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Under Falling Skies

Verlag: Czech Games Edition
Autor: Tomáš Uhlíř
Spielerzahl: 1
Alter: ab 12 Jahren
Dauer: 20-40 Minuten

„Wozu die Eile? Denkst du Washington ist weg, wenn wir da sind?“

Die Geschichte des Solospiels ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Das erste Missverständnis besteht darin, dass Solospiele zu den Gesellschaftsspielen gezählt werden. Aus naheliegenden Gründen ist das natürlich falsch. Man spielt Solospiele nicht in Gesellschaft anderer Spielenden, sondern allein. Natürlich wird über diese Feinheit gern hinweg gesehen und Solospiele werden zum weiteren Begriff der „Brett- und Kartenspiele“ hinzugefügt. Das mag zwar einen unwesentlich wirkenden Widerspruch auflösen, aber ignoriert einen grundlegenden und wichtigen Unterschied:

Ein Spiel, welches von mehreren Personen gemeinsam gespielt werden soll, wird anders konzipiert, entwickelt und auch getestet, als eines, dass nur für eine Person gedacht ist. Damit ist Under Falling Skies dem Gros der erhältlichen und auf dieser Seite besprochenen Brettspiele weniger nahe, als es etwa viele Videospiele sind. Es ist daher auch wenig verwunderlich, dass „Space Invaders“ nicht nur oberflächlich sondern auch konzeptionell Pate stand. So wie Under Falling Skies nun versucht eines der Ur-Videospiele in moderner Brettspielform umzusetzen, werde ich nun auch versuchen es wie ein Videospiel aus anno dazumal zu besprechen. Mal schauen wo wir da landen…

Story

Bei Under Falling Skies werden Metropolen auf der ganzen Welt von einer außerirdischen Macht in einem riesigen Mutterschiff und mit unzähligen UFOs angegriffen. Es liegt an den mutigen und auch strategisch wohl überlegten Entscheidungen der Spielperson eine Stadt nach der anderen zu verteidigen und so das Schlimmste zu verhindern.

Ähnlichkeiten zu Independence Day sind hier durchaus gewollt und werden nicht selten auch durch Zeichnungen heraufbeschworen. Auch andere Verweise und offensichtliche Anlehnungen an erinnerungswürdige Charaktere diverser Science-Fiction-Geschichten lassen sich hier und da entdecken. Das ist ganz clever, denn so braucht man weder lange Textpassagen oder feinst justierte Regeln – und jemanden der gewillt ist diese sorgfältig zu deuten – um für Atmosphäre zu sorgen. Die Anspielungen reichen, um Erinnerungen zu wecken und den Rest macht die Vorstellungskraft der Person, die hoch konzentriert auf das Spielbrett starrt. Das ist zwar effektiv und kompakt erzählt, aber nur bedingt beeindruckend. Die Ereignisse laufen doch immer in gleichen Bahnen. Die Entscheidungen fühlen sich im ersten Level nur unwesentlich anders an als im vorletzten. Auch wenn man solche Spiele nicht spielt, um eine Geschichte erzählt zu bekommen, hätte man hier mehr rausholen können. So bleibt es eher eine Aneinanderreihung von Anspielungen als etwas wirklich Eigenständiges.

3 von 6 Würfeln

Aliens greifen an

Graphik

Visuell besticht Under Falling Skies überraschend mit farbenfrohen und ausdrucksstarken Zeichnungen, die an amerikanische Superhelden-Comics erinnern: dynamische Bildkompositionen und kräftige Farben. Diese prägnante Bildhaftigkeit passt gut zum Spiel, denn über erzählende Texte wird wenig vermittelt. Wie in einem Film eben. Allein die fehlende visuelle Abwechslung im Laufe der Kampagne – dazu später mehr – mag den einen oder anderen mit der Zeit etwas ermüden. Ich kann nicht beurteilen, ob die beiliegenden Würfel für Menschen mit Farbsehschwäche geeignet sind. Aber ich kann durchaus erkennen, dass die Spielbrett-Teile alle unabhängig ihrer Farbe unterscheidbar sind. Es fällt auch auf, dass die Figuren des Spiels sehr viel weniger weiß und männlich sind, als es etwa die Besetzung von Independence Day war. Die Welt, die in Under Falling Skies von Aliens angegriffen wird, fühlt sich in der Tat international an.

5 von 6 Würfeln

Spielkonzept

Trotz des eher brachial und martialisch anmutenden Hintergrunds, ist eine Partie Under Falling Skies eine wohl überlegte und mit Bedacht gespielte Angelegenheit. Würfel werden hier nicht unter viel Gelächter oder mit Hilfe alkoholisierter Heiterkeit geworfen. Stattdessen zählt man Abstände, wägt Wahrscheinlichkeiten ab und findet sich oft mit unangenehmen Entscheidungen konfrontiert in denen jede Option eher zum eigenen Nachteil ist. Ein platzierter Würfel bereitet Vorteile vor, aber führt auch dazu, dass die Gefahr der Niederlage immer näher rückt. Man will auf die Siegbedingung hinarbeiten (der vollständigen Erforschung der Aliens), aber muss den schweren Schaden verhindern, den die Invasion außerirdischer Raumschiffe in der gewählten Stadt verursachen. Während man in der Kampagne – wie gesagt später mehr dazu – voranschreitet, werden neue Regeln und Variationen eingeführt, die zusätzliche Handlungsoptionen und auch Gefahren mit sich bringen. Die Vor- und Nachteile einer jeden Entscheidung richtig abzuschätzen wird dadurch immer anspruchsvoller und fordernder. Das sorgt für eine Form der (An-)Spannung, die gerade unter Vielspielern ihre Fürsprecher hat.

4 von 6 Würfeln

Kompatibilität

Under Falling Skies macht bestimmte Annahmen über die Person, die sich mit dem Spiel an den Tisch setzt. Zum einen wird eine gewisse Vertrautheit mit dem Science-Fiction-Genre vorausgesetzt. Wenn diese fehlt, fühlt sich die Story des Spiels deutlich dünner und abwesender an. Dabei benötigt gerade das Solospiel einen starken erzählerischen Anker, um das Spielerlebnis über die fest verklausulierte Handhabung des Spielmaterials zu heben. Wenn man das Gefühl haben will, dass man mehr macht als Würfel, Plastikschiffchen und Plättchen zu verschieben, muss der Imaginationsapparat zwischen den eigenen Ohren warm laufen können. Wer schon länger darin geübt ist aus ein paar quadratischen Pappmarkern, dicken Strichen und einer Hand voll Würfeln ein episches Narrativ zu erspinnen, der mag auch aus Under Falling Skies ein stimmungsvolles Ambiente beschwören können. Fällt man nicht in dieses Segment der Spielerschaft, wird man sich am ehesten an den Regeln orientieren, um das Spiel zu erfassen.

Hier zeigt sich, dass die nicht-triviale Herausforderung des Spiels, dazu führt, dass mehr Spielerfahrung die Spieldauer auch verlängert. Damit kann es schnell passieren, dass man außer den Regeln nur wenig vom Spiel wahrnimmt. Der Sog sich immer und immer wieder an das Spiel zu setzen, erwächst nicht aus der Stimmung oder dem Spielerlebnis, sondern aus dem Ehrgeiz das Spiel endlich zu bezwingen. Ein Ehrgeiz, der gerne allen Menschen unterstellt wird. In der Praxis zeigt sich aber, dass viele Menschen gerade diesen Ehrgeiz für ein Spiel allein nicht aufbringen wollen.

Somit kann sich Under Falling Skies vom Paradoxon des Solospiels nicht ganz lossagen. Um die Einzelbeschäftigung mit einem Spiel zu rechtfertigen, muss das Erlebnis genug Substanz liefern, um im Vergleich zu anderen Einzelbeschäftigungen (z.B. Spazieren gehen, ein Buch lesen, die eigenen Socken autobiographisch sortieren, etc.) attraktiver zu sein. Aber gleichzeitig darf diese Substanz nicht dazu führen, dass man den wiederholten Aufwand scheut, das Spiel aufzubauen, zu spielen und im Anschluss wieder wegzupacken. Eine Gefahr, die 7th Continent zum Beispiel nicht umschiffen konnte.

Nun ist Under Falling Skies bei weitem kein Schwergewicht, was die Spielhandhabung angeht. Aber es ist in seinem Knobelpotential auch nicht zu unterschätzen. Vom Niveau her ist es in etwa so als würde man versuchen Galgenmännchen auf Klingonisch zu spielen. Es ist gleichermaßen seicht und herausfordernd. Aber gerade deshalb ist es irgendwie auch unterhaltsam.

4 von 6 Würfeln

Washington steht…. noch

Preis/Leistung

Wer Spiele vornehmlich als zeitlose Kunstwerke verstehen möchte, mag die Nase rümpfen, aber die Frage was man für sein Geld eigentlich bekommt, spielt bei den meisten Leuten eine nicht unwichtige Rolle. Under Falling Skies will hier seine Ursprünge als kostenloses Print-n-Play-Spiel hinter sich lassen, in dem es nicht nur mit einer schön anzusehenden Produktion punktet, sondern auch eine Kampagne bietet, die der geneigte Spieler zwar nur ein Mal entdecken, aber beliebig oft spielen kann. Auch hier drängt sich der Vergleich mit Videospielen nahezu auf. In der Regel darf man dort die immer gleiche Story durch exerzieren und altbekannte Zwischensequenzen abspulen, während man sich von einem Level ins nächste spielt. Manchmal mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad, um den h4rdc0r3 g4m0rZ-Kick zu spüren.

Ob sich Under Falling Skies lohnt, hängt darum vor allem davon ab, wie sehr man genau diesen Kick zu schätzen weiß und ihn in einem Brettspiel sucht. Das Spiel ist um seine Herausforderung gebaut und darauf ausgelegt genau das Erfolgserlebnis zu liefern, welches schwer errungene Siege auslösen. Die Belohnung der Kampagne besteht daher daraus neue Levels frei zu spielen, neue Handlungsmöglichkeiten freizuschalten und den Schwierigkeitsgrad weiter anzuheben. Wie zu Beginn schon erwähnt, ist die soziale Komponente in einem Solospiel weniger ausgeprägt als in einem Gesellschaftsspiel. Stattdessen wird der spielerische Ehrgeiz angesprochen eine schwierige und umfangreiche Aufgabe zu bewältigen. Darauf ist Under Falling Skies als Produkt wie auch als Design ausgelegt.

5 von 6 Würfeln

Under Falling Skies fühlt sich in vieler Hinsicht wie ein Spiel der alten Schule an. Thematisch bewegt man sich im Fahrwasser typischer Nerd-Interessen: Science-Fiction, Action und recht viel Rechnerei. Auch das Spielkonzept kann und will sich von seinen Videospiel-Wurzeln nicht lossagen. Man will sich gegen die Herausforderung behaupten und soll von neuen Schwierigkeiten und Hindernissen motiviert werden sich noch tiefer mit dem Spiel zu befassen. Man spielt im wahrsten Sinne gegen das Spiel und nicht mit sich selbst. Ein echter Sieg muss sich daher hart erkämpft anfühlen und nicht zufällig geglückt. Wem der feinsinnige Charme eines Coffee Roasters zu flüchtig und zufällig erscheint, wird das üppige und kräftige Spielgefühl von Under Falling Skies eher zu fassen bekommen.

Urteil: 21 von 30 Würfeln

Georgios Panagiotidis
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