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Letter Jam

Verlag: CGE / Heidelberger
Autor: Ondra Skoupý
Spieleranzahl: 2-6
Alter: ab 10 Jahren
Spieldauer: ca. 45 Minuten

Es regt mich sehr auf, wenn jemand von einem Brettspiel behauptet „Das ist ja gar kein Spiel“, normalerweise gefolgt von einer sehr engen Definition von „Spiel“, die zu nichts gut ist, außer rein zufällig das entsprechende Spiel auszugrenzen.

Insofern ist es mir fast unangenehm zuzugeben, dass sich Letter Jam für mich weniger wie ein Spiel anfühlt, sondern mehr wie ein Rätsel. Warum das so ist, versuche ich im folgenden zu ergründen.

Doch zuerst die Klarstellung: Natürlich ist Letter Jam ein Spiel! Es ist sogar ein „zielorientiertes Regelspiel“ was die etwas sperrige Bezeichnung für alle Spiele ist, die wir gemeinhin als Brett- und Kartenspiele bezeichnen; Es hat ein Spielziel (jeder muss die Buchstaben, die man zugeteilt bekommt, deduzieren und daraus ein Wort bilden) und Möglichkeiten dieses zu erreichen (das erkläre ich lieber etwas ausführlicher). Nein, den Status als Spiel stelle ich gar nicht infrage, sonst wäre es ja auch kein Rätsel, warum es sich nicht wie eines anfühlt.

Es wäre vielleicht auch nicht weiter bemerkenswert, wenn Letter Jam völlig interaktionslos wäre – das ist aber gar nicht, im Gegenteil! Es funktioniert z.B. nicht alleine – denn anders als bei anderen kooperativen Spiele, bekämpft man hier keinen Algorithmus, sondern gibt sich gegenseitig Hinweise und Aufgaben;

Damit garantiert jeder am Ende ein Wort legen kann, bekommt jeder am Anfang ein Wort von seinem Nachbarn, dessen Buchstaben er vermischt. Es ist explizit nicht Ziel das Wort zu raten, solange man am Ende ein Wort vorliegen hat. Ob aus „Regal“ ein „Lager“ geworden ist, ist irrelevant.

Die Buchstaben errät man nach und nach: Jeder hat einen (bei niedrigen Mitspieleranzahlen auch mal zwei) Buchstaben in Hanabi-Manier vor sich stehen, so dass jeder die Buchstaben der Mitspieler sieht, nicht aber seine eigenen. Hinweise gibt, wer welche geben will, wobei ein Mechanismus dafür sorgt, dass die Hinweise zumindest einigermaßen zwischen den Spielern verteilt sind. Hinweise sind Wörter, die der Hinweisgeber mit den für ihn sichtbaren Buchstaben erstellt. Wobei niemand das Wort selbst hört, sondern nur sieht welche Buchstaben an welcher Stelle vorkommen und so hoffentlich auf die eigenen schließen kann:

Hat Spieler 1 ein S und Spieler 2 ein N und Spieler 3 Ein A, so könnte der vierte Spieler das ´Wort „NASS“ bilden und dem ersten die Zahlen 3 und 4 geben, dem zweiten eine 1 und dem dritten eine 2. Ob das eine große Hilfe war? Dazu muss man sich in die Position der anderen hineinversetzen.

Spieler 1 sieht NA??, Spieler 2 ?ASS und Spieler 3 N?SS. Für Spieler 1 war der Hinweis vermutlich brauchbar, da es nicht viele Wörter gibt, die in Frage kämen. Für Spieler 2 dagegen war der Hinweis absolut nicht hilfreich, denn ob es Fass, Dass, Maß (mit ss geschrieben), Bass oder sonst was – vielleicht sogar nass – ist, kann er nur raten. Und Spieler drei weiß dass er ein U oder ein A hat, aber nicht welches davon. Der Hinweis war also im großen und ganzen mehr so semi-gut. Besser wäre ANANAS gewesen, denn dann kann jeder der drei seinen Buchstaben vermutlich zielsicher erraten. Das Stellen der Aufgaben ist also, nun ja, genau,  schon eine anspruchsvolle Aufgabe an sich – gelöst werden will die aber auch (maW: die eigenen Buchstaben entschlüsseln). Da die Anzahl der Hinweise pro Spiel limitiert ist, kommt sowas wie  Zeitdruck auf – und das ganz ohne Zeitdruck – und das verhindert, dass die Buchstaben perfekt entschlüsselt werden können. Manchmal kommt man um ein bisschen Raterei beim Entschlüsseln nicht herum. Hilfreich ist hier aber das Wissen, dass aus all den Buchstaben zusammen ja ein Wort bildbar ist.

Insgesamt bietet Letter Jam also mehrere verknüpfte Puzzle, die parallel gelöst werden wollen – und damit sind wir beim Spielgefühl.

Anders als bei anderen kooperativen Spielen löst man hier zwar parallel aber eben nicht gemeinschaftlich die individuellen Rätsel – jeder Spieler sieht einen anderen Satz Buchstaben und sieht damit auch einen ganz eigenen Teil der Aufgabe. Hilfestellungen untereinander sind (abseits der Hinweise) nicht erlaubt, da dabei zwangsläufig Informationen fließen müssten, die nicht fließen dürfen.Daher gibt es eigentlich keine gemeinsame Aufgabe, die man kooperativ löst, vielmehr stellt man sich die ganze Zeit gegenseitig Rätsel, die jeder für sich alleine löst. Die Interaktion ist das Stellen von besonders geschickten Rätseln, aber die eigentliche Denkarbeit liegt bei jedem einzelnen. Das wird durch die Wertung unterstrichen: Es gibt keine scharfe Grenze zwischen „Gewonnen“ und „Verloren“, lediglich eine Punktzahl, wie die Gruppe abgeschnitten hat – und das hängt natürlich auch von den Hinweisen ab, aber wie und ob diese gelöst werden oder überhaupt gelöst werden können, hängt an jedem Individuum.

Damit steht das Rätselgefühl im Vordergrund. Das ist gar nicht negativ gemeint – lediglich, dass es sich nicht nach „spielen“ anfühlt, sondern nach „Jeder löst einzeln Deduktionsaufgaben“. Das ist nicht zwangsläufig das Spielgefühl, das man gemeinhin von einem kooperativen Spiel erwartet. Ist das ein Problem? Mit Sicherheit nicht! Letter Jam ist ohne Zweifel ein originelles Spiel. So originell, dass es die gewohnten Pfade verlässt und im Rätselbereich umherwandert. Das einzige vergleichbare Spiel, dass mir einfällt ist Witness, bei dem die Gruppe ebenfalls Rätselaufgaben lösen muss. Witness habe ich damals mit dem Sylvester bedacht, was zeigt, dass ich mich gerne in den Bereichen bewege, die Letter Jam mir bereitstellt. Die Zielgruppe ist also da, aber sie ist kleiner als bei anderen Koops.

 

Peer Sylvester
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