzupassen sorgt für schöne Momente. Da daraus ein Spiel wird, liegt aber auch mit daran, dass die Produktionsketten eben nicht so intuitiv sind wie bei anderen Spielen. Kann ich bei Twilight Imperium nach nur einer Partie schon mit einem Blick sehen, wie sich die einzelnen Aliens ungefähr wohl spielen werden, müssen die Figuren bei Pendulum schlicht ausprobiert werden. Statt einen Charakter zu wählen, dessen Spielweise einem entgegen kommt, führt man quasi ein Experiment durch, um zu sehen, wie sich die Vorteile überhaupt auswirken und die Nachteile kompensiert werden können.

Das ist keine Kritik – ob einem das zusagt, ist vom individuellen Geschmack abhängig – ich persönlich mag das experimentieren aber durchaus, Spieler die den  Spielschwerpunkt eher auf strategische Überlegungen sehen wollen, werden jedoch wohl anders empfinden. Das liegt an dem vom Spiel gegebenen Feedback, dass fast ausschließlich negativ ist. Gerade in den ersten Runden einer Partie wird man zwangsläufig immer wieder Fehler machen (alles andere wäre auch Spaßtötend), so wird man eine Sanduhr falsch einschätzen, einen falschen Rohstoff nehmen oder die Reihenfolge zweier Aktionen vertauschen und dann beginnt die schöne Logistikkette zu reißen: Ich habe nicht genug Geld um das Militär zu bekommen, daher fehlt mir ein Rohstoff für die Provinz, dadurch kann ich die Auftragskarte nicht erfüllen, dadurch bekomme ich den eingeplanten Vorteil nicht… Ein Loch ist im Eimer. Oder „For want of a nail the war is lost“ wie es im Englischen so schön heißt. Erst wenn in Runde 4 eine (hoffentlich) robustere Maschine entstanden ist, können Fehler besser kompensiert werden und es gelingen sogar überaus befriedigende Siegpunktexplosionen.

Das erwähnte negative Feedback spielt auch deswegen eine so große Rolle, weil man bei Pendulum nicht wirklich von den Mitspielern lernen kann – durch die Echtzeitkomponente ist schlicht keine Zeit denen zuzusehen. Hier puzzelt jeder neben her und nimmt sich gelegentlich mal versehentlich ein dringend benötigtes Aktionsfeld weg (das ist wieder negatives Feedback! Allerdings kommt das auch nicht wirklich oft vor, so dass man sich fragt, ob es den ganzen eingeschränkten Einsetzregeln nebst Ausnahmen wirklich bedurft hätte oder ob das schlichtweg ein so traditionelles Worker-Placement-Element war, dass niemand auf die Idee kam, darauf verzichten zu wollen).

Müsste ich meine Erfahrungen mit Pendulum zusammenfassen, dann würde ich sagen: Viele  Spiele ziehen zumindest einen Teil des Spielreizes daraus, dass man das Spiel entdeckt. Pendulum erwartet vom Spieler, dass er das Spiel lernt. Damit meine ich nicht die nackten Regeln – die sind nicht überaus kompliziert – sondern, die Implikationen, die Ketten, die Was-passiert-Dann-Effekte. Durch das fehlende Thema und die negative Interaktion müssen sinnvolle Handlungen nicht nur entdeckt werden, sondern es müssen auch viele kleine Dinge schlicht gepaukt werden – Etwa: „Nimm niemals ein Gold – Das Auslösen der gelben Provinz ist immer besser!“. Etwas zu Lernen kann sehr motivierend wirken. Es kann aber demotivieren, wenn man das Gefühl hat, dass man gemachte Lernerfolge wieder vergessen hat oder nicht anwenden kann. Ein Spiel sollte es einem leicht machen, die interessanten Momente zu erleben. Pendulum bietet viele kleine schöne Momente. Doch leicht, diese zu erleben, macht es es einem nicht.

Peer Sylvester
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