Autoren: Rebecca Bleau, Nicholas Cravotta
Verlag: Kosmos:
Für 1-4 Spielende ab 14 Jahren
Spieldauer: 30-60 Minuten (Tutorial 10 Minuten)
Rätselspiele haben sich als eigenständiges Genre etabliert und sind auf dem Weg dahin, eine ganz eigene Spezies im „Spieluniversum“ zu bilden, analog zu den Rollenspielen. Das kommt nicht von ungefähr, denn ein immer größer werdender Anteil von Rätselspielen legt immer mehr Wert auf Rollenspiel: Statt einfach „nur“ eine Reihe von mehr oder minder abstrakten Rätseln zu lösen, wird der Anteil des Settings immer größer und die Anzahl der spielerischen Mechanismen im gleichen Maße zurückgefahren. Das geht soweit, dass die progressiveren Vertreter gar keine klassische Spielstruktur mehr anbieten, sondern die Spielenden mit einer Menge Material beglücken, mit denen die Spielenden anfangen können, was sie wollen solange sie irgendwie die nötigen Informationen extrahieren.
Dieser Ansatz setzt ein passendes Setting voraus, ein Setting, dass die Spielenden intuitiv verstehen und in dem sie die dargebotenen Informationen verwerten können. Bislang geschah dies fast ausschließlich im Kriminalumfeld – sei es auf Seiten des Gesetzes, sei es als kriminelle Person. Die designtechnische Herausforderung aus diesem Umfeld auszutreten, um andere Rollen einzunehmen, besteht vor allem darin, dass oft Spezialwissen vonnöten ist, dass entweder vorausgesetzt oder in irgendeiner Form dargeboten werden muss. In Kaifeng 982 etwa versucht man aufgrund von Quellen als Archäologe einen alten Fall zu lösen, hier helfen Ausdrucke von Wikipedia-Seiten bei entscheidenden Fakten.
Die Medizin bietet für ein Rätselspiel erst einmal eine große Anzahl an potentiellen Mysterien, die zudem schnell zu erfassen sind: Warum schreit diese Person so fürchterlich? Warum ist jene Person gerade spontan ohnmächtig geworden??? Ein Spiel in diesem Umfeld anzusiedeln, kann daher spannend sein – eben auch weil die Popkultur mit zahlreichen Serien es den Spielenden leicht macht, ihre Rollen zu finden.
Eben jene Serien zeigen aber auch gerade, dass es selbst für gelernte Medizinerinnen schwierig ist, Diagnosen zu stellen. Selbst wenn man den geschönten Ablauf von Spiel und Serien als dramaturgische Prämisse wahrnimmt – also, dass wir Ärzte sich ausschließlich um eine einzelne Patientin kümmern und fast unbegrenzt medizinische Tests anordnen können, deren Ergebnisse uns praktisch ohne Zeitverlust zur Verfügung stehen- ist das größte Problem das fehlende Medizinstudium.
Medical Mysteries löst dies mit einem kleinen Nachschlagewerk, in dem die spielerisch relevanten Medikamente, Behandlungsmethoden oder Krankheitsbilder beschrieben werden. So können sich die Spielenden auf ihre Rolle konzentrieren. Ein gewissen medizinisches Grundwissen (unterstützt durch das Nachschlagewerk) hilft dabei zu überlegen, welche der möglichen Optionen tatsächlich Sinn macht. Der Patient reagiert realistisch auf richtige oder falsche Behandlungen mit einer entsprechenden Änderung seines Gesundheitszustandes – das passt zum Rollenspiel. Dennoch würde Medical Mysteries schnell zu einer Abfrage der Informationen aus dem Nachschlagewerk verkommen, wenn es nicht auch außerhalb des reinen Nachlesens von medizinischen Fakten, nicht noch ein paar weitere Kniffe zu bieten hätten. Tatsächlich muss nicht nur herausgefunden werden, wo es denn jetzt genau wehtut, sondern auch was den Schmerz potentiell verursacht hat. Hier müssen dann -ganz Krimispiel-klassisch – Informationen aus Krankheitsbild und Aussagen der betroffenen Personen in Beziehung gesetzt werden. Wir geben uns nicht mit der Diagnose zufrieden, wir wollen es genau wissen! Dabei ist der Spannungsbogen durchaus gelungen: Oft müssen wir erst einmal verhindern, dass die Person stirbt oder schweren Schaden erleidet. Erst wenn das schlimmste abgewendet wurde, ist die Zeit gekommen, sich den tiefergehenden Fragen zu widmen. Das wirkt auch in der Art, wie man an neue Informationen kommt durchaus realistisch. Das durch entstehende Rollenspiel macht in diesem Rätselspiel einen Gutteil des Spaßes aus – Die Rolle, in die wir schlüpfen, wird selten in Spielen so immersiv bedient. Dazu passt auch, dass der zu schreibende Abschlussbericht auch Optionen enthalten darf und sollte, die uns vorher nicht zur Verfügung stehen. So kann es z.B. Punkte dafür geben, dass wir den Patienten für die Zeit nach dem Spiel an einen Therapeuten verweisen oder empfehlen, in Zukunft auf Fleisch zu verzichten oder so. Dadurch wirkt der Abschlussbericht nicht wie eine reine Fleißaufgabe, sondern als echte nichtmechanische Abschlusshandlung des Falles – eine Rollenspiel, keine spielerische Handlung.
Tatsächlich bilden Rätsel und Rollenspiel selten eine so gelungene Einheit wie hier. Rätselpuristen mögen daher über einen eher niedrigen Schwierigkeitsgrad schimpfen, verfehlen dabei aber den Punkt des Spieles. Dies ist kein Escape Room, dies ist ein Rollenspielabenteuer. Ein passender Vergleich sind Ausnahmsweise einmal alte Computerspiele: Wie in PoliceQuest sollten wir bestimmte Vorgehensweisen beachten – nur dass wir diesmal nicht gefeuert werden, wenn wir nicht um unser Auto rumlaufen, sondern um Fehldiagnosen zu vermeiden. Und wie in Life&Death kann man sich auch theoretisch durch Ausprobieren dem Ziel nähern, allerdings mit dem höheren Risiko zu scheitern. Die Kombination dieser beiden Konzepte funktioniert wunderbar.
#Spiel24
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