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Mini Mutabo

Verlag: Drei Hasen in der Abendsonne
Autoren: Kathi Kappler und Johann Rüttinger (basierend auf einem traditionellen Spiel)
Spieleranzahl: 3 bis recht beliebig viele Spieler
Alter: ab 10 Jahren (ggf. auch etwas jünger, lesen sollte man halt schon gut können )
Spieldauer: So lange die Spieler wollen. Eine Runde dauert so ca. 5 Minuten

Ca. 2000 spielte ich zum ersten Mal ein Spiel, bei dem man sich einen Begriff – oder besser ein Sprichwort oder einen Filmtitel – ausdachte, auf einen Zettel schrieb und diesen weitergab. Der nächste musste diesen Begriff (oder Sprichwort oder Filmtitel) malen und das Blatt geknickt weitergeben. Der nächste versuchte zu erraten, was auf dem Bild dargestellt ist, schrieb seine Interpretation darunter und gibt es weiter, der nächste malt dann wiederum die Interpretation davon usw. Da mir kein Titel für das Spiel bekannt war, nannte ich es Titel-Bilder und stellte es 2005 in meinem Buch Jam Dudel vor. Erst später erfuhr ich, dass das Spiel im englischsprachigem Sprachraum als Eat poop you cat bekannt ist (laut Boardgamegeek seit 1984).

2012 brachte Goliath Toys eine kommerzielle Variante („Stille Post Extreme„) auf dem Markt, bei dem eine absolut überflüssige (und eher kontraproduktive) Punktwertung und schicke Blöcke ergänzt wurden. Diese Version wurde  schnell ein Hit in meiner Familie.

2017 brachte Drei Hasen in der Abendsonne erstmals Mutabo auf den Markt – Ohne Punktwertung, dafür aber mit lustigen Karten.

2019 schrumpfte der Verlag die Verpackung, in dem der überflüssige (aber immerhin mit Knicklinien ausgestatte) Block gestrichen wurde. Und natürlich sind die Karten, der Kern dieser Version, neu. Warum es die beste Version auf dem Markt ist und das traditionelle Spiel gut ergänzt, werde ich auf den nächsten 372 Seiten meiner Doktorarbeit ausführlich darlegen:


Bei Mutabo (abgeleitet von Mutabor aus dem Märchen Kalif Storch) gibt es keine Siegbedingung – es geht nicht um Punkte, es gibt keine festgelegte Spieldauer, niemand scheidet aus, niemand spielt auf Gewinn, nicht einmal kooperativ. Damit fällt Mutabo nicht in den Bereich der „Zielorientierten Spiele“, die hier sonst besprochen werden und deren Definition in etwa lautet: „Es gibt ein Spielziel und feste Regeln, nach denen die Spieler das Ziel erreichen können“. Wer jetzt aber Mutabo als „Aktivität, kein Spiel“ abstuft, übersieht, dass zielorientierte Spiele nur eine Teilmenge der „Regelspiele“ bilden (die zusammen mit „freiem Spiel“ die Aktivität (sic!) „Spiel darstellen) – Auch Fantasy-Rollenspiele etwa haben in der Regel keinerlei Siegbedingung und denen wird auch nicht unterstellt „Kein Spiel“ zu sein. Mit Rollenspielen hat Mutabo freilich nur gemein, dass der Weg das Ziel ist – hier geht es lediglich darum Spaß zu haben und zwar natürlich Spaß an den irrwitzigen Zeichnungen und vor allem der Evolution, die ein Begriff (oder ein Sprichwort oder ein Filmtitel) durchwandert. Es ist immer wieder erstaunlich, was erkannt wird und bis zum Ende durchläuft und was sich komplett verändert, oft ins Gegenteil verkehrt wird. Das macht einfach SPASS, wie wir Fachanalytiker sagen. Hier möchte ich tiefergehende Analysen über die Wurzeln des Spaßgefühles in Mutabo vermeiden und verweise diesbezüglich auf meine in Bälde erscheinende zwölfbändige  Abhandlung zu diesemThema. Mittlerweile sollte der Leser aber auch so schon eruiert haben, ob ihn Mutabo interessiert.

Spannender ist die Frage: Warum ist Mini-Mutabo die beste kommerzielle Version?

Spielt man das Spiel ganz klassisch „Pen&Paper“, stellt man schnell fest, wie schwierig es eigentlich ist, sich einen passenden Begriff für den Anfang auszudenken: Man will nicht zu einfach werden, denn wenn sich in all den Male-und Raterunden gar nichts ändert, ist das ein bisschen antiklimatisch. Bei zu abstrusen Begriffen aber ist die Verblüffung zu klein, wenn sich was ändert, da sowieso niemand damit gerechnet hat, dass „Existentialphilosophie“ vom ersten Rater richtig erkannt wird. Und als Rater hat man mehr Spaß, wenn man zumindest versuchen kann, zu erraten, was auf dem Bild zu sehen ist. Daher waren Sprichwörter immer eine gute Idee, aber davon gibt es halt auch nur eine begrenzte Anzahl. Und wenn man weiß, dass es ein Sprichwort ist, ist es irgendwann auch zu einfach. Dies ist der einzige Schwachpunkt von Titel-Bilder und hier greift Mutabo an – anders als Stille Post Extrem, deren Redaktion man vorwerfen kann, den Reiz des Spieles nicht verstanden zu haben (wozu eine Punktwertung, die genau das spassige Element unterläuft?). Material sind Karten, die in Soldatenspiel-Manier kombiniert einen Satz bilden wie „Der jonglierende Pausenclown springt über eine hohe Mauer“. Die Elemente kann man theoretisch zeichnen und können theoretisch erkannt werden und sind oft auch für sich genommen schon witzig – wenn dann neue, witzigere Sätze herauskommen, hat das Spiel erreicht, was es soll. Mehr muss eine kommerzielle Version dieses Spieles nicht leisten!

Und damit sind wir beim Hauptargument pro Mini Mutabo: Der Preis. So schön die abwaschbaren Blöcke bei der Goliath -Ausgba auch waren: Im Prinzip braucht man für dieses Spiel nur Papier und Stift. Wer das Spiel kennt, weiß das und wird nicht Geld für besonders schickes Papier und Stift ausgeben wollen – aber vielleicht kleines Geld für einen großen Batzen absolut geeigneter Anfangssätze.

Peer Sylvester
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