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Tea Garden

Autor: Tomáš Holek

Verlag: albi

Für 2-4 Spielende ab 12 Jahren

Spieldauer: 90-120 Minuten (etwa 45 pro Person)

Um die Jahrtausendwende wurde auf der Seite Fortress Ameritrash die Vermutung geäußert, dass Eurogames bald ihr “Limit” erreichen würden und dann nur noch Varianten voneinander bilden – es würde schlicht nicht so viele Möglichkeiten geben, konfliktarm Rohstoffe zu tauschen. Eine Aussage, die an die Prognose erinnert, der Computermark wäre gesättigt, wenn erst einmal jede Supermacht ihren eigenen Computer besitzt.

Eurogames haben sich in den vergangenen 25 Jahren stark verändert und dennoch poppen immer wieder dieselben Fragen auf: Spielen sich Eurogames nicht prinzipiell alle gleich? Ist die einzige Innovation im Kern ein immer elaborierter werdendes Regelwerk? Würde das Gefühl, Euros spielen sich immer gleich, nicht zumindest verstärkt durch die zunehmende Einschränkung direkter Interaktion?

Die Antwort ist dabei natürlich nach wie vor Nein. Aber es gibt eine Fußnote:

Das vertraute Gefühl, ein Eurogame zu spielen, ist ein Feature, kein Fehler. Eurogames haben vielleicht nicht die sehr klare Struktur eines Stichspieles, aber es gibt bei modernen Euros eine Reihe von Markern, die erwartet, ja geschätzt werden. Dazu gehört insbesondere ein weitestgehend abstraktes Optimierpuzzle, dessen optimale Lösung meistens durch ebenso abstrakte Aktionsmechanismen erschwert werden. Um die Konzentration auf das Puzzle zu erhöhen, ist die direkte Interaktion meistens eher gering und nicht direkt destruktiv. Vorzuwerfen, dass Eurogames sich in diesen Bereichen ähneln, ist ähnlich absurd, wie ein Vorwurf, dass der Ausgang eines Würfelspieles vom Würfelglück abhängt. Es bedingt aber schon, dass das Design eines modernen Eurogames vor allem durch die Art der Optimierung und die Art der Aktionsauswahl und -einschränkung geprägt ist. Betrachtet man Eurogames innerhalb dieser sehr engen Grenzen, ja dann sind Innovationsmöglichkeiten beschränkt. Aber das ist dann auch ein selbstgemachtes Korsett – es gibt ausreichend Beispiele für Eurogames, die daraus ausbrechen.

Tea Garden tut das nicht, sondern beschränkt seine Innovationen vor allem auf den Aktionsauswahlmechanismus, ergänzt um eine originelle passende Art mit Geld um zugehen (wobei das „Geld“ hier thematisch passender „Teeblätter“ heißt).

Zur Bestimmung der Aktionen gibt es einen Kartenmechanismus: Für eine Aktion können beliebig viele Handkarten verwendet werden. Je mehr, desto potentiell stärker die Aktion (wobei man je nach Situation auch gar nicht unbedingt superstarke Aktionen durchführen kann, also entsprechend Karten sparen darf). Eine dieser Karten wird zudem verwendet um auf einer von drei Arten einen Bonus zu bekommen oder um Symbole zu erlangen, die für eine der Hauptaktionen benötigt wird. Da jede Runde dieselbe Anzahl von Handkarten nachgezogen wird, will schon genau überlegt sein, wofür man welche Karte verwenden möchte und ob man ggf, lieber auf einen Bonus verzichtet, um eine Aktion mehr oder eine Aktion besser ausführen zu können. Das ist ein schön kniffliges Dilemma, bei dem man bis zuletzt mit den gerade verfügbaren Karten hadert – natürlich wurden immer gerade die falschen aus dem eigenen Nachziehstapel gezogen!

Dieser Aktionsmechanismus ist solide in ein recht bekanntes Gesamtwerk eingegliedert: Man kauft Karten, um zukünftig stärkere Aktionen zu haben, man setzt sich in Gebiete hinein, um mehr und bessere Teeblätter ernten zu können, man tauscht diese Teeblätter gegen Handkarten oder Siegpunkte. Boni geben mehr Teeblätter, mehr Handkarten, mehr Aktionen und vor allem mehr Siegpunkte. Überhaupt werden Siegpunkte mit der Feldschen Gießkanne vergeben, was bedeutet, dass es überall Punkte gibt, aber besonders viele, wenn man sich an einer Stelle besonders hervortut. Die Bonusleisten sind besonders verhakt: Leiste 1 gibt oft die Möglichkeit, auch auf Leiste 2 voranzukommen oder zumindest dieses Vorankommen zu vereinfachen. Und natürlich bringen auch die Bonusleistungen Handkarten, Teeblätter, Aktionen und Siegpunkte und zudem Joker, die es wiederrum erlauben, leichter an Handkarten heranzukommen oder Deckpflege zu betreiben.

Tomáš Holek hat 2024 gleich drei Neuheiten herausbringen können – Neben Tea Garden noch SETI und Galilleo Galilei. Alles drei sind komplexe Euros, die einen thematisch inspirierten originellem Mechanismus in ein recht großes Eurogameuhrwerk eingebaut haben: Bei SETI sind es die Aliens, die neue Wertungen freischalten, bei Galileo die Inquisitoren, die neue Wertungsmöglichkeiten ermöglichen, bei Tea Garden sind es Teeblätter, die je nachdem ob mittels Aktion fermentiert oder nicht, jede Runde im Wert steigen oder sinken und dessen Qualität Voraussetzung für bestimmte Aktionen darstellen. Im Vergleich zu den anderen Spielen, wirkt dieser thematische Bezug allerdings eher im Hintergrund; Der Bedarf nach Teeblättern zieht sich durch das ganze Spiel, aber sie sind halt am Ende des Tages nur Mittel zum Zweck.

Das hat zur Folge, dass Tea Garden auf der reinen Optimierungsebene bleibt. Die Handlungen sind fast ausnahmslos abstrakte Handlungen, die ich nicht mit einer wie auch immer gearteten fiktionalen Handlung verknüpfen kann. Auch wenn sich Eurogames im allgemeinen nicht durch eine thematische Tiefe auszeichnen, so kann man doch bei den erfolgreicheren zumindest ein gewisses Gefühl dafür entwickeln was man auf spielerischer (nicht-mechanischer) Ebene macht: Ich baue ein Gebäude. Ich wandele Mehl in Brot um. Ich zeuge neue Arbeiter. Ich reise durchs Land/erschließe eine neue Route. Usw Usf.

Mit der Ausnahme der Ernte und der (meistens durch Boni ausgelösten) Fermentation, sind die Handlungen im Teegarten entweder gleich ohne Bezug zur Thematik (Kaufen von Handkarten) oder zumindest ohne jeglichen Bezug zwischen Spielhandlung und Spielperspektive: Ob z.B. „Schifffahrt“ oder „Tee-Uni“, beides sind schlicht Leisten, wo für das Vorsetzen Boni vergeben werden, die in keinerlei Bezug zu dem stehen, für was die Leisten stehen sollen. Seine mechanische Spielhandlung in irgendeiner Weise mit einer thematischen Spielhandlung verknüpfen ist daher nicht möglich. Man macht „halt was mit Symbolen“.

Hinzu kommt noch, dass Tea Garden auch etwas die mechanische Kohärenz fehlt: Die vielen Kombos sind durchaus reizvoll, sie sorgen aber dafür, dass man gerade in den späteren Zügen zwischen verschiedenen Teilen des Spielplanes innerhalb desselben Zuges hin- und herspringt. Das hat etwas rastloses, vor allem weil dadurch die Hauptaktion  zwischen den zahlreichen Neben- und Bonusaktionen nicht nur verschwimmt, sondern sogar an Bedeutung verliert. Zum Teil gerät man gegen Spielende sogar in die Situation, eigentlich keine Hauptaktion durchführen zu wollen, aber irgendetwas machen zu müssen, um die Boni abgreifen zu können. Das wirkt leicht desorientierend, zumal spätestens an diesem Punkt auch jeder für sich spielt – die anderen sind allenfalls ein kleiner Zufallsfaktor beim Kartenmarkt.

In einem Genre, in dem die Latte im Moment sehr hoch hängt, sind diese kleinen Nachteile vermutlich schon ausreichend, um nicht ganz oben im Eurogamebereich mitzuspielen – unabhängig von allen mechanischen Qualitäten, empfinde ich vergleichbare Spiele daher als reizvoller.

Peer Sylvester
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