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National Economy

Autor: Hiroshi Nishimura

Verlag: Dexker Games

Für 1-4 Personen ab 12 Jahren

Spieldauer: 30-45Minuten (für unerfahrene Gruppen eher 20 Minuten pro Person)

Kurze Anmerkung: Die Bilder zeigen die Chinesische Ausgabe. Es gibt auch eine vollständig englischsprachige

Eine obsolet gewordene Kunst ist es, Computerprogramme so zu schreiben, dass sie Speicherplatz sparen. Musste noch bis in die späten 90er Jahre jeder Trick angewandt werden, um ein Computerspiel noch unfallfrei auf die Diskette zu bekommen, kann man heutzutage nicht einmal mehr im Internet surfen, ohne Datenmengen im Gigabytebereich anzusammeln. Ich will nicht sagen, dass die Spiele damals besser waren, aber die Programme an sich (also das Coding), waren kreativer.

Ein bisschen fühle ich mich bei einer Reihe von modernen Expertenspielen an diese Entwicklung erinnert. Nur dass es jetzt nicht um Speicherplatz  sondern um den „Design Space“ geht. Der war zwar genau genommen nie beschränkt, aber die Notwendigkeit von schlanken Regeln ist dennoch mittlerweile durch die Internationalisierung des Vielspielermarktes ziemlich aufgeweicht; Will ein/e Autor:in einen bestimm

Wizball screenshot C64
Hat nichts mit National Economy zu tun: Wizball

ten Effekt erreichen, so kann dies mit einer fast beliebigen Anzahl von Regeln geschehen. Insbesondere wird Komplexität oft durch ein Mehr an Regeln erzeugt: Wenn es drölf Variablen gibt, die balanciert werden müssen und zig verschiedene Wertungsmöglichkeiten beachtet werden wollen so schafft das zweifellos Komplexität, aber eben auf Kosten einer hohen Lernkurve. Wenn ein Spiel eine ähnliche Komplexität mit deutlich weniger aber cleveren Regeln erreicht, so nennt man ein Spiel „elegant“. Zyniker mögen anmerken, dass Eleganz allein noch kein gutes Spiel macht, aber das ist Tinnef, Minimal verringern elegante Regeln die Einstiegshürde und erlauben es den Spielenden sich auf die spielerischen Elemente zu konzentrieren, statt nur darauf, nichts falsch zu machen.

Ich finde Eleganz aber auch auf handwerklicher Ebene bewundernswert. Es ist für mich ebenso beeindruckend was die Schöpfer von Wizball aus den sehr begrenzten Fähigkeiten des C64 herausgeholt haben, wie wenn es einer spieleschaffenden Person gelingt, mit wenigen Regeln ein spannendes Wirkungsgeflecht zu kreieren. So wie es etwa  National Economy tun (Hatte ich eigentlich erwähnt, dass mein Bruder und ich zu zweit Wizball zweimal durchgespielt haben? Einmal auf dem Amiga, einmal Jahre später auf einem Emulator. So, jetzt habe ich das erwähnt. Das war mir wichtig. Zurück zur Sendezentrale).

Hiroshi Nishimura scheint sich die Frage gestellt zu haben: „Wie minimalistisch kann ein nicht-triviales Arbeitereinsetzspiel sein?“ und seine Antwort ist ein lautes Ja!

Card from National Economy is showing a school and a +1orker symbol
In der Schule gibt es neue Arbeiter

In der ersten Runde sind unsere Möglichkeiten überschaubar: Es gibt nur zwei Arbeiter pro Person und nur wenige Einsatzmöglichkeiten. Entsprechend werden sich die einzelnen Eröffnungszüge in den verschiedenen Partien sehr ähneln. Dass sich die gewählten Strategien (und Spielverläufe) dennoch in fast exponentieller Geschwindigkeit voneinander entfernen, liegt an den Gebäuden, die man baut – letzteres stellt logischerweise eine Einsatzmöglichkeit für die eigenen Worker dar. Die Gebäude kommen in Kartenform daher (entsprechend  ist das Ziehen einer Gebäudekarte eine weitere Workeroption), geben in der Regel weitere Möglichkeiten für die arbeitende Bevölkerung (daher unterscheiden sich einzelne Partien recht bald voneinander) und werden mit weiteren Handkarten bezahlt. Handkarten mit Handkarten bezahlen zu müssen, bei vielen Spielen für interessante Entscheidungen, hier hat Nishimura noch den Kniff hinzugefügt, dass der einzige Rohstoff „Bananen“ ist . Handkarten ohne Funktion, die aber billig gewonnen und so zum Gebäudebau ohne Reue wieder abgeworfen werden können.

An dieser Stelle wird man vielleicht denken: „OK, ein sehr schlankes Arbeitereinsetzspiel mit Sondergebäuden. Nett, aber vermutlich doch etwas eindimensional.“ Wer gerne Spiele anhand von vagen Beschreibungen bewertet, wird vielleicht sogar befürchten, dass hier nur kalte, absolut gnadenlose Effizienz gefragt ist und alle schwächeren Spielenden bald abgehängt werden. Ich will das mit der Effizienz nicht ganz verneinen, aber dass National Economy wirklich mehr bietet als eine optimale Kartenreihenfolge liegt an zwei sehr clever vernetzten  Regeln: Einmal müssen die Arbeiter am Rundenende bezahlt werden – und zwar im Laufe des Spieles immer besser. Die Inflation trifft uns alle! Gelingt dies nicht, so müssen die eigenen Gebäude verstaatlich werden: Man bekommt den Siegpunktwert als Geld ausgezahlt und kann damit die Arbeiter bezahlen. Das verstaatliche Gebäude und dessen Funktion ist aber nicht weg, sondern steht lediglich ab der nächsten Runden allen zur Verfügung. Nur die Siegpunkte sind halt in die Taschen der Untergebenden geflossen.

Das ist nicht nur ein witziger Mechanismus, es lässt die Anzahl der Optionen jede Runde steigen (ein neuer Arbeitereinsatzplatz kommt zudem immer dazu) und ändert so die Dynamik des Spieles. Nebenbei sorgt es auch für thematisch nette Momente.

Aber halt! Da ist noch mehr! Nur bei der Verstaatlichung kommt das Geld aus der Bank. Bei allen Arbeiter-Aktionen, bei denen aus Handkarten Geld generiert wird (die einzige andere Möglichkeit an Geld zu bekommen), kommt das Geld aus der Staatskasse. Und die füllt sich einzig und allein aus den gezahlten Gehältern, ist also sehr begrenzt. Wenn jemand am Anfang der Runde per Aktion Geld aus der Kasse nimmt, leert sich der Pool. Wer zu lange mit Geld – Aktionen wartet, muss nehmen was übrig bleibt und das kann bald deutlich zu wenig sein.

Card from National Economy and 10$
Die Aktion würde gegen Abgabe von 3 Handkarten satte 18$ generieren (pro Worker zahlt man zwischen 2$ und 6$), in der Staatskasse sind aber nur noch 10$

Die Spannung, die sich durch die Exklusivität des Arbeitereinsatzortes ergibt, ist in vielen Spielen diesen Genres Teil des Spielspaßes. National Economy ist schlanker als die meisten anderer Vertreter, so dass die Auswirkungen einer bestimmten Wahl transparent sind. In Verbindung mit der stets knappen Staatskasse wird diese Spannung besonders gefördert: Man muss absolut priorisieren, in welcher Reihenfolge man die eigenen Aktionen machen will, denn es ist immer möglich, ja wahrscheinlich, dass die anderen die eine oder andere Aktion ebenfalls durchführen wollen oder aber die Staatskasse leeren: Es wäre gut wenn ich mir erst Handkarten holen würde, weil ich ohne nicht bauen kann und dann die Aktion des Gebäudes, auf meiner Hand nicht nutzen könnte, weil es ja noch nicht gebaut ist. Aber ich brauche auch dringend Geld und wenn ich warte, ist wahlweise mein Wunschfeld besetzt oder die Staatskasse leer… Sollte  ich darauf setzen im Notfall dann mein Lieblingssgebäude zu verstaatlichen…?

Wirklich jeder Zug ist stellt einen Kompromiss dar, jede Zug der anderen wird spannend beäugt- und dennoch hat man immer das Gefühl, dass man noch auf einen Notfallplan ausweichen kann. Optimieren ja, aber eben nicht gnadenlos.

National Economy ist aber auch ein Experimentierkasten: Wenig Arbeiter zwängen mich schon sehr ein, aber kosten halt nichts. Viele Arbeiter schaffen was weg, aber ich brauche auch viele Aktionen um entweder genügend Geld oder genügend zu verstaatlichende Gebäude zu generieren. Und wann ist der beste Zeitpunkt für den Arbeiterzuwachs? Die Frage wird verkompliziert, weil ich neue Arbeiter zwar erst eine Runde später nutzen, aber bereits in der laufenden Runde bezahlen muss. Theoretisch ist man auf fünf Arbeiter beschränkt, aber mit speziellen Gebäuden kann man bis zu sieben Arbeiter haben. Sieben! Das hat noch niemand gewagt! Zu Unrecht? Was anderswo ein automatischer Zug ist, ist hier alles andere als trivial. Zumal auch die verfügbaren Gebäude eine große Rolle spielen dürften, welche Strategien welche Wirkung haben. Das ist spannend. Und -bedenkt man das schlanke Regelwerk – auch ungemein beeindruckend.

Peer Sylvester
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