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Infiltraitors

Autoren: John und Liam Kean

Verlag: Broadway Toys

Für 2-4 Spielende ab 10 Jahren

Spieldauer: 20-30 Minuten pro Mission (die Einstiegsmissionen deutlich schneller)

Jedes Jahr in Essen gibt es die große Hatz nach den „geheimen Schätzen“, den Spielen, die nicht in den großen Listen auftauchen, die Spiele, die man nicht mal eben im Großhandel ordern kann, die aber wirklich originell sind und hohen Spielspaß bieten. Spiele wie Kung Fu, Dice Fishing oder Electropolis (Alles Spiele die Europäische Verlage aus unerfindlichen Gründen noch nicht für sich entdeckt haben). Dieses Jahr  ist dieses Spiel Infiltraitors.

Vor einigen Jahren, die Älteren werden sich erinnern, kam ein kleines Spiel namens Die Crew heraus. Die Crew stellte mit Karten kleine Aufgaben, die mittels Stichspiel gelöst werden mussten. Der große Erfolg des Spieles lag nicht zuletzt daran, dass diese Aufgaben auch deshalb immer anders waren, weil die Kartenhände variierten. So war jedes Spiel von der Ausgangslage her spannend: Was habe ich bekommen? Was muss erreich werden? Was haben die anderen eventuell bekommen und wie können wir das Ziel erreichen? Auch wenn die Lernkurve gerade für Leute ohne Stichspielerfahrung sehr steil war, schafften es die klaren Aufgabenstellungen doch, die Neugier und den Ehrgeiz der Leute zu wecken: Die Crew motivierte zum Experimentieren mit verschiedenen Herangehensweisen und das schaffte ein Gemeinschaftsgefühl über das übliche Kooperative Spielgefühl hinaus.

Infiltraitors schafft nun etwas ähnliches in einem auf dem ersten Blick nischigerem Genre: Deduktion. Deduktion, das klingt nach , Mastermind oder PM Logiktrainer, jedenfalls nach Denkarbeit. Das ist nicht ganz falsch, doch Infiltraitors schafft es durch eine klare Aufgabenstellung ein Spielgefühl wie bei Die Crew zu erzeugen: Erraten werden müssen zufällige Karten aus einem Kartenstapel. Die Spielenden teilen die mehr oder minder unter sich auf und sind immer für eine Karte zur Zeit verantwortlich – die kennen sie, die anderen müssen diese ermitteln. Wer dran ist und keine Karte erraten kann oder zumindest keinen Fehlversuch riskieren möchte, spielt eine Karte entweder um Informationen zu seiner eigenen Karte zu geben oder um damit Informationen über eine andere Karte erfragen. Man bekommt die Antwort ob die gespielte und die gesuchte Karte „zusammenhängen“ – Spieljargon für „Gleiche Farbe und/oder gleiche Zahl und/oder eine Zahl ist ein Vielfaches/Teiler der anderen Zahl“ (Für Nichtmathematiker stehen alle möglichen Verbindungszahlen immer auf den Karten mit drauf, so dass man nicht fürchten muss, sich zu verrechnen). Das System hat den richtigen Schwierigkeitsgrad um herausfordernd aber nicht zu kopflastig zu sein und stellt damit eine schöne Aufgabe dar. „Eine schöne Aufgabe“ stellen aber viele Deduktionsspiele, von Cryptid bis Search for Planet X. Das alleine reicht nicht!

Glücklicherweise bietet Infiltraitors mehr als nur die hübsche Aufgabe. Das wichtigste: Das Spiel ist kooperativ. Dadurch knobelt man gemeinsam, was bei Puzzlespielen fast immer ein großes Plus ist. Gleichzeitig haben alle Spielenden ihre eigene Kartenhand, die sie eruieren müssen: Nutze ich meine Karten besser um Informationen über „meine“ Karte zu geben oder um Infos über andere Karten zu erfragen? Dieses Doppelspiel aus individueller Hand und gemeinsamer Aufgabe gab es auch in Die Crew. Hier ist es aber klarer, wie man zum Ziel kommt, da keinerlei Stichspielwissen benötigt wird. Das richtige Nutzend er Karten wird aber hervorragend durch mehrere kleine Trainingsmissionen eingeführt. Schnell merkt man da (ohne große Gefahr zu verlieren) welche Karten sich zur Informationssuche eignen und welche nicht. Man bemerkt schnell, dass Karten, die bereits gespielt wurden, ja auch als Ziele wegfallen. Der Einstieg fällt hier leichter als bei der Crew, ohne dass die eigentlichen Missionen simpler wären. Außerdem ist hier die Kommunikation offener, so dass man besser voneinander lernen kann und die Möglichkeit, es für das ganze Team zu versauen, weil man als einziger nicht weiß, wie man seine Hand leeren muss,ist dadurch deutlich geringer.

Die Missionen schaffen kleinere Veränderungen, die aber neue Herausfordrungen schaffen. Wird anfangs lediglich der Schwierigkeitsgrad erhöht, kommen später neue Regeln ins Spiel, die das Spielgefühl angenehm abändern, in dem sie den Herausforderungen neue Seiten abgewinnen. Wie bei der Crew sucht man sich aber prinzipiell aus, was man sich zutrauen möchte. Auch das schafft Motivation!

Infiltraitors ist eines der seltenen rundum gelungenen Spiele. Selbst Thema und Graphik sind gelungen, auch wenn das „Ausschalten“ von infiltrierenden Verrätern per Pistole den einen oder anderen Redakteur abschrecken dürfte. Es gibt nicht viel, was ich verbessern würde. Eigentlich nur die Verfügbarkeit in Deutschland.

Vleibt die Frage: Kann ein Deduktionsspiel überhaupt den Status eines Crews erlangen? Stichspiele haben doch eine größere Tradition! Außerdem klingt es doch nach Mastermind oder Debkarbeit?! Nun ja, Cluedo ist ja auch ein Deduktionspiel und das ist ja auch so ein bisschen erfolgreich weltweit. Ähnliches ließe sich über Scotland Yard sagen. Der Grund liegt hier dass die Aufgabenstellung und die deduktive Leistung klar ist, ohne Ecken und Kanten. Cluedo/Scotland Yard schaffen das auch durch Verknüpfung mit dem Thema. Das gelingt Infiltraitors nicht so stark, wird aber durch die vielen Hilfsmittel – Kooperation, Zahlen auf den Karten, Hilfsübersichten zum Bemalen – ausgeglichen. Auch dadurch ist die Aufgabe klar. Insofern steht meiner Meinung nach dem Siegeszug des Spieles nichts im Wege. Eigentlich nur die Verfügbarkeit in Deutschland.

 

#Spiel23

 

Peer Sylvester
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