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Turing Machine

Verlag: Le Scorpion Masqué / Huch
Autor: Fabien Gridel, Yoann Levet
für 1-4 Spieler*innen
ab 14 Jahren
Dauer: ca. 20 Minuten

Eine der wiederkehrenden Scheindebatten in der Spielszene ist die Frage, ob XYZ „überhaupt ein Spiel ist?“. Es ist dahingehend eine Scheindebatte, weil es keine ausreichende Liste äußerer Merkmale gibt, die diese Einordnung vorweg nehmen können. Manche Spiele sind nicht kompetitiv. Manche Spiele haben kein Zufallselement. Manche Spiele haben keine Form der Interaktion. Manche Spiele haben verschwindend geringe Entscheidungsmöglichkeiten. Wie in anderen Bereichen des Lebens auch, ergibt sich die richtige Zuordnung aus der Selbstbestimmung. Turing Machine nennt sich Spiel und präsentiert sich wie ein Spiel. Also ist es ein Spiel.

Wie es sich für ein Spiel gehört, werden wir mit einer Aufgabe konfrontiert. Eine Aufgabe, die gerade zu Beginn noch sehr knifflig erscheint. Es geht darum einen drei-stelligen Zahlencode zu ermitteln. Dafür nutzen wir die Spielkomponenten: Lochkarten und ein dicker Stapel an Matritzen. Auffällig und gewisserweise auch ein Spiegel der Designphilosohpie ist der karge Minimalismus den Turing Machine präsentiert. Alles ist zweckdienlich und die kleinen visuellen Details, wie z.B. Schrifttyp oder Farbgebung, sind allein der einfachen Handhabung untergeordnet. Wie man die Spielkomponenten zur Ermittlung des richtigen Zahlencodes einsetzt, erschließt sich schnell. Lochkarten aufeinander legen, eine bestimmte Matrix dahinter legen und anschließend schauen ob durch das einzige übriggebliebene Loch ein grünes Häkchen oder ein rotes Kreuz zu sehen ist. Dieses Ergebnis richtig zu lesen, ist die erste Herausforderung, der wir uns stellen müssen.

Zu einem gewissen Grad braucht jedes Spiel eine Herausforderung, um sich als Spiel zu qualifizieren. Es muss eine Hürde geben, die es zu überwinden gilt. Ein Spiel kann allein daraus bestehen, dass man Plättchen zieht und dann einzeln zu einer Landschaft zusammenlegt. Aber erst wenn Aufgaben erfüllt werden müssen, fühlen sich diese repetitiven Entscheidungen wie ein Spiel an. Das Ungewöhnliche daran ist, dass die Hürden in Turing Machine beinahe nahtlos von Handhabung zur Spielaktion übergehen.

Die erste Hürde besteht darin, zu begreifen wie eine über die Lochkarten ermittelte Ja/Nein-Antwort zu deuten ist. Hat man das Zusammenspiel zwischen Lochkarten-Kombination, Fragekarte und Ergebnis verstanden, folgt der nächste Schritt. Welche validen Schlüsse lassen sich daraus ziehen und worüber sagt die erhaltene Antwort nichts aus? Im Anschluss daran gilt es eine neue Eingabe über die Lochkarten zu bestimmen, die exakt auf die Informationen getestet werden kann, welche einem fehlen, um die Lösung zu ermitteln.

Das klingt verkopft und alles andere als trivial, und genau das ist Turing Machine auch. Der Sog, den Turing Machine jedoch nach einigen Partien entwickelt, ist durchaus mit dem Reiz eines komplexeren Brettspiels zu vergleichen. Ähnlich wie man in manchen Spielen erst lernen muss, wann eine Aktion besonders effektiv ist und wann man sie besser links liegen lässt, muss man auch bei Turing Machine lernen das Spiel richtig zu „lesen“.

Eine Eingabe mit positiver Rückmeldung – aber was heißt das?

Der Versuch sich in die logischen Zusammenhänge und Konsequenzen einzelner Entscheidungen (bzw. Informationen) zu arbeiten, ist außergewöhnlich befriedigend, sobald man in den eigenen Überlegungen richtig liegt. Nichts macht so süchtig wie Erfolg, und das gilt insbesondere für Turing Machine.

Man könnte vermuten, dass Turing Machine darum eher ein Spiel für erfahrene und versierte Spieler*innen ist. Aber überraschenderweise zieht sich die Linie derer, die mit dem Spiel nicht warm werden, eher entlang des kompetitiven Spiels. Denn hier erweist sich der Minimalismus des Spiels und seines Designs als ernüchternd. Es fehlt irgendeine Form der Struktur. Es gibt zwar ausreichend Material, um gleichzeitig unterschiedliche Codes zu prüfen, aber das Spiel gegeneinander endet unvermittelt sobald jemand den richtigen Code bestimmt hat. Das Problem ist hier nicht die fehlende Interaktion mit den konkurrierenden Spieler*innen, sondern dass deren Anwesenheit einen spürbaren Nachteil für das Spielerlebnis darstellt. Die Spieldauer zieht sich in die Länge, während jegliche Kommunikation ausbleiben muss. Sei es, um die schwer Denkenden nicht zu stören, oder um ihnen durch einen Versprecher keinen unbeabsichtigten Vorteil zu geben. Der Wettbewerb in Turing Machine ist ein plumper, formloser Vergleich am Ende des Spiels.

Auch der kooperative Modus ist formlos, jedoch mit einem entscheidenden Unterschied. Wir dürfen uns über Informationen, Schlussfolgerungen und Hypothesen nach Lust und Laune unterhalten. Hier nun entwickelt Turing Machine seinen vielleicht stärksten Spiel-Charakter. Das Knobeln, das Aufstellen von Hypothesen und abwägen darüber welche Tests in welcher Kombination eine Lösung zulassen und welche es nicht tun, macht aus einer anspruchsvollen Denksportaufgabe ein gemeinsames Spielerlebnis. Erst im kooperativen Modus entfaltet Turing Machine seine vollen Stärken als Gesellschaftsspiel. (Ein Punkt der in meinen Augen für jedes reine Deduktionsspiel gilt, aber diese Ansicht teilen nicht alle.)

Dabei ist der formlose Charakter des kooperativen Spielmodus, auch der Punkt an dem Turing Machine mit den Erfahrungen vieler Spieleprofis bricht. Statt durch geheime Informationen, individuelle Sonderfähigkeiten oder gar Kommunikationssperren dafür zu sorgen, dass niemand am Tisch zu viel Einfluss auf die Entscheidungen der Gruppe nehmen kann, ist es der Gruppe überlassen wie sie kooperieren will. Auch hier erweist sich der kompetitive Spielgedanke („wir spielen gegen das Spiel“) eher als Störfaktor, denn als Hilfe. Es ist die Kooperation, das Gespräch und der gemeinsame Austausch, mit dem aus der Denksportaufgabe in Turing Machine ein erfüllendes Spielerlebnis wird.

Womit dann auch die Scheindebatte, ob Turing Machine überhaupt ein Spiel ist, als das entlarvt wird, was sie eigentlich darstellt: ein Festhalten an überholten Vorstellungen darüber, wie sich ein Spiel zu präsentieren, zu verhalten und einzuordnen hat. Dabei ist Turing Machine genau das, was es sagt, dass es ist: ein Spiel. Obendrein noch ein richtig spannendes.

Georgios Panagiotidis
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