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Time Bomb Evolution

Autor: Yusuke Saro
Verlag: Iello
Spielerzahl: 4-6
Alter: ab 8 Jahren
Spieldauer: 15 Minuten (pro Partie)

Yusuke Satos „Time Bomb Evolution“ ist ein kleines Spiel mit einfachen Regeln. Wenn man mit nur einem Auge hinschaut, mag man sich entfernt an das alte Trickbetrüger-Spiel erinnert fühlen, in dem man die Herz-Dame aus drei verdeckt ausliegenden Karten ausfindig machen musste. Auch hier deckt man eine Karte auf, die vor jemand anderem ausliegt. Man hofft auf das richtige Motiv, um so dem Spielsieg näher zu kommen.

Es gibt jedoch zwei recht große Unterschiede. In Time Bomb Evolution spielen Teams gegeneinander. Die einen versuchen Karten mit grünem Häkchen aufzudecken. Die anderen versuchen das entweder lange genug zu verhindern, oder vier gleichfarbige Karten ohne Häkchen aufzudecken oder aufdecken zu lassen. Ist man gerade nicht am Zug, versucht man verbal andere zur vermeintlich „richtigen“ Entscheidung zu bewegen. Damit positioniert sich Time Bomb Evolution recht schnell im Genre der „social deduction games“, d.h. genau jene Spiele, die davon leben, dass man sich mit geschickten Un-, Halb- und Vollwahrheiten gegenseitig in die Irre führt. Empfindliche Seelen mögen hier vom Lügen und Betrügen sprechen; reifere Kenner bezeichnen das vollmundig als „bescheissen“ und „in die Pfanne hauen“.

Der jedoch viel größere und unterhaltsamere Unterschied lautet, dass jede*r Mitspieler*in verdeckt Karten vor sich auszuliegen hat. Zwar darf man sich vorher anschauen welche Symbole bzw. Farben sich darunter befinden, ihre Position aber ist zufällig. Selbst wenn ich weiß, dass ich ein grünes Häkchen unter meinen Karten habe, kann ich nicht sagen wo diese Karte liegt. Dieses unvollständige Wissen macht den Charakter des Spiels aus. Wer hier lediglich eine Werwolf-Variante sucht, in der man nicht ausscheiden kann, wird vermutlich mit Tempel des Schreckens bereits glücklich werden. Basieren beide doch auf dem gleichen Design von Yusuke Sato.

Die Charakterfarben geben die Team-Zugehörigkeit an

Time Bomb Evolution hingegen ist ein etwas anderes Wesen. Statt Spannung und Nervenkitzel allein aus dem psychologischen Druck zu ziehen, ob man anlügt oder angelogen wird, streut Time Bomb Evolution weitere Informationen. Spieler*innen sind eingeladen ihre Entscheidungen tiefer zu durchdenken. Hier kommt es nicht mehr allein darauf an, ob man die richtige Karte aufdeckt. Nun spielt es auch eine Rolle welche Farben bereits aufgedeckt wurden. Karten ohne Häkchen lösen Effekte aus. Manche Farben werden so gefährlicher werden und andere nicht. Das ist ansprechend, wenn man schon ein paar Grundlagen des Social Deduction-Genres verinnerlicht hat.

Denn wie jedes Spiel seiner Art erlernt man nur die formalen Strukturen (wie Rundenablauf, Gewinnbedingung, Karteneffekte, etc.) aus dem Regelheft. Das Herz des Spielerlebnisses muss man sich über mehrere Runden erspielen und erschließen. Man muss erst lernen wie in dieser Runde kommuniziert wird und welche logischen Schlüsse man daraus ziehen kann. Man muss sich erarbeiten welche Informationen am Tisch relevant sind und welche nicht. Oder auch lernen wie man herausfindet wann jemand am Tisch vertrauenswürdig ist und wann nicht. Ist es die Körpersprache auf die man achten sollte? Ist es die Art wie die Person etwas über die eigenen Karten preisgibt? Sind es vielleicht ganz andere Faktoren?

Die häufigste Frage, die Seltenspieler*innen anfangs bei Time Bomb Evolution stellen, lautet: „Woher soll ich wissen welche Karte ich umdrehen soll?“. Das ist die erste Herausforderung, die man beim Spiel erkennt. Nach einigen Partien begreift man aber, dass das Spielerlebnis darin besteht sich der Beantwortung dieser Frage zu nähern. Der Grundbaustein des Spiels ist zwar das logische Puzzle („Wer könnte welche Karte haben?“), aber das Spiel selbst baut sich darum auf wie man versucht der Antwort beizukommen.

Mit verhältnismäßig wenig Regeln entstehen wiederholt Spielmomente, aus denen viele entscheidungs-relevante Informationen hergeleitet werden können. Diese Dinge zu erkennen und sie zu nutzen, macht die größten Erfolgserlebnisse bei Time Bomb Evolution aus. Jedoch offenbart sich hier auch, dass die Designphilosophie hinter diesem Spiel von der hiesigen abweicht.

Hochspannung durch eine Hand voll Karten

Wer bei einem Deduktionsspiel klare Fakten und die Option zur völligen Risikovermeidung erwartet, wird hier so gut wie nie zufrieden sein. Entscheidungen müssen fast immer mit unvollständigen Informationen gefällt werden. Aber deshalb Time Bomb Evolution als seichtes Partyspiel abtun, tut dem Spiel Unrecht. Time Bomb Evolution ist nuancierter und an manchen Stellen auch angenehm knifflig. So lange man gewillt ist, sich dem Nervenkitzel zu öffnen, der hinter den bunten Karten lauert, kann man mit viel Adrenalin und Heiterkeit rechnen. Ohne dass das Spiel allein in einem schlichten „Ich lüge nicht – ha, ich hab dich doch angelogen“ Hin-und-Her endet.

Time Bomb Evolution ist – wie der Name schon sagt – eine Weiterentwicklung des original Time Bomb. Es ist thematisch griffig, grafisch divers und mechanisch feinsinniger als sein Vorläufer. Aber es lebt vor allem von einer Gruppe, die gewillt ist sich über mehrere Partien sorgfältig im Auge zu behalten und wie der Deduktionsmeister selbst Sherlock Holmes aus vermeintlich kleinen Details clevere Schlüsse zu ziehen.

Georgios Panagiotidis
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