Ich packe hier einmal zwei Spiele zusammen die nichts gemeinsam haben, außer dass es beide Kartenspiele sind. Aber genau aus diesem Grund mache ich das ja!
Spiel 1: Fairy
Autor: Mashiu
Verlag: Allplay
Für 2-10 Spielende ab 6 Jahren
Spieldauer: 5 Minuten
In den 90er Jahren haute das Privatfernsehen eine ganze Reihe von täglichen Spielshows raus, die sehr weit weg von den „Eventshows“ waren, die wir heute erleben: Tägliche Folgen, einfachste Spiele, handgebaute Sets und Frauen, die vor allem dazu da waren, die „analogen“ Anzeigen zu bedienen. Barbara Schöneberger begann ihre Karriere tatsächlich bei einer solchen Spielshow – als Assistentin durfte sie bei Bube, Dame, Hörig große Karten umdrehen. In der Show ging es darum zu raten, ob die nächste Karte höher oder niedriger als die vorherige war. Jaja, so war das damals!
Ich erzähle das nur, weil Fairy im Prinzip die Kartenspielversion von Bube, Dame, Hörig ist, nur ohne Barbara Schöneberger. Und ohne Hörig, Dame oder König. Dafür mit zwei weiteren Optionen: Man darf auch raten, ob die nächste Karte dieselbe Farbe hat, wie die aktuelle oder ob es gar eine von nur drei Feen sein könnte (für einen größeren Punkteregen bei Erfolg versteht sich). Vor allem aber dauert Fairy keine halbe Stunde, da alle gleichzeitig spielen und es so keine Wartezeiten gibt. Die Leute, woll´n das was passiert!
Das Deck ist klein, die Spieldauer dementsprechend kurz. Dadurch befindet sich Fairy in einer fein abgestimmten Seifenblase: Es ist gerade lang genug, dass man seine Wetten an bereits ausgespielte Karten und vor allem dem aktuellen Spielstand anpassen kann. Wer hinten liegt kann mehr riskieren und riskantere Wetten eingehen, in der Hoffnung doch noch zu punkten, Wer vorne liegt, spielt eher auf Sicherheit. Da die Wetten mit kleinen Handgesten getroffen werden, während die andere Hand auf der Siegpunktleiste die Punkte markiert, hat man nicht das Gefühl irgendetwas ernsthaftes zu spielen. Aber für genau diese fünf Minuten fühlt sich Fairy auch nicht banal an. Länger würde das Prinzip nicht halten – dazu ist es zu simpel und repetitiv – aber 5 Minuten lang kann man schon versuchen, Feen zu jagen. Ein Spiel, das passgenau auf seine Spieldauer zurechtgeschnitten wurde.
Im Vergleich dazu
Spiel 2: Line-it
Autor: Tim Juretzki
Verlag: Gigamic
Für 2-4 Spielende ab 8 Jahren
Spieldauer: 20 Minuten
Gigamic hat mehrfach ihren Schwerpunkt gewechselt – längste Zeit waren sie für abstrakte Holzspiele bekannt, dann änderten Sie ihr Format in würfelförmige Zockspiele und jetzt scheint ein kleiner Schwerpunkt auf abstrakten Kartenspielen zu liegen. Kartenspiele, die sich vormals an Familien richten und klar in der westlicheren Tradition stehen. Mein Eindruck, der sich bei mir verfestigt hat, ist, dass die Designidee war, ein Spiel in der Tradition von Skip-Bo und/oder ähnlichen Sammel-und Werten-Spielen zu kreieren.
Dafür spricht der einfache Ablauf und die bereits etablierte Spielidee, auf- oder absteigende Reihe auszulegen. Innerhalb der Zielgruppe der Skip-Bo-Enthusiasten ist die Idee, jede Runde eine Karte aus einer Auslage zu nehmen auch noch einigermaßen neu. Diese Karte wird in der Regel in jene Reihe gelegt, wenn sie nicht passt, kann sie auch begrenzt auf der Hand zwischengelagert werden. Oder die Reihe muss beendet werden, wobei auch gleichzeitig gewertet wird (Je länger desto mehr). Soweit, so prozedural: Karten legen – Karten nehmen – Karten legen. Da nicht zu berechnen ist, wann welche Karten kommen, wäre das mehr Algorithmus denn wirklich „Spiel“, also gibt es gelegentlich noch Wettkarten, die man alternativ einbauen kann und mit denen man sich verpflichtet eine bestimmte Anzahl an weiteren Karten in die Reihe abzulegen. Doch da sie nicht gewählt werden müssen, sind sie zu selten, um wirklich etwas zu ändern. Daher noch eine zweite Regel: Wird die dritte Karte einer Farbe in die Reihe gelegt (muss nicht aufeinanderfolgend sein), bekommt man den „Jackpot“ – das sind die Karten die jede Runde nicht gewählt werden – als Punkte gutgeschrieben. Allerdings nur die Karten der Farbe, mit der man den Jackpot bekam. Wie beim einarmigen Banditen kann das mal mehr und mal weniger sein, je nachdem, wie viele der Karten der entsprechenden Sorte sich schon angesammelt haben und wann die letzte Person eben just diese Farbe geleert hat. Ja, auch das ist eher Zufall als alles andere. Doch das muss ja nichts heißen: Fairy ist ja auch extrem zufällig.
Der Unterschied: Line-it benutzt den hohen Glücksfaktor, um den Anspruch zu senken. Im Ergebnis simuliert es quasi ein klassisches Kartenspiel, macht aber die Entscheidungen sehr belanglos, ohne sie durch irgendetwas adäquates zu ersetzen. Die wenigen Emotionen sind negativ: Frust, dass Karten weggenommen werden oder dass jemand anderes den „eigenen“ Jackpot geleert hat. Dazwischen werden höhepunktsarm Karten bewegt.
Fairy dagegen benutzt den hohen Glücksfaktor um zu unterhalten. Statt anderen Spielen mit niedrigerem Glücksfaktor nachzueifern, wurde das Spiel komplett um wildes Raten herum entwickelt. Was man auch immer von dem Spielprinzip halten mag: Es ist ein emotionales Spiel und simuliert nicht lediglich eines.
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