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The Queen’s Gambit – Das Damengambit

Verlag: Mixlore / Asmodee
Autor: Rebecca Bleau, Nicholas Cravotta
Spieleranzahl: 2-4
Alter: ab 12 Jahren
Spieldauer: 15 Minuten

Beth Harmon* ist eine sehr attraktive Frau. Wer dieser Aussage bereits widerspricht, wird wohl auch Netflix The Queen’s Gambit Das Damengambit das Brettspiel (oder ‚kurz‘ NTQG3DB) eher abschreckend finden. Mit ihrem durchdringenden Blick begegnet einem die junge Dame auf beinahe jedem Spielelement. Anscheinend hatte die Graphik-Abteilung des Verlags genau ein Bild von Netflix zur Verfügung gestellt bekommen und damit praktisch jede Fläche des Spiels verziert.

Die zweite Offensichtlichkeit mit der sich das Spiel herumschlagen muss, ist die Frage warum man überhaupt ein Brettspiel zu einer Serie entwirft, welche sich zumindest in Plotfragen mit Schach beschäftigt. Warum ein Spiel zu einer Schachserie spielen, wenn dieses Spiel dann nicht Schach ist? Die Antwort ist natürlich, dass im Spiel zur Serie, wie auch in der Serie selbst, Schach lediglich die äußere Verkleidung liefert. Es geht nicht wirklich um Schach, man bedient sich nur dessen Bildsprache und Ambiente. Wie so ziemlich jedes Brettspiel sich der Bilder und des Ambientes seines Themas bedient, statt das Thema selbst zu behandeln.

12 Punkte in 3 Zügen

Daher ist NTQG3DB kein taktisches Positionierungsspiel, welches auf das gewissenhafte Auswendiglernen der Bewegungskombinationen setzt, sondern ein verhältnismäßig einfaches Programmierspiel. Man legt die Bewegungen der eigenen Spielfigur für jeweils 3 Züge im Voraus fest, und zieht sie gemäß ausgewählter (aus dem Schach übernommenen) Muster über das Brett. Dabei gelingt es NTQG3DB überraschend gut das in der Serie mit Hilfe von CGI dargestellte Kopfkino von Beth Harmon heraufzubeschwören. Ähnlich wie sie plant man im Kopf die unterschiedlichen Züge, die die eigene Figur gehen wird und wägt ab, wie man diese ausführen will. Denn so lange man dem Zugmuster der gelegten Karte (Läufer, Reiter, Turm oder Königin) folgt, darf man sich in jede Richtung bewegen.

Der erste Eindruck des Spiels ist darum, unabhängig davon wie sehr Beth Harmon dem eigenen Schönheitsideal entsprechen mag, ein sehr guter. Man hat viel Raum und Potential um zu planen, zu taktieren und vorausschauend Züge zu machen. Ziel ist es die ausliegenden Plättchen einzusammeln und am Ende mit den meisten Punkten den Sieg für sich zu beanspruchen.

An dieser Stelle entfaltet NTQG3DB eine unerwartete Besonderheit, welche Spielgruppen wahlweise erfreut oder ratlos zurücklassen wird. Denn das Einsammeln der Plättchen birgt keine nennenswerte Herausforderung. Man kann kaum eine Karte legen, um nicht schon zu Beginn des Spiels ein ordentliches Punktepolster zusammenzutragen. Erst wenn sich der Spielplan lichtet, muss man ein wenig vorausplanen. Selbst dann ist die Flexibilität, die man mit jeder Karte hat, groß genug, dass kaum ein Zug ohne Punktegewinn endet. Die Einschränkung, dass man gelegte Bewegungskarten weder verändern noch ansehen darf, wirkt anfangs wie eine große Hürde. In der Praxis jedoch führt das voll belegte Spielbrett dazu, dass fehlende Planung kaum merkliche Nachteile mit sich bringt. Womöglich fällt die Punkteabrechnung zum Ende des Spiels nicht zu den eigenen Gunsten aus, aber der Reiz des Spiels sollte ja bekanntermaßen im Spielen liegen, nicht im Siegen.

Wer hingegen ausreichend Ehrgeiz und Zielstrebigkeit mitbringt die beste Beth Harmon am Tisch zu werden, wird diese Hürde mit Leichtigkeit nehmen können. So lange man NTQG3DB als hoch ambitionierten Wettstreit zwischen den Spielenden angeht, wird man durch die Leistung der Kontrahent*innen gefordert. Denn was ist schon demütigender als weniger Punkte gemacht zu haben als jemand anderes am Tisch?

Ich sehe was, was du nicht siehst

Bei genauerem Hinschauen stellt man sich bei NTQG3DB aber auch eine Frage, die man sonst nur selten in kompetitiven Spielen stellt: fehlen hier vielleicht noch Regeln? Denn neben Beth Harmon selbst, fallen einem umgehend viele verschiedene Möglichkeiten auf, wie das Spiel die Herausforderung an die Spielgruppe erhöhen könnte. Man könnte Vorgaben setzen wie Plättchen eingesammelt werden müssten. Statt Punkte einfach zu addieren, könnten die unterschiedlichen Arten an Plättchen Effekte haben. Jede Spielfarbe könnte besonderen Einschränkungen unterliegen. Etc.

Diese Ideen sind sicherlich weder neu noch ungewöhnlich, aber sie würden dem Spiel den Kniff und die Besonderheit geben, die man schon nach wenigen Partien vermisst. Denn NTQG3DB ist in seinem Fundament ganz klar solide und belastbar. Aber es fehlt schlicht die Herausforderung und damit auch der Reiz es wiederholt auf den Tisch zu holen. Hier wäre ein klein wenig mehr, tatsächlich mehr gewesen.


*-Beth Harmon wird in der Serie The Queen’s Gambit von Anya Taylor-Joy dargestellt.

Georgios Panagiotidis
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