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Evergreen

Verlag: Horrible Guild
Autor: Hjalmar Hach
für 1-4 Spieler*innen
ab 8 Jahren
Dauer: 45-60 Minuten

Die Spielschachtel wie auch das Spielbrett von Evergreen fallen unter anderem wegen der Zeichnung eines sympathischen grünen Planeten auf. Das Spielerlebnis weckt jedoch weniger Gefühle gottgleicher Macht, sondern erinnert eher ans gemütliche Pflegen eines kleinen Gartens. Man säht, lässt gedeihen und versucht mit Hilfe der sich bewegenden Wertungsskalen viele Punkte zu sammeln. Nebenher nutzt man geschickt Sonderaktionen, so dass sich schnell ein Spannungsfeld zwischen kurzzeitigen Vorteilen und langfristiger Planung ergibt.

Evergreen ist ein beruhigendes und auch entspannendes Spiel, ohne dass es dabei gänzlich den Druck von den Spieler*innen nimmt. Es erinnert an das Pflegen eines Bonsai. Sorgfalt und auch Konzentration stellen zwar eine Form der Anstrengung dar, aber dieser kleine und überschaubare Fokus, weckt im gleichen Zug eine wohltuende Hingabe zu unserer Aufgabe.

Den Spielregeln nach jagen wir Punkten hinterher und vergleichen unsere Erfolge am Ende, um einen Gewinner oder eine Gewinnerin zu küren. Aber stellenweise wirken diese Elemente wie Relikte eines anderes Designs. Das wird nirgends deutlicher als beim ersten, und einzigen, Tie-Breaker des Spiels. Dieser ist derart gewählt, dass das Ergebnis fast immer willkürlich und nahezu unvorhersehbar wirkt. Genauso gut, hätte man einen Würfel werfen können, um zu bestimmen wer ein Quentchen weiter vorne liegen könnte. Denn es ist nicht diese Punktehatz, die das Spiel prägt. Im Herzen des Spiels steckt die wohlige, durchaus kleinschrittige, aber sehr konstruktiv empfundene Pflege des eigenen Biotops.

Mit Bedacht wählen wir die Karten aus, die uns vorgeben in welchem Bereich unseres Spielbretts wir aktiv werden dürfen, und setzen die entsprechenden Holzmarker in ihre Aussparungen. Der kluge Einsatz der Sonderfähigkeiten eröffnet uns noch mehr Chancen den schönsten und prächtigsten Kleingarten vor unseren Augen entstehen zu lassen.

Evergreen gelingt es aus der Herausforderung des überlegten Planen und Handeln eine beruhigende und nahezu entspannende Aufgabe zu machen. Für mich waren daher auch nicht unbedingt die erzielten Punkte meiner Mitspieler*innen der Maßstab an dem ich messen wollte, sondern die unauffällige Punktetabelle aus dem Solo-Modus. Das liegt nicht zuletzt an dem Punkt der Evergreen von seinem Vorgänger Photosynthesis unterscheidet und in der traditionellen Betrachtungsweise dem Design gerne zu Lasten gelegt wird: man kann seinen Konkurrenten kaum schaden. Es ist bestenfalls indirekt möglich ihr Vorankommen auf der Punkteleiste aufzuhalten.

In kleinen sorgfältigen Schritten wächst der eigene Garten

Der Blick liegt fast ausschließlich auf dem eigenen Brett. Die Pläne, Optionen und Ziele der nächsten Runden schwirren einem im Kopf herum, während man versucht abzuwägen welche Weiterentwicklung des eigenen Gartens die vielleicht Lukrativste ist. Man kann höchstens durch die Kartenwahl versuchen, die Optionen der Mitspieler*innen zu beschneiden. Aber durch das flexible Aktionssystem des Spiels ist dieses kleine Sticheln unter erfahreneren Spieler*innen kaum der Erwähnung wert.

Es ist ein Nebenschauplatz, der dem Spiel – je nach Vorliebe – ein klein wenig mehr Würze verleihen kann, aber das Sticheln steht nicht im Mittelpunkt des Spielerlebnis. Dieses findet unter der eigenen Nase, auf dem eigenen Biotop und im eigenen Garten statt. Das knifflige Puzzle der wandernden Sonne welches großen Bäumen Punkte schenkt, während ihre Schatten die Punktequellen hinter ihnen zum Versiegen bringen, ist verlockend und faszinierend zugleich.

Die doppellagigen Spielbretter erweisen sich als bequeme Lösung, um das Spiel haptischer zu machen. Die kleinen Holzbäume in ihre Vertiefungen zu setzen, erfordert nicht zuletzt aufgrund ihrer Größe etwas mehr Konzentration als man es von vielen anderen Spielen gewohnt ist. Auf unterschwellige Art wird man zu Sorgfalt und Vorsicht geführt, und übernimmt ganz ungezwungen einen genauen Blick auf Details und die kleineren Zusammenhänge, die sich auf dem eigenen Spielbrett auftun.

Darum ist Evergreen kein Spiel der großen Gesten und fundamentalen Veränderungen. Stattdessen baut man sich Schritt für Schritt einen persönlichen Garten auf, welcher seinen Wert nicht zwingend in seiner Farbenpracht und ästhetischen Wirkung zeigt. Am Ende dienen die Steine der Punkteleisten als Beleg dafür, dass wir die uns gestellte Aufgabe erfüllt haben. Manchmal mit Bravour, manchmal mit guter Absicht. Aber immer mit dem angenehmen Gefühl etwas geschafft zu haben. Das nächste Mal gelingt es vielleicht noch etwas besser.

Georgios Panagiotidis
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