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Abgrundtief

Verlag: Fantasy Flight Games
Autor: Tony Falchi (basierend auf einem Spiel von Corey Konieczka)
Spielerzahl: 3-6 Spielende
Alter: ab 14 Jahren
Spieldauer: 2-4 Stunden

Es ist nicht fair ein Spiel zu rezensieren, in dem man es immer mit einem anderen vergleicht. Im Fall von Abgrundtief ist dieser Vergleich aber zumindest nachvollziehbar, da das Spiel im großen und ganzen eine Neuauflage des Battlestar Galactica-Spiels von 2005 ist. Für jenes Spiel würde eine Lizenz eingeholt, um Bilder und andere grafische Elemente der Serie zu verwenden. Ohne die Hintergründe genau zu kennen, ist anzunehmen, dass eine erneute Lizensierung nicht möglich oder finanzierbar war, weshalb das Regelsystem nun in überarbeiteter Form mit einem neuen Thema ausgestattet wurde.

Abgrundtief gehört zur Arkham Horror Files-Reihe von Fantasy Flight Games. Damit deckt es grafisch und thematisch ähnliche Inhalte ab wie Arkham Horror, Eldritch Horror oder auch Das Ältere Zeichen. Wer diese Spiele kennt, wird die Gegenspieler schon grob umrissen kennen: verstörende Monster und ihre riesigen Herrscher versuchen die Figuren der Spielgruppe zu überwältigen.

Eine Seefahrt, die ist lustig… haben sie gesagt

Den erzählerischen Rahmen setzt das Spiel dabei mit einer Irrfahrt über den Atlantik, welche entweder mit der Ankunft im sicheren Hafen New Yorks endet oder mit dem Untergang in die Tiefen des Meeres. Diese Ereignisse malen sich den Spielenden danach aus, ob das Team Mensch oder Team Hybrid siegreich waren. Denn das ist der zweite wichtige Punkt des Spiels: die Spielgruppe wird im Normalfall in zwei Teams geteilt, welche wahlweise das eine oder andere Ende des Spiels erreichen wollen. Die eigene Team-Zugehörigkeit wird dabei geheim gehalten. Der Grund dafür ergab sich beim Science-Fiction-Vorgänger aus der Geschichte der Fernsehserie; Abgrundtief deutet als Grund eine Mischung aus Scham, Paranoia oder Niederträchtigkeit an. Je mehr man über den Autoren weiß, der die Kurzgeschichten verfasste auf denen die Arkham Horror Files-spiele beruhen, umso weniger will man jedoch über diese Gründe für die Geheimhaltung nachdenken. Es reicht aber auch aus, diese Geheimhaltung als schlicht durch die Regeln gegeben zu akzeptieren. Ähnlich wie man auch akzeptiert, dass jede Figur, die man hier spielen kann, zu Beginn ihres Zuges von unterschiedlichen Kartenstapeln zieht. Es ist eine Regel, die für den Laien so verbindlich wie unergründbar ist. Es ist so, weil es nun mal so ist.

Aber auch das ist kein Beinbruch. Solche Regeln fallen meist erst auf, wenn das Spiel nicht zu überzeugen weiß oder sein Thema hinter verwunderlichen Abstraktionen versteckt. Die Abstraktionen bei Abgrundtief sind absolut nachvollziehbar, so lange man Battlestar Galactica kennt. Damit erfüllt Abgrundtief seinen hintergründigen Zweck: eine neue Auflage eines Spiels zu sein, dessen Lizenz dem Verlag nicht mehr zur Verfügung steht. Denn wer Battlestar Galactica kennt, wird auch große Teile von Abgrundtief bereits kennen. Man kann sich auf dem Schiff bewegen, um Aktionen auszulösen. Man kann Karten spielen, um sich u.a. gegen Monster zur Wehr zu setzen und man nimmt mit Hilfe der Karten an Abstimmungen teil, um den Fortlauf des Spiels zu beeinflussen.

Battlestar Galactica war ein Zermürbungsspiel. Man hat als Team Mensch gelitten, Rückschläge erhalten und musste die gesamte Spieldauer durchhalten, und um den Sieg bangen. Es gab Momente der Hoffnungslosigkeit und der Verzweiflung, weil das Ziel unerreichbar schien. Diese Verletzlichkeit befeuerte dann auch das Misstrauen zwischen den Spieler*innen, so dass man sich viel argwöhnischer beäugte, ob und wenn ja wann andere bei Abstimmungen Karten beitrugen und wann nicht.

Diese psychologische Komponente trug viel zur Wucht des Spielerlebnisses bei. Battlestar Galactica war nicht nur wegen seiner Spieldauer ein Erlebnis. Aber die emotionale Erfahrung des Spiels wurde zu einem Teil auch durch seine Spieldauer ermöglicht. Versuche Battlestar Galactica zu verkürzen, entfernten nur die negativen Empfindungen auf denen das Spielerlebnis fußte. Ohne das Gefühl der Erschöpfung und Ermattung im Laufe des Spiels, fehlte einfach die Wucht des Finales. Das gekürzte Spiel verkam zu einer Bluffpartie.

Die große Vielfalt an Charakterhintergründen ist unerwartet, aber willkommen

Abgrundtief hält sich darum mit großen Änderungen zurück. Es fügt vor allem einige schöne Verbesserungen zum Original ein. Es sind kleine Details, die den Spielfluss glätten. Bewegung ist vereinfacht. Das Spielmaterial ist mit mehr Informationen ausgestattet, die eine Spielunterbrechung, um Regeln nachzulesen, seltener machen.

Eine subtile, aber weitreichende Veränderung betrifft die Krisenkarten, die es am Ende eines jeden Zuges abzuhandeln gilt. Hier muss man entscheiden, welche der kostbaren Spielressourcen man aufgeben will, um Schlimmeres abzuwenden. Nicht selten musste man begehrte Handkarten abgeben, die man sich eigentlich für den eigenen Zug aufheben wollte. In Abgrundtief verändern diese Krisenkarten fast ausnahmslos die Spielsituation. Man gewinnt Ressourcen zurück, drängt Fischwesen in die Untiefen und kann fast immer darauf bauen die lange Reise des Schiffes zu verkürzen. Im Vergleich dazu, wurden selbst die größten Anstrengungen und Entbehrungen bei Battlestar Galactica oft nur mit einem „Nichts passiert“ belohnt. Auf den ersten Blick scheint das eine klare Verbesserung des Spielerlebnis zu sein. Die Mühen der Spielgruppe werden belohnt und nicht mit Stillstand quittiert.

In Battlestar Galactica litt man unter den Launen dieses Krisenstapels und den Machenschaften der Zylonen. Man versuchte allein durch Zusammenhalt und gegenseitiges Vertrauen ans Ziel zu kommen, oder durch die zweifelnden, keifenden und spöttischen Stimmen der Zylonenspieler*innen daran zu scheitern. Man verlor seine wertvollen Handkarten an Krisen, um einen Schicksalsschlag nach dem anderen abzuwenden; nur um irgendwann doch zu straucheln. Man hatte immer das Gefühl kurz vor dem Abgrund zu stehen, während der Krisenstapel die gesamte Gruppe mit voller Wucht nach vorne stoßen wollte.

In Abgrundtief dürfen Spieler*innen aktiver sein und bekommen Werkzeuge angeboten, um ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Es gibt Gegenstände, z.B. Waffen mit denen man sich gegen das Hybridenpack zur Wehr setzen kann. Das führt dazu, dass sich Abgrundtief eher wie ein (etwas brutaler) Studentenumzug in den 4. Stock anfühlt als die unheilvolle Reise einer Schicksalsgemeinschaft.

Wenn sich jemand am Tisch als Mitglied des Team Hybrid enttarnt und auf dem Schiff für Unheil sorgt, dann verstricken sich unsere Spielfiguren in Prügeleien, Schießereien und ähnliches. Das Resultat ist, dass unsere Figuren immer wieder in der Krankenstation landen und ihren nächsten Zug geschwächt starten. In diesen Momenten erinnert Abgrundtief vor allem an Spiele wie The Hills Rise Wild. Ein über 20 Jahre altes Spiel mit Mythos-Hintergrund in dem man sich als Kultisten, Mutanten, Killer, usw. ein wildes Gerangel und Gekloppe liefert, um das Nekronomikon an sich zu reißen. Es ist kein Spiel der feinsinnigen emotionalen Spannungskurve. Es ist Ameritrash, so wie man es oft herablassend „kennt“: Gewürfel, Gejohle und nicht selten zerschossene und in Stücken zerfetzte Gegner. The Hills Rise Wild ist trashiger, Z-Movie Gore-Horrorspaß.

Die große Abreibung steht an

Ganz so weit auf die Spitze treibt es Abgrundtief natürlich nicht. Aber das Finale ähnelt dann doch eher einem Horror-Actionfilm in dem der Kesselraum noch unbedingt die letzten Schaufeln Kohle in den Heizkessel bekommen muss, um im Hafen anzukommen, bevor die Fischwesenmonster das Schiff in seine Einzelteile zerlegt haben. Das ist nicht selten ein buntes Spektakel. Es macht auch viel Spaß. Aber es erreicht eben nicht das Pathos – und damit auch den Nervenkitzel – den ein finaler Würfelwurf bei Battlestar Galactica erreichen konnte. Oder eben auch die Erinnerungswürdigkeit, die sich nach 3-4 Stunden Spieldauer und emotionaler Anstrengung im Kopf festsetzt.

Abgrundtief ist kein schlechtes Spiel. Es vermittelt ein robustes Verständnis des Spielverlaufs und der Regeln von Battlestar Galactica. Aber dessen Besonderheit und der Grund weshalb es eben so verehrt wird, kann es nicht einfangen. Dafür will Abgrundtief dann doch „nur“ unterhalten. Was in 90% der Fälle das richtige, beste und vielleicht einzige Ziel eines Spieldesigns sein sollte. Aber Battlestar Galactica stach auch deshalb hervor, weil es sich das Ziel gesetzt hatte die Stimmungen einzufangen, die diese Serie ausgemacht haben. Dazu gehörte Paranoia, eine oft erdrückende Hoffnungslosigkeit und der gelegentliche Schimmer der trotzigen Verbissenheit, wenn es doch irgendwie gelang das Schlimmste zu vermeiden.

Wenn man versucht Abgrundtief getrennt von seinem Original zu betrachten, bleibt ein visuell sehr einnehmendes Spiel. In Zeiten der Crowdfunding-Überproduktion sticht es leider dadurch nur bedingt heraus. Einige der interessanteren Regeln des Spiels, scheinen um ihrer selbst willen zu existieren. Warum muss das Schiff 5 Streckeneinheiten reisen, bevor der Kapitän eine Reisekarte aufdecken kann? Warum erhält man nach der Hälfte der Reise eine weitere Loyalitätskarte, die einen das Team wechseln lassen kann? Warum müssen die Krisenkarten per geheimer Abstimmung aufgelöst werden? Sowohl thematisch wie auch mechanisch sind die Erklärungen in Battlestar Galactica naheliegend, während die Erklärungen bei Abgrundtief oft nur auf Battlestar Galactica verweisen können.

Das Finale beginnt meist mit dem Schaufeln von Kohle

Abgrundtief steht damit etwas farblos dar, und das obwohl die diverse Charakterauswahl dem Spiel deutlich mehr Vielfalt hinzufügt, als man erwarten würde. Es fühlt sich eben doch gut und anders an, wenn die Charakternamen und Illustrationen nicht aus dem selben Kulturkreis stammen. Das Spiel ist gefälliger und auch an vielen Stellen glatter als sein Vorfahre.

Diese Gefälligkeit geht leider auf Kosten der Besonderheit des Spiels. Abgrundtief fühlt sich mechanisch an und man vermisst die psychologische Ebene, die Battlestar Galactica so beeindruckend gemacht hat. Abgrundtief ist generischer, weil es einer ähnlichen Logik folgt, wie man es aus anderen Spielen kennt: es bedient eine Machtfantasie, in der man immer mehr Einfluss auf den Spielverlauf übt, und gemeinsam Herausforderungen bezwingt. Aber auch in diesem Genre gibt es schlankere, schnellere und weniger „nerd“-lastige Spiele, die vergleichbares schaffen. Abgrundtief sticht damit eher wegen seiner Entstehungsgeschichte heraus, statt durch ein einzigartiges Spielerlebnis, welches nur mit diesem Spiel möglich ist.

So say we all.

Georgios Panagiotidis
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