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Die Gefährten – Das Stichspiel

Autor: Bryan Bornmueller
Illustrationen: Elaine Ryan, Samuel R. Shimota
Verlag: Office Dog / Asmodee
für 2-4 Spieler*innen
ab 10 Jahren
Dauer: 20 Minuten

Die erste Titelhälfte des Spiels „Die Gefährten“ bezieht sich auf den ersten Band des Buches „Der Herr der Ringe“. Man erinnert sich womöglich vage an die mittlerweile schon über 20 Jahre alten Verfilmungen des Buches. Dass Zeit vergangen ist, merkt man auch daran, dass die etablierten Illustrationen von John Howe hier nicht mehr als Orientierungspunkt dienen, sondern neue Künstler sich an der Interpretation der unterschiedlichen Charaktere ausprobieren können. Der zweite Teil des Titels (Das Stichspiel) macht unmissverständlich klar, dass es hier um ein durchaus bekanntes Kartenspiel-Gerne handelt. Der Kniff, der aus dem Titel nicht sofort zu erkennen ist, lautet, dass es sich um ein kooperatives Stichspiel handelt.

Kooperativ? Stichspiel? Da gab’s doch schon mal so was. Richtig! 2020 gewann bereits Die Crew als kooperatives Stichkartenspiel den Kennerspiel des Jahres-Preis. Entsprechend ist das nun der Elefant, der im Raum steht. Denn der Vergleich zu Die Crew drängt sich beinahe auf. In einer Szene, die Spiele gerne auf ihre Mechanismen reduziert, statt die Spielerlebnisse miteinander zu vergleichen, ist das Urteil dann auch schnell und gründlich gefällt.

Die Gefährten – Das Stichspiel muss offensichtlich ein kommerzieller Abklatsch sein. Schließlich gab es ja vorher gar kein kooperatives Stichspiel auf dem Markt. (Trick’n’Trouble/Familiar’s Trouble lässt grüßen.) Aber auch wenn man vom grundlegend absurden Vorwurf absieht, dass ein Kartenspiel veröffentlicht wurde, um damit Gewinn zu machen; bleibt die Frage ob das kooperative Stichspiel an sich genug Variation ermöglicht, um abseits von Die Crew existieren zu können.

Von den fünf Farben gehen vier von 1-7

In anderen Genres ist es sichtbar möglich. Nicht jedes Roll’n’Write-Spiel ist lediglich ein Kniffel-Abklatsch. Nicht jede*r Designer*in eines Deckbuilding-Spiels hat einfach nur Dominion abgekupfert.

In Die Gefährten müssen gespielte Farben bedient werden. Es ist eben ein Stichspiel. Die Kooperation ergibt sich daraus, dass alle Mitspielenden je ein eigenes Ziel haben, welche unter einen Hut gebracht werden wollen. Erst wenn das gelingt, kann man zum nächsten Kapitel der Geschichte übergehen. Dort trifft man auf neue Charaktere und mit ihnen auf neue Ziele. Je weiter man sich in die Details des Spiels einarbeitet, umso deutlicher wird auch, dass das Spielerlebnis sich eben gerade nicht an andere Stichkartenspiele anlehnt.

Hier wurde auf Details geachtet

Die Ziele sind oft an Charaktere gekoppelt, die man zu Beginn einer Partie wählt. Der literarische (oder im Zweifelsfall auch filmische) Hintergrund des Spiels kleidet dabei nicht nur den abstrakten Deduktionsmechanismus des Stichspielens aus. Er verleiht dem Spiel seine eigentliche Identität. Das Stichspiel ist der Unterbau für die uns hoffentlich vertraute Geschichte, die wir in Auszügen spielen. Der Schwerpunkt des Spiels bewegt sich von den Mechanismen in Richtung Thema bzw. Geschichte. Damit verändert sich auch das Spielgefühl. Wir schalten Kapitel für Kapitel frei, und um das zu erreichen, machen wir von Stichspielmechanismen Gebrauch. Dank der Verweise auf Begriffe und Szenen aus Der Herr der Ringe löst sich das Spiel von den reinen Mechanismen des Stichspiels. Figuren und Momente aus der Geschichte Mittelerdes entstehen nicht aus dem Ausspielen der Karten, dem Einschätzen der eigenen Kartenhand oder dem Zuspielen einzelner Stiche. Es sind die in Charakteren manifestierten Ziele und unser Erfüllen oder Scheitern daran, aus dem Bilder in unseren Köpfen entstehen. Unser Vorwissen leistet die kreative Arbeit, um die Ziele in eine lebhafte Vorstellung der Geschichte zu verwandeln.

Wenn etwa Goldbeere drei Mal hintereinander die Aufmerksamkeit auf sich ziehen muss, oder Glorfindel einen Teil der Hobbits vor den Nazgûl rettet, um im Anschluss den Rest der Gefährten vor den Gefahren der Schatten zu bewahren versucht. Es sind Bilder, die sich uns anbieten und deren Erfüllung davon abhängt wie gut es uns gelingt, unsere Kartenhand auszuspielen.

Die Schere zwischen Thema und Mechanismen wird gerne kritisiert, weil der Irrglaube vorherrscht, dass ein „thematisches“ Spiel das Thema mit Hilfe der Regeln abbildet. Dieser Ansatz ist ansprechend, weil er die Kreativität der Spielenden entlastet und diese sich so allein auf die mechanische Herausforderung konzentrieren können. Ähnlich wie die fertigen Bilder eines Films die Vorstellungskraft einer Leserschaft entlasten und das Publikum sich so allein auf die Handlung konzentrieren kann.

Figuren unterscheiden sich in Aussehen und Zielsetzung

Die Gefährten – Das Stichspiel fügt sich nahtlos in die Menge an Kulturobjekten rund um Tolkiens Der Herr der Ringe ein. Es ist eine in Bruchstücken dargebotene Nacherzählung des ersten Bandes mit Hilfe des nun nicht mehr völlig unbekannten Formats des kooperativen Stichspiel.

Die Aufmachung ist farbenfroh und stimmungsvoll. Die spielerische Herausforderung ist fein genug justiert, dass sich Erfolg und Misserfolg die Waage halten. So bleibt man durchgehend motiviert eine weitere Partie zu starten. Die namensgebende Geschichte liefert den spielerischen Schwerpunkt, der unser Tun zusammenführt und dem ganzen eine reizvolle Form gibt. Unter Stichspielen ist das sicherlich ein Alleinstellungsmerkmal.

Georgios Panagiotidis