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Train & Railway

Autor: Zong-Ger(蔥哥)
Verlag: Good Game Studio
für 2-4 Spieler*innen
ab 10 Jahren
Dauer: 40-80 Minuten

Neben historischen Bauernhöfen und internationalen Handelsrouten gehören Eisenbahnen und ihre Schienennetze zu den gängigsten Aufhängern bei Brettspielen. Ob das an einem tief verankerten Interesse an der Vergangenheit und ihrer Infrastruktur liegt, oder ob diese Themen sich lediglich ohne große Probleme auf Spielmechanismen projizieren lassen, ist wohl eine Frage der persönlichen Spielphilosophie.

Train & Railway greift – wie der Name erkennen lässt – die Eisenbahnthematik auf, vermeidet jedoch konkrete Verweise auf die Geschichte. Auch wenn auf dem Cover eine Dampflok vor einer Berglandschaft zu sehen ist, sind die Illustrationen unspezifisch gehalten. Ob wir in Nordamerika oder irgendwo in Europa sind, spielt hier keine große Rolle. Nicht die Details stehen im Vordergrund, sondern die grob umschriebene Aufgabe. Wir legen Schienen auf dem Spielbrett aus, fahren mit unseren Zügen diese Schienen entlang, sammeln Waren ein, liefern unsere Waren andernorts ab und erhalten dafür Siegpunkte und im Laufe des Spiels auch Verbesserungen. Diese können wir nutzen, um die erwähnte Aufgabe noch schneller und noch profitabler zu erfüllen. Vieles von dem kann das geübte Vielspieler*innen-Auge bereits vom Spielmaterial selbst ableiten.

Siegpunktleiste auf Papier gebracht

Dieses geübte Auge wird dann auch umgehend bemerken, dass die Schienen eben nicht ausgelegt, sondern gemalt werden. Ein mittlerweile fast in Vergessenheit geratenes Feature von Eisenbahnspielen wird hier sowohl aus Produktionsgründen, wie auch aus Gründen des Spieldesigns wieder aufgegriffen. Denn die Pläne sind nicht abwischbar, sondern aus Papier. Das erinnert natürlich n die Roll’n’Write-Welle von vor einigen Jahren. Aber während dieses Spielgenre durch seinen Verbrauchscharakter immer seine eigene Trivialität überwinden musste, ist die Wirkung der Einweg-Spielpläne in Train & Railway eine andere.

Das Einzeichnen mit dem mitgelieferten Filzstift macht diese Entscheidung nicht nur verbindlich für alle Spielenden, die nun mit ihrem Spielmarker dort entlang fahren können. Da das Spielmaterial auf 20 Pläne begrenzt ist und kein Plan einem anderen gleicht, wird damit die aktuelle Partie gewissermaßen auf Papier verewigt. Das wertet jede Partie von Train & Railway ähnlich auf, wie es das erste Zerreißen einer Karte in Pandemic Legacy tat. Jede Partie fühlt sich nun einzigartig an. Jeder Spielplan ist ein Zeitdokument der eigenen Partie.

Bei vielen Legacy-Spielen war diese Einzigartigkeit Dreh- und Angelpunkt des Spielerlebnis. Die restlichen Regeln des Spiels waren dafür da dieses Erlebnis möglichst störungsfrei zu ermöglichen. Darum ist die schrittweise Verkomplizierung der Spielregeln immer eine Schwäche in Legacy-Designs. Aus dem anfänglich flüssigen und angenehmen Spielverlauf entwickelt sich mit zunehmenden Partien ein ungelenkes und zähes Spielerlebnis.

Aber Train & Railway hat bestenfalls Anklänge an den Beständigkeits-Charme eines Legacy-Spiels. Die durch die Partie verbrauchten Spielpläne sind weder so beliebig austauschbar, wie etwa bei einem typischen Roll’n’Write oder deren abwischbaren Cousins, die später folgten. Noch ist das Spiel von der Neugier angetrieben zu sehen, was sich als nächstes verändern wird.

Dennoch zeigt der subtile Unterton des Beständigen beim Spielen Wirkung. Eine Entscheidung will gut überlegt sein, gerade weil sie sich so schlecht rückgängig machen lässt. Sie fühlt sich substanziell an. Obwohl sie spielmechanisch ähnlich verbindlich ist wie das Anlegen eines neuen Plättchens bei Carcassonne, hat man das Gefühl durch das Zeichnen einer neuen Strecke den Spielverlauf spürbar und auch nachhaltig zu verändern. Mit anderen Worten, jede Aktion in Train & Railway fühlt sich nach selbstwirksamen Handeln und Einflußnahme, kurz nach „agency“, an. Den Filzstift auf den Plan setzen und drei durchgehende Striche zu zeichnen ist zwar nur das Anwenden des Spielmaterials, aber unsere Entscheidung wird durch diese Komponenten mit Bedeutung aufgeladen.

Infrastruktur für die (profit-orientierte) Allgemeinheit

Diese als wirkhaft empfundenen Entscheidungen überführt Designer Zong-Ger in einen Pick-up-and-Deliver-Spielablauf. Es gilt mit dem eigenen Zug Waren einzusammeln, und diese dann andernorts abzuliefern. Dafür müssen erst Verbindungen zwischen unterschiedlichen Orten geschaffen werden. Ausliegende Auftragskarten verleihen so einzelnen Orten auf dem Spielplan vorübergehende Wichtigkeit. Der flache Papierplan erlangt in den Augen der Spielenden nun eine Art Topologie. Wichtige Orte gilt es schnell anzuschließen und dabei möglichst effizient das Schienennetz der Wettbewerber*innen gut zu nutzen. Denn das Schienennetz ist nicht an einzelne Personen gebunden, sondern kann von allen genutzt werden. Dass hier Wettkampf und individuelles Profitstreben einen Gewinn für die Allgemeinheit mit sich bringt, ist eines der kleineren Märchen, die man beim Spielen als gegeben hinnehmen muss.

Spielerisch liegt der Fokus nämlich an einer anderen Stelle. Die ausliegenden Aufträge dienen nicht nur als Siegpunkte-Quelle, sondern auch als Möglichkeit, die eigene Handlungsfähigkeit zu erweitern. Vorausgesetzt, man erfüllt den Auftrag nur zur Hälfte. Damit wird er aus der Auslage entfernt und erlaubt in der Regel ein Upgrade aus dem Spieltableau für sich zu wählen. Erfüllt man den Auftrag vollständig, so verspricht die so eingesammelte Auftragskarte Bonuspunkte in der Endabrechnung. Das Prinzip ist bekannt: wenn jemand am Tisch auf einen bestimmten Auftrag hinarbeitet, kann man abwägen, ob man eben diesen Auftrag im letzten Moment wegschnappt. Das ansonsten so solitär anmutende Spiel zeigt hier seine Zähne. Man spielt etwas angespannter und konzentrierter. Sowohl Erfolg als auch Misserfolg wird oft von deutlichen Emotionen begleitet.

Es sind vertraute und verlässliche Regelmechanismen, die hier angewendet werden. Das ermöglicht einen schnellen und einfachen Zugang zum Spiel. Es geht darum, die Menschen am Tisch ohne Umschweife von “Lernenden” zu “Spielenden” zu machen. Denn die wirklich spannenden Entscheidungen entstehen eben erst, wenn alle am Tisch sicher im Sattel sitzen. So ist die Zahl der individuellen Verbesserungen nachvollziehbar mit den Kernaktionen verzahnt. Schnell schärft das den Blick für die Gelegenheiten und Möglichkeiten auf dem Spielplan, für Angebot und Nachfrage der aktuellen Spielsituation. Daraus wächst nicht nur Nervenkitzel, sondern auch starke Erfolgserlebnisse, wenn man die eigene “agency” nicht nur fühlt, sondern anwenden kann.

Das richtige Upgrade will klug gewählt sein

Train & Railway erfindet Eisenbahn-Brettspiele nicht neu. Dafür knüpft es zu oft an die Geschichte des Genres an. Aber durch seine klaren Strukturen erzeugt es eine Spielbarkeit, die es leicht macht es immer wieder (und auch nach einer längeren Pause) auf den Tisch zu holen. Nach den 20 Plänen in der Schachtel warten mindestens nochmal so viele als PDF beim Verlag. Es sollte sich daher nicht zu schnell aufbrauchen.

Der Präsentation der Spiele von Good Game Studio liegt immer etwas Verspieltest zu Grunde. Es ist durchaus eine der oft übersehenen Stärken dieser Spiele. Sie kündigen ihre eigene Verspieltheit und ihren Charme an, ohne diese Dinge dabei in den Mittelpunkt zu stellen. Die Illustrationen bleiben gerade so vor der Beschreibung “niedlich” zurück, aber sind dennoch voller kräftiger und leuchtender Farben. Die Spiele wecken Erinnerungen an einen entspannten Sonntag Nachmittag am Tisch mit Freunden. Train & Railway ist keine Abhandlung über die wirtschaftlichen Strukturen der Eisenbahn-Ära. Es ist einfach nur eine gute Zeit und auch dafür sollte man sich begeistern können.

Georgios Panagiotidis