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Coatl

Verlag: Synapses Games
Autor: Pascale Brassard & Etienne Dubois-Roy
Spielerzahl: 1-4
Alter: ab 10 Jahren
Dauer: 30-60 Minuten

Menschen mögen unter anderem deshalb Spiele, weil sie ihnen die Möglichkeit geben sich so zu verhalten, wie sie es normalerweise nicht tun würden. Emotional ausgeglichene Menschen sehen in anderen nicht Konkurrenten gegen die sie unentwegt im gnadenlosen Wettstreit stehen. Aber dennoch kann man sich an einem bissigen Hin-und-Her bei einem Spiel mit Freunden erfreuen. Das selbe gilt auch für schamloses Lügen oder das Ausleben von ungezügeltem Ehrgeiz. Gerade letzteres findet bei Spielen ein verhältnismäßig sicheres Umfeld um sich darin zu ergehen. Wen das an Brettspielen reizt, wird in Coatl von Pascale Brassard und Etienne Dubois-Roy ein Spiel sehen, welches mit sich selbst nicht im Reinen ist.

Zuerst sticht bei Coatl vor allem die farbenfrohe Präsentation ins Auge und die Spielsteine in Farben, die derart kräftig sind, dass sie nur eine Haares Breite von schrill und grell trennt. Aber wenn man Coatl erst mal auf dem Spieltisch ausgebreitet hat, legt es eher Verspieltheit nahe als aufdringliche visuelle Dissonanz. Eine weitere Stärke des Spiels ist der einfache Regelaufbau. Es braucht schon große Illustrationen, viel Leerfläche und einen große Schriftart um die 12 Seiten des Regelwerks zu füllen. Nichts davon legt nahe, dass man es hier mit einem Spiel zu tun hat, welches mühsam zu spielen und schwer zu Ende zu bringen ist.

Selbst der Rundenaufbau ist vertraut und einfach zu merken. Man sammelt Spielsteine aus der Auslage, legt sie zu einem Coatl zusammen (eine gefederte Schlange welche in Aztekischen Ritualen genutzt wurde) und macht Punkte an Hand der Karten, die man auf sein Coatl gespielt hat. Der erste Spieler, der sein drittes Coatl vervollständigt, beendet das Spiel. So liefert das Spiel eine für alle klar erkennbare Ziellinie.

Bunte Farben sind eher einladend als abschreckend

Aber dennoch und gerade wenn man das Spiel erfahrenen Spielern vorstellt, entwickelt Coatl schon bald die Art von Spielgeschwindigkeit, die man mit Treibsand in Verbindung bringt. Man runzelt die Stirn, reibt sich über das Kinn und die nachdenkliche Stille wird nur gelegentlich von der Bitte unterbrochen, noch ein paar Momente über seinen Zug nachdenken zu dürfen. Das Spiel auf dem Tisch scheint einem anderen Rhythmus zu gehorchen als das Spiel, welches die Teilnehmer gerade beschäftigt.

Ein ansprechendes oder sogar süchtig machendes Spiel entwickelt seinen Reiz daraus wie es Spielerentscheidungen und die Konsequenzen dafür über die Spieldauer verteilt. Passieren diese Dinge annähernd gleichzeitig, fühlt sich eine Entscheidung belanglos und bedeutungslos an. Aber sobald man eine Verzögerung einfügt in dem man Spieler etwa sorgfältig sämtliche Optionen abwägen lässt, oder die das Design des Spiels die Folgen einer Entscheidung um einige Runden verzögert, fühlen sich diese Entscheidungen bedeutungsvoller an. Plötzlich fühlt es sich wie eine Errungenschaft an zu bekommen was man will.

Erfahrene Spieler haben diese Erkenntnis oft verinnerlicht. Sämtliche Optionen abzuwägen hat manchmal weniger damit zu tun frustrierende Fehler zu vermeiden, die einen das Spiel kosten können sondern damit so viel Spielspaß wie möglich aus dem Entscheidungsraum des Spiels zu minen. Darüber nachzudenken was man als nächstes tun wird, macht das was man als nächstes tun wird unterhaltsamer.

Darum zielen viele Designentscheidungen darauf ab Spieler ausreichend Variablen vorzusetzen, um ein sorgfältiges Nachdenken über die Folgen der eigenen Entscheidungen zu provozieren. Nebenbei schafft man eine genüssliche Spannungen, während Spieler darauf warten das das Ergebnis ihrer wohl überlegten Handlungen eintreffen. Es erinnert an die flüchtigen Momente der Vorfreude nachdem man einen Frisbee geworfen hat und zuschaut wo er landen wird. Wenn man ihm nicht hinterherschauen könnte, würde Discgolf kaum noch Spaß machen.

Eine kleine Auswahl der Siegpunktbedingungen, die zur Verfügung stehen

Trotz seiner einladenden Aufmachung und dem einfachen Regelkonzept bietet Coatl seinen Spielern viele Dinge über die sie sich entscheiden können nachzudenken, beim Versuch eine eindrucksvolle Zahl an Siegpunkten einzuheimsen. Die Handkarten zeigen Bedingungen, die der eigene Coatl erfüllen muss. Oft eine bestimmte Anordnung mehrerer Spielsteine ausgewählter Farben. Manchmal kann man diese Bedingung sogar mehrmals in einem Coatl erfüllen, um noch mehr Punkte zu holen. Wer auch nur einen Funken Ehrgeiz an den Spieltisch bringt, wird schon bald versuchen die Handkarten optimal mit den verfügbaren Spielsteinen zu kombinieren um ein Maximum an Siegpunkten zu holen. Das ist es schließlich, was an dieser Art von Spielen so viel Spaß macht. Viele Brettspieler lieben ihre schweren Eurogames aus genau diesem Grund. Komplexe Berechnungen und langfristige Pläne sind ein essenzieller Teil ihres Reizes. Aber Coatl ist kein schweres Eurogame, weshalb der Eindruck, dass man so viel Aufwand aufbringen muss, um das Beste aus dem Spiel zu holen sich nicht so ganz mit dem Rest des Spiels in Einklang bringen lässt.

Der Eindruck man müsste schwer knobeln um eine effiziente und wertvolle Entscheidung zu fällen liegt nicht zuletzt daran, dass es Spielern schwer fällt zu erkennen worauf sie abzielen sollen. Oder einfacher fomruliert: solange man Coatl nicht einige Male gespielt hat, fällt es schwer zu sagen ob 12 Siegpunkte ein gutes, durchschnittliches oder schlechtes Ergebnis für ein einzelnes Coatl ist. Das Spiel liefert aber einige Hinweise. Es gibt drei Fähigkeitsmarker, welche eine 50 auf der Rückseite zu stehen haben, um als Erinnerung zu dienen wenn man über das letzte Feld der Siegpunktleiste (50) hinausschießt. Wenn man die Punktspanne einzelner Handkarten mit der Begrenzung der anwendbaren Karten pro Coatl kombiniert, würde man das obere Limit auf etwa 25 Siegpunkte je Coatl schätzen.

Mit diesem (unvollständigen) Wissen gewappnet wird das Spiel schon nach kurzer Zeit unweigerlich langsam und behäbig vorankommen. Denn was Coatl einem nicht sagt, ist dass der Aufwand seine Punktewertung zu verbessern, exponential ansteigt je mehr man sich holen will. Je stärker man versucht sich der Maximalpunktzahl zu nähern, umso zäher und langsamer wird das Spiel.

Jedes Spiel hat eine Lernkurve, in der sich Spieler mit dem Auf und Ab der jeweiligen Unvorhersehbarkeiten des Spiels vertraut machen und den Wirkungsgrad bestimmter Regelkombination kennenlernen, usw. Hat man diese ein Mal verstanden, spielt es sich gleich flüssiger, interessanter und dynamischer. Coatl hingegen bringt seinen Spielern bei ihren Ehrgeiz zu bändigen.

Es sieht einfacher aus als es ist, und holt gerade mal 20 Punkte

Um das Spiel wirklich genießen zu können, muss man seine Ziele ein wenig unter dem Bestmöglichen ansetzen. Gerade hoch-kompetitive Spieler werden mit diesem Ansatz ihre Probleme haben. Je ehrgeiziger die Spielart, umso verkopfter das Spielgefühl. Dahingehend hat Coatl gewisse Ähnlichkeiten zu Carrossel. Ein ebenfalls leichteres Spiel, welches kompetitive Spieler dazu verleitet hat es als weit komplexer und herausfordernder zu behandeln als es vermeintlich gedacht war.

Auch Coatl spielt sich dann am Schönsten, wenn man es als ein leichtes bis mittelschweres Rennen zur Ziellinie versteht und nicht als räumliches Kombinationsrätsel, welches über sich über Dutzende von Runden erstreckt in denen nicht viel zu passieren scheint bis plötzlich jemand viele Punkte auf ein Mal holt.

Das soll nicht bedeuten, dass Coatl schwere Fehler hat, sondern dass es eine kaum wahrnehmbare Hürde zwischen Spielern und ihrem Spielspaß aufstellt. Eine Hürde, welche vielleicht dazu führt, dass dem Spiel keine zweite Chance gegeben wird. Sobald man aufgehört hat Coatl so ernst zu nehmen, spielt es sich spannend aber dennoch leicht von der Hand.

Georgios Panagiotidis
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