Autorin: Sarah Shipp
Illustratorin: Mercedes Palacios
Verlag: Sparkworks / Corax Games
Für 2-6 Spieler*innen
Ab 14 Jahren
Dauer: 30-90 Minuten
Satire ist ein Begriff, dessen Bedeutung meist über seine Anwendung erlernt wird. Entsprechend kann der Eindruck entstehen, dass Satire einfach nur Witze sind, die auf Kosten anderer gehen. Witze, die Frauen abwerten, sind dann nicht sexistisch, sondern „Satire“. Vor dieser Begriffsaufweichung sind auch Brettspiele nicht sicher. So gibt es ein sehr erfolgreiches Kartenspiel für „furchtbare Menschen“, die ihren Humor nicht als geschmacklos und pietätlos benennen, sondern als „Satire“ verkaufen. Umso erfreulicher also, dass mit Schwarze Witwen ein Kartenspiel erschienen ist, welches den Begriff Satire zu Recht beanspruchen darf.
Der thematische Aufhänger ist dabei bewusst makaber gewählt. Als Frauen im Großbritannien des 19. Jahrhunderts suchen wir den gesellschaftlichen Aufstieg mit Hilfe von Heirat, dem frühzeitigen Tod unseres Gatten und dem daraus resultierenden Erbe. Dieses Erbe gilt es als Mitgift in die nächste Ehe zu überführen. Am Ende will man genug Eigentum besitzen, um den großen Preis zu ergattern: die Ehefrau des Duke of Lonsdale zu werden. Bis es jedoch so weit ist, müssen einige Übergangsehen geschlossen und geschieden werden. Natürlich auf die einzig respektable Art wie es sich für Lebenspartnerschaften zu der Zeit gehört: durch das Ableben des Gattens. Das ist so unabwendbar, dass wir uns entscheiden die Sache zu verkürzen und selbst für das natürliche Ende der Ehe zu sorgen. Das geschieht mit Hilfe von Karten, die wir unter bestimmten Vorbedingungen aus der Hand spielen. Mit dem Abgang des Ehemannes erben wir seinen Besitz, der uns als Mitgift in die nächste Eheschließung dient.
Ein Großteil des Humors in Schwarze Witwen speist sich aus indirekten Umschreibungen von Mord. Bisher konnte es sich keine Mitspielerin verkneifen kurz zu erwähnen wie und warum der fiktive Gatte starb. Das geschah in einem offen ironischen Ton und mit so viel gestellter Bestürzung wie das eigene Schauspieltalent erlaubte. Das allein würde Schwarze Witwen bereits zu einem unterhaltsamen Spiel machen. Der Spielverlauf ist dabei robust genug, um nicht zu langweilen. Vielspieler*innen werden im Regelaufbau viel Vertrautes wiederfinden. Aber Schwarze Witwen benötigt keine innovative Regelkniffe, um gut zu funktionieren. Das Spiel ist flüssig und die Äußerungen am Tisch makaber und ironisch.
Zynische Umschreibungen von Kapitalverbrechen machen aber noch keine Satire. Schwarze Witwen schiebt den Fokus seines Themas nicht ohne Grund auf Frauen. Die Männer sind Staffage und als Ehepartner visuell wie auch im Rahmen der Regeln austauschbar. Das Spielgeschehen wird durch die Frauenfiguren und damit von unseren Entscheidungen vorangetrieben. Thematisch werden wir aber in eine Gesellschaft versetzt, in der uns aufgrund unserer Identität eine solche Selbstbestimmung verwehrt bleibt. Es ist genau diese Spannung zwischen Thema und Spielhandlung, weshalb Schwarze Witwen als Satire funktioniert.
Leserinnen und weiblich gelesene Personen generell brauchen keine Erklärung, um diesen Zusammenhang zu erkennen. Mit Sicherheit auch nicht von mir. Manch Leser hingegen mag sich fragen, warum der spielerische Mord an Männern Satire sein soll. Diesen Herren ist folgender Erklärungsversuch gewidmet.
Sexismus und Misogynie ist auch 2024 kein Randphänomen. Im Gegenteil, es scheint einflußreichen politischen Parteien ein wichtiges Merkmal ihres Programms und ihres Wertekanons zu sein. Das mag man als verirrte Ansichten von Einzelpersonen abtun wollen, aber wenn diese Einzelfälle wiederholt und regelmäßig auftreten; so muss man von einem systemischen Problem sprechen. Es ist ein allgegenwärtiges Hintergrundrauschen in dem Menschen bestimmter Identitäten damit rechnen müssen bevormundet zu werden. Ein Umfeld, in dem sie aus politischem Kalkül auf bestimmte biologische Eigenschaften ihres Körpers reduziert werden. Es ist eine Gesellschaft in der sie ihre Gleichbehandlung immer wieder einfordern und erstreiten müssen.
Natürlich hat Schwarze Witwen mit diesen konkret benannten Umständen nichts zu tun. Es ist ein Spiel und damit Fiktion. Auch wenn die Anleitung Kurzbiographien von ausgewählten Frauen aus der Geschichte bietet. Aber der thematische Aufhänger von Schwarze Witwen ist ein Ventil, um den Frust, den Ärger und auch die heruntergeschluckte Wut ein klein wenig loszulassen. Man kann zumindest in diesem Spiel das Patriarchat in kleinen Schritten aus dem Weg räumen, um sich das selbstbestimmte Leben zu holen, welches einem zusteht. Das ist der Grund weshalb hinter dem Schmunzeln und Lachen am Tisch etwas Feuer steckt. Es ist ein kleines Spiel, welches durch den Umriss einer offensichtlich frauenfeindlichen Gesellschaft gerade diese Menschen sieht, die wegen solcher Ungerechtigkeiten andauernd Wut in sich tragen. Es ist dieses Lachen über die Ungerechtigkeit, welches Spieler und Spielerinnen am Tisch verbindet. Unser Handlungen sind eine Art die Absurdität der Gesellschaft als lächerlich zu entlarven und so Kritik daran zu üben. Nichts anderes tut Satire.
Ob man diese Satire für treffend hält, hat viel damit zu tun, ob man den erwähnten Frust, und Ärger verstehen kann oder sogar teilt. Dann ist Schwarze Witwen ein hoch amüsantes Spiel, welches mit Hilfe seines Themas daran erinnert, dass man sich diese gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten nicht nur einbildet. Schwarze Witwen bietet ein robustes, wenn auch unaufgeregtes, Regelgerüst. Zwischen dem Ausspielen der Karten und den kurzen Beschreibungen der eigenen Handlung, entstehen immer wieder kurze Momente makaberen Humors. Das mag nicht jedem gefallen, aber das muss es auch nicht.
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