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Naschfabrik

Verlag: Funnyfox
Autor: Thomas Danede
Spielerzahl: 2 – 4
Alter: ab 8 Jahren
Spieldauer: ca. 15 Minuten

Der Erfolg eines Zaubertricks hängt davon ab, dass es gelingt die Aufmerksamkeit des Publikums vom eigentlichen Geschehen abzulenken. Wenn ich etwa mit meiner linken Hand eine Münze unter ein Tuch legen möchte, dann sollte das Publikum allein auf meine rechte Hand schauen. Wenn ich dann das Tuch wegziehe, sind alle erfreut und überrascht, dass sich die Münze nun dort befindet und nicht etwa in der Hand auf die sie die ganze Zeit geschaut haben.

Überraschungen können zwar auch bei Brettspielen für Freude sorgen, aber in einem Spiel so in die Irre geführt zu werden empfinden viele als störendes Hindernis. Der Teil des Spiels, der unsere Aufmerksamkeit besitzt, sollte auch der Teil des Spiels sein, der Spaß macht. Wer sich mit Brettspielen schon lange befasst, erkennt oft mit einem Blick worauf es zu achten gilt. Wenn die Summe der Siegpunkte entscheidet wer gewonnen hat, muss man offensichtlich die Aufmerksamkeit allein auf die Aktionen richten, die auch Siegpunkte einbringen. Der Fachmann spricht hier vom „spielerischen Können“: die analytische Fähigkeit schnell zu erfassen welche Handlung Siegpunkte bringt und welche es nicht tut.

Mit dieser Kernkompetenz kann man auch in Naschfabrik glänzen. Zum Beispiel wenn man die Anleitung liest und dort den Satz bemerkt, der besagt, dass man für ausgespielte Karten und eingesammelte Spielsteine (hier farbige, durchsichtige Stäbchen) Siegpunkte erhält. Der Experte schließt daraus messerscharf, dass er durch das Ausspielen von Karten und das Einsammeln von Spielsteinen Punkte sammelt. Als Folge dessen wird, wenn das Spiel denn auch gut gemacht ist, Spaß generiert. So funktioniert Spieldesign ja schließlich. (Oder zumindest Gamification.)

Ärgerlicherweise erfüllt Naschfabrik aber genau diesen Punkt nicht. Karten auszuspielen und Stäbchen aus der Auslage zu nehmen ist eine sichtlich banale Angelegenheit. In Sachen Spielspaß liegt es nur wenige Schritte über Würfelstapeln oder Brettspiele wieder einpacken. Sicher gibt es da noch Aktionen, die man im Anschluß ans Stäbchen ziehen ausüben muss, aber das ist ja eher Nebensache. Natürlich ärgert man damit andere, wenn Stäbchen oder Karten plötzlich wieder weg sind. Aber darum kann es ja in dem Spiel nicht gehen. Denn es gibt dafür ja auch keine Siegpunkte. Wo kämen wir denn hin wenn Spaß nicht an der Vergabe von Siegpunkten erkennbar wäre?

Bunt ist das Spiel und granatenstark

An diesem Punkt nun, entscheidet die Aufmerksamkeit der Spielgruppe über den Erfolg oder Misserfolg von Naschfabrik am eigenen Spieltisch. Wer mit höchster Präzision das eigene Verhalten allein auf das Ansammeln der Siegpunkte ausrichtet, läuft Gefahr das clevere, unterhaltsame und erfreulich kurzweilige Spiel zu verpassen, das sich gleichzeitig entwickelt.

Das Büfett an Spielstäben ist nicht nur eine Ansammlung von Siegpunkten, sondern auch eine Leiste genau abgezählter Aktionen, die man in jeder Partie auszuführen sucht, um sich den Spielsieg zu holen. Dieser kleine Perspektivwechsel hat überraschend große Wirkung auf das Spielgefühl. Anstatt lieblos Karten von der Hand zu spielen, um sich Stäbe zu nehmen, sucht man gezielt Aktionen (bzw. Aktionen-Kombos wenn man mehrere Stäbe auf ein Mal zieht), um sich einen Vorteil zu verschaffen.

Jede der fünf möglichen Aktionen setzt neue Anreize für den Rest der Gruppe. Zieht man sich neue Karten auf die Hand, macht man die Tauschaktion attraktiver mit der die eben gefüllte Kartenhand schnell wieder weg ist. Spielt man eine wertvolle 3-Punkte-Karte, haben andere ein Interesse daran, diese mit einer Aktion direkt aus dem Spiel zu entfernen. Gleiches gilt für einen 3-Punkte-Stab, den andere vielleicht durch eine geschickt gewählte Aktion wieder in die Auslage hieven wollen. Aktionen zu wählen, um sie aus dem Verkehr zu ziehen, ist eine genauso taktische Überlegung wie das frühzeitige Vorausplanen, um die eventuell schwache Kartenhand wieder zu füllen.

Wer sich – frei nach Pawlowscher Konditionierung – nur auf Siegpunkte und ihre Aneignung versteift, wird sich vermutlich nur wiederholt darüber ärgern wie oft und schnell die angesammelten Siegpunkte aus heiterem Himmel verloren gehen. Ironischerweise kommt gerade die Variante, die auf der Spielschachtel für jüngere Kinder angepriesen wird, der Spielart entgegen, die ein reiner Punktefokus mit sich bringt. Die Aktionen der Spielstäbe werden ignoriert und die Kartenhand wird automatisch nachgefüllt. Das Spiel besteht dann allein aus dem Sehen und Erkennen von Farbkombinationen, die auf der Hand und in der Auslage vorliegen.

Rückt man jedoch die Aktionen in den Mittelpunkt entfaltet Naschfabrik ganz unerwartet eine taktische Ebene, die über die gesamte Spieldauer von 15 Minuten zu überzeugen weiß. Es entsteht ein cleveres Hin und Her zwischen den Spielenden. Die Aktionsmöglichkeiten schrumpfen mit jedem Zug und es steigt die Spannung, ob man noch handeln kann bevor man Spielsteine zurücklegen muss, um neue Karten zu ziehen. Mehr noch, ob man so gezwungen ist wieder Aktionen in die Auslage zurückzulegen, die für noch mehr Unruhe und Überraschung sorgen. Mit nur wenigen Handgriffen entstehen spannende und riskante Entscheidungen, die sich schnell und einfach erfassen lassen.

Naschfabrik ist zugänglich, taktisch und schafft es in nur 15 Minuten für Emotionen zu sorgen. Das ist kein Zaubertrick. Das ist einfach nur gutes Design.

Georgios Panagiotidis
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