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Spirits of the wild

Verlag: Mattel
Autor: Nick Hayes
Spieleranzahl: 2
Alter: ab 10 Jahren (ab 7 geht auch schon, wenn die Texte erst mal verstanden sind)
Spieldauer: 10-20 Minuten

Der „Wiederspielreiz“ ist natürlich die Metrik des Rezensenten von Welt – was anders als der Reiz, das Spiel erneut aus dem Schrank zu holen, könnte für ein Urteil für die Güte eines Spieles von Bedeutung sein?

Doch bei näherer Betrachtung fällt auf: So einfach ist das nicht. Was ist z.B. mit Spielen, die man nur einmal spielen kann, wie Escape Games? Oder was ist mit Spirits of the wild? Wenn über „Wiederspielreiz“ geredet wird, dann ist oft eigentlich gemeint: Wie oft kann man das Spiel spielen, bis man „alles gesehen hat“? Also wie lange das Spiel Überraschungen, neue Wendungen und/oder Strategien bereit hält. Von dieser Warte aus, hat Spirits keinen hohen Wiederspielreiz, denn nach zwei, spätestens nach drei Partien wird man feststellen, dass das Geschehen immer in sehr engen Bahnen verläuft:

Ziel ist es, wertvolle Kombinationen von Steinen auf seinem Tableau abzulegen: Also Farb-Mehrlinge oder möglichst viele verschiedene Farben – das übliche halt. Entsprechend befassen sich die meisten Aktionen mit dem Nehmen von Steinen oder dem Nachziehen des gemeinsamen Vorrats, wenn dort nichts brauchbares (oder auch schlicht gar nichts) liegt. Jede Aktion kann nur einmal gewählt werden, also muss man seine Aktionen regelmäßig „Untappen“ was hier einen Sonderzug erlaubt, der zudem ständig wechselt. Die  dritte Aktion ist das Versetzen des Kojoten zum Gegner, der einen Teil des Tableaus dort blockiert.

Zwar hängen die konkreten Aktionen natürlich in erster Linie von dem Angebot der Steine ab, aber schnell kristallisieren sich Standardzüge heraus, genauso wie Kombinationen, die eher bespielt werden als andere. Auch das Timing des Kojoten wird sich schnell auf einen speziellen Rhythmus einpendeln, denn das Umsetzen der Blockade macht nur Sinn, wenn der Gegner diesen nicht unmittelbar returnieren kann (oder will). Große Überraschungen erwarte ich in keiner Partie mehr.

Ist also der Wiederspielreiz gering?

Ich beantworte die Frage mit einer Gegenfrage: Ist Das fünfte Element ein besserer Film als The sixth sense? Letzterer werde ich mir vermutlich nie wieder ansehen, ersterer habe ich bestimmt schon 30 mal gesehen. Trotz mangelnden Wiedersehreiz gilt letzterer aber als der bessere Film. Warum?

Kurzer Schnitt auf den Küchentisch. Meine Tochter und ich warten darauf, dass das Essen fertig ist. Das wird etwa eine Viertelstunde dauern. Wir spielen Spirits of the wild, um uns die Zeit zu vertreiben. Wie die Tage zuvor schon auch. Tatsächlich haben wir in der vergangenen Woche bereits sechs Mal Spirits… gespielt. An Alternativen würde es nicht mangeln

Verwirrt? Ist der Wiederspielreiz doch hoch? Habe ich gelogen?

Nein, es ist nur so, dass „Wir spielen das oft“ und „Die Partien ähneln sich sehr“ beide wahr sein können. So wie Filme aus den unterschiedlichsten Gründen gefallen können, so können auch Spiele aus den unterschiedlichsten Gründen gut sein – manches Spiel lockt durch Überraschungen und ist „immer wieder neu“, locken also unsere Neugier, andere Spiele locken durch besondere geistige Herausforderungen Und wieder andere locken dadurch, dass man sie schnell und immer wieder zwischendurch schnell spielen kann, weil die Partie knackig sind, gerade auch weil man genau abschätzen kann, was ungefähr passieren wird – aber nicht wem. Gelingt es mir beim Kojoten ins Offensivspiel zu kommen? Wie viele gleiche Steine kann ich im entsprechenden Tableau-Bereich sammeln? Wer bekommt die Verdopplungssteine, die Bereiche sperren, dort aber für doppelte Punkte sorgen? Und wann? Am Anfang wenn sie nix nützen oder dann wenn man sie braucht? Da ist genug Unsicherheit drin, um Spannung zu generieren, genügend Mikroentscheidungen, um sich mit dem was man macht zu identifizieren, ohne dass es aber belastet. Die Hürde zwischen „Schrank“ und „Tisch“ ist bei Spirits of the wild extrem niedrig.

Nicht jedes Spiel muss überraschende Spielverläufe bieten. Nicht jedes Spiel muss man viermal hintereinander spielen können. Ich würde sogar sagen, dass von meinen sieben mit 10 bei BGG bewerteten Spielen nicht einmal die Hälfte Spiele sind, die ich zweimal direkt hintereinander auf den Tisch bringen würde.

Wer epische Schlachte am Spieltisch erwartet, an die man sich noch in Jahren erinnern wird, liegt bei Spirits of the wild falsch. Dies ist kein Spiel, über das man in zehn Jahren noch ehrfürchtig sprechen wird. Wenn meine Leser aber einen ähnlichen Schrankdurchsatz bezüglich ihrer Spiele haben, wie ich, stellt sich die Frage, ob man da Ansprüche erhebt, die eigentlich gar nicht erfüllt werden müssen, Fragen stellt, deren Antwort niemanden interessiert.

Wer kleine Zweipersonen-Lückenfüller sucht, die man schnell runterkloppt, während Windows die neuesten Updates installiert, könnte es bedeutend schlechter treffen als mit den abstrakt-spirituellen Ausflug in die Wildnis/Steine Ziehens

Peer Sylvester
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