Verlag: Czech Games Edition
Autor: Min & Elwen
für 1-4 Spieler*innen
ab 12 Jahren
Dauer: ca. 30-120 Minuten
Es lohnt sich immer ab und an einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Wir lernen nicht nur ein wenig über das was vorher war. Wir können auch unsere Gegenwart manchmal etwas besser einschätzen.
Die Verlorenen Ruinen von Arnak besticht zuerst durch Volumen und Optik. Es ist ein durchaus wuchtiges Spiel mit eindrucksvollen Illustrationen, sehr griffigem Spielmaterial und einer großen Menge an Karten und Symbolen. Es verspricht viel Spiel durch viel sichtbares Material. Dass dieses Versprechen auch eingelöst wird, ist sicherlich einer der großen Pluspunkte des Spiels.
Unser anfänglich kleiner Stapel an Aktionskarten wird sich im Laufe des Spiels deutlich vergrößern. So gewinnen wir mehr Flexibilität und erweitern nicht nur die Zahl der Entscheidungen, die wir von Runde zu Runde fällen. Wir lernen auch besser auf unsere Konkurrent*innen am Tisch zu reagieren, wenn sie uns eine bestimmte Ressource oder Karte vor der Nase wegschnappen. Denn Die Verlorenen Ruinen von Arnak ist zu gleichen Teilen Wettlauf wie Optimierungsaufgabe. Schon nach wenigen Zügen haben wir das Geflecht aus Karten spielen, Ressourcen sammeln und Figuren setzen verstanden. Dann gilt es taktisch klug zu wählen, vorauszuplanen und die Handlungsfreiheit durch Kartenoptionen geschickt mit Siegpunkte aus unterschiedlichen Quellen zu kombinieren. Am Ende kann nur eine*r ganz oben auf dem Treppchen zu stehen. Aber dort hin zu kommen fühlt sich wie eine Errungenschaft an. Wir haben uns unseren Platz auf der Rangliste vielleicht nicht hart erarbeitet, aber zumindest durch unsere getroffenen Entscheidungen voll und ganz verdient. Die fünf Runden, die das Spiel beansprucht, sind lang genug, um dem Spiel Gewicht zu verleihen. Aber sie sind nicht so lang, dass sie unsere Geduld strapazieren.
Eingebettet ist unser Planen und Tun in einen vage umrissenen Hintergrund irgendwann im frühen 20. Jahrhundert. Ein Hintergrund, dessen Erzählmuster und Bildsprache schnell verstanden sind, wenn man an Hut und Peitsche erinnert wird und an die gefährlichen Fallen in den Tempeln, die schon lange von Witterung und dem natürlichen Wachstum der Flora verschlungenen wurden. Die Verlorenen Ruinen von Arnak machen kein Geheimnis daraus, dass hier die Indiana Jones-Reihe und vergleichbare Abenteuerfilme aus den 80ern einen großen Teil der Inspiration lieferten.
Die Verweise auf einzelne Elemente der Filme sind zwar offensichtlich, aber unspezifisch. Das ist verständlich. Denn es geht nicht darum die genauen Momente der Indiana Jones-Reihe zu reproduzieren, sondern einfach nur die Stimmung und Erzählweise der Filme vor dem geistigen Auge zu haben. Es geht um das Erforschen des Unentdeckten und es geht darum eine Niederlage im letzten Moment abzuwenden. Gerade letzteres fängt Die Verlorenen Ruinen von Arnak auf wenig offensichtliche, aber dafür umso effektivere Weise ein. Oft wähnt man sich während einer Runde am Ende seiner metaphorischen Kräfte, weil man keine Karten mehr besitzt, die einen näher an das anvisierte Ziel bringen. Nur um dann plötzlich noch einen Kniff zu entdecken, der auf andere Weise von Vorteil ist. Diese kleinen Erfolgsmomente zeichnen das Spielerlebnis aus. Es ist dieser Grad an Selbstbestimmung und Wirkungsmacht (neudeutsch: agency), den viele Spieler*innen an Spielen schätzen und suchen. Die Verlorenen Ruinen von Arnak bietet viele Möglichkeiten genau das zu erleben.
Aber dieser wiederkehrende Moment der positiven Selbstbestätigung ist vor allem deshalb möglich, weil eine zentrale Eigenschaft der thematischen Inspiration ausgeblendet wird: Indiana Jones ist kein Held. Trotz, oder auch gerade wegen, des großen Charismas von Harrison Ford fällt das erst beim genaueren Hinschauen auf. Indiana Jones ist ein oft zwielichtiger Typ, dessen Entscheidungen von Ehrgeiz, Egoismus und auch einem deutlichen Grad an Gewissenlosigkeit geprägt sind. So moralisch unkompliziert sein Töten von Nazis auch ist, so problematisch ist die Art wie er Freunde, Familie und Liebhaberinnen instrumentalisiert, um an sein Ziel zu gelangen. Erst gegen Ende seiner Filme lässt er diese Dinge hinter sich, um sich anständig zu verhalten.
Einen derartigen oder vergleichbaren Moment, erlebt man bei Die Verlorenen Ruinen von Arnak nicht. Der emotionale Bogen des Spiels ist immer auf Erfolg und Wettlauf ausgerichtet. Die archäologische Arbeit endet nicht damit, dass man die Kultur und Geschichte der verloren gegangenen Zivilisation zu respektieren lernt, ihren unersetzbaren Wert erkennt und sich vor ihr verneigt.
Aber das liegt vor allem daran, dass es eine solche Zivilisation in Die Verlorenen Ruinen von Arnak nicht gibt. Es gibt zwar Bilder, Begriffe und auch einige Spielelemente, die als Verweise dienen könnten, aber sie fügen sich nicht zu einem kohärenten Bild oder auch nur einer schemenhaften Skizze zusammen. Selbst wenn man seinen Spielfokus auf den Forschungsteil des Spielbretts legt, wird die verloren gegangene Zivilisation auf Arnak nicht greifbarer. Er bringt aber zusätzliche Ressourcen, Aktionsvorteile und am Ende des Spiels außerordentlich viele Siegpunkte.
An Stelle des abenteuerlustigen Archäologen-Teams spielen wir eher plündernde Opportunisten, die beim Versuch nach Ruhm und Reichtum alles an sich reißen, was sie in die Finger bekommen. Wir sind näher an René Belloq als an Indiana Jones. Eben diese unfreiwillige Verschiebung lässt die offensichtliche Lücke im Thema des Spiels umso negativer erscheinen. Die verlorene Zivilisation Arnaks hat keine kulturelle Geschichte, die man entdecken kann. Sie ist einfach nur eine Ressource, die es auszuschöpfen gilt, um sich im Wettstreit mit anderen zu messen. Die Parallele zu realen historischen Vorgängen in denen Europäer in andere Kontinente eingefallen sind, um dort Ressourcen zu rauben, mit denen sie sich zu Hause Ansehen erkauften, drängt sich beinahe auf. Zumindest wenn man gewillt ist, das Thema als Teil des Spiels statt nur als Teil der Verpackung zu sehen.
Der einzige Bezugsrahmen den die verlorene Zivilisation Arnaks für die Spieler*innen hat, ist in ihrer Verwertbarkeit für den nächsten Zug. Sie ist ein Verbrauchsgegenstand. So existieren die Erfolgsmomente und das positive Feedback des Spiels immer nur auf mechanischer Ebene. Das ist – neben all den Erfolgen die das Regeldesign, Aufmachung und Spielmaterial sonst verbuchen kann – eine verpasste Chance.
Eben diese Nullstelle im Hintergrund des Spiels stieß in anderen Kreisen auf sehr viel vehementere Kritik. Manche sahen darin eine Parallele zum kolonialistischen Konstrukt des Terra Nullius. Ein rhetorisches Mittel mit dem in der Vergangenheit die Ausbeutung fremder Orte und seiner Ressourcen gerechtfertigt wurde. Das Argument lautete, dass es an diesen Orten keine (zivilisierten) Menschen geben würde und man sich daher ungeniert an allem bedienen konnte was man dort vorfand.
Als fiktiver Ort ist Arnak mit einer untergegangenen Zivilisation ausgestattet von der lediglich Gegenstände verblieben sind. Innerhalb des Spielhintergrundes werden die Gründe dafür nicht angedeutet, geschweige denn erklärt. Aber anders als in der von Rassismus und Kulturchauvinismus geformten Argumention des Terra Nullius gibt es in Die Verlorenen Ruinen von Arnak keine Kulturgeschichte und Bevölkerung, denen der Status als zivilisierte Menschen innerhalb des Spiels aberkannt wurde. Im Gegenteil, es wird suggeriert, dass wertvolles Wissen und archäologisch bedeutsame Funde auf unsere archäologischen Forscher*innen warten. Auch wenn dieses Versprechen von den Spielmechanismen nur unzureichend erfüllt wird, zeichnet sich die Beschreibung der verlorenen Zivilisation Arnaks eher durch Ehrfurcht als durch plumpe Gier aus.
Dennoch ist die Kritik an Die Verlorenen Ruinen von Arnak nachvollziehbar. Gerade wenn man si man sie im Kontext gesellschaftlicher Diskurse betrachtet, die den Kolonialismus stärker in den Mittelpunkt stellen als es in Deutschland der Fall ist. Denn dann scheint diese Leerstelle im Thema einer Herabwürdigung gleichzukommen. So als wäre es gar nicht nötig eine nicht-europäische Zivilisation in einer fiktionalen Erzählung als solche zu vermitteln, wenn man stattdessen den Fokus auf die Erfolge der europäischen Plünderer legen kann.
Aber Spiele sind Kulturobjekte. Ihre Wirkung und Wahrnehmung ist immer vom kulturellen Kontext abhängig, in dem sie gespielt werden. Das befreit Die Verlorenen Ruinen von Arnak nicht vom Vorwurf eine große thematische Lücke im Mittelpunkt des Spiels zu haben. Aber es erklärt, warum diese Leerstelle stark unterschiedlich gelesen wird.
Eine differenziertere Abbildung der verlorenen Zivilisation Arnaks hätte das Spielgefühl nicht nur reicher, plastischer und einzigartiger gemacht. Es hätte auch die hässliche Dissonanz verhindert, wenn das Spiel von Menschen gespielt wird, deren Perspektive nicht in Europa verwurzelt ist. Dabei wäre es nicht mal nötig gewesen hier reale indigene Kulturen oder Völker abzubilden. Repräsentation, so lobenswert und erstrebenswert sie auch ist, verkommt schnell zum Abhaken einer oberflächlichen Checkliste, wenn sie als Antwort auf jedes Missverhältnis zwischen Absicht und Wirkung eines Spiels benutzt wird. Denn die eigentliche Ursache für eine solche Dissonanz sitzt meist tiefer.
Die verlorene Zivilisation Arnaks hätte eine eigene Entität sein können, die man als Archäologe wiederentdeckt, rekonstruiert und vor dem Vergessen werden bewahren kann. Es ist verwunderlich, dass ein Spiel in dem man Archäologen spielt, eine Zivilisation in den Mittelpunkt rückt, die keine Geschichte zu besitzen scheint. Es gibt weder Aufstieg noch Fall in der Geschichte Arnaks. Selbst das plötzliche Verschwinden einer ganzen Zivilisation steht unkommentiert im Raum. So lastet der thematische Einfluss auf das Spielgefühl vor allem auf dem schönen Spielmaterial, den detaillierten Zeichnungen und den vereinzelt eingestreuten Begriffen des Spiels. Das hat in der Vergangenheit oft gut funktioniert, aber seitdem hat sich das Medium weiterentwickelt.
Die Verlorenen Ruinen von Arnak ist ein schön anzusehendes Spiel. Der Spielverlauf ist reizvoll; die Herausforderung im Spiel auf angenehme Weise knifflig. Aber aus diesem robusten und gelungenen Fundament entsteht nichts weiteres und das verwundert. Das Thema eines Spiels, gerade wenn es so sehr die Vorstellungen der Spieler*innen anzusprechen weiß, muss mehr als nur eine Verkleidung der Spielregeln sein.
So ist Die Verlorenen Ruinen von Arnak ein gelungener Rückblick in die Vergangenheit des Mediums. Eine schöne Reminiszenz an mechanisch zufriedenstellende Spielerlebnisse und das Knobelvergnügen, das sie bieten können. Das war schon in 2020 so und ist es heute umso mehr.
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