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Mighty

Traditionelles Spiel

Verlag: Korea Boardgames

Für 4-6 (eigentlich: 5) Spielende ab 10 Jahren (nur wenn Stichspielerfahren, sonst höher)

Spieldauer: 30-60 Minuten (volles Spiel)

Letztes Jahr brachte der kleine US-Amerikanische Verlag Little Dog Games „Schafkopf“ auf den Markt. Ja, das traditionelle Kartenspiel aus Süddeutschland. Auch wenn das aus hiesiger Sicht merkwürdig erscheinen mag, ist dieses Spiel doch nur ein weiteres einer langen Reihe von traditionellen Spielen, die einem internationalen Publikum bekannt gemacht werden sollen.

Mighty ist ein ebensolches traditionelles Spiel und zwar aus Korea. Dass es nicht ganz so altehrwürdig ist wir Schafskopf, merkt man schon daran, dass es mit einem französischen Blatt gespielt wird. Anscheinend wurde es in den 70er Jahren in der Koreanischen Studentenszene entwickelt, basierend auf dem japanischen Spiel Napoleon.

Vergleicht man traditionelle Stichspiele mit den modernen (Autoren-) Vertretern, so ist auffällig, dass erstere eine sehr viel höhere Regelhürde haben: Etwa Ausnahmen oder Sonderfälle (man denke nur an Doppelkopf mit dem ganzen „Karte A ist höher als Karte B, außer man hat Karte C auch, dann ist die höher, außer im letzten Stich…“-Gedöns). Das ist logisch, sind die Regeln doch organisch gewachsen, statt gezielt um eine zentrale Idee herumentwickelt.

Das ist bei Mighty nicht anders, hier gibt es beispielsweise drei Sonderkarten, deren Identität (Die höchste Karte ist das Pik-As, außer Pik ist Trumpf…) und Reihenfolge von verschiedenen Faktoren abhängt. In Verbindung mit dem weitestgehendem Fehlen von Symbolen auf dem klassischen Deck, gibt es immer wieder kleine Irritationen, weil eine Ausnahme oder ein Sonderfall vergessen wurde.

Hinzu kommt noch, dass Mighty (ähnlich Skat) ein Spiel ist, bei dem anfangs gereizt wird, also die Person bestimmt wird, die Trumpf bestimmt und um Punkte spielt. Das heißt, dass man bereits vor der ersten Partie ins kalte Wasser geworfen wird und sein Blatt einschätzen können muss. Diese typischen klassischen Marker schrecken erst einmal ab.

Aber es gibt eben auch einen Grund, warum traditionelle Spiele immer noch in großen Teilen der Bevölkerung beliebt sind, obwohl sie schwieriger zu erlernen sind als ihre modernen Alternativen: Sie haben sich evolutionär eben auf eine Art entwickelt, die ein besonderes Spielerlebnis bietet und sind so über einen längeren Zeitraum mit mehr Testspielen entstanden, als jedes Autorenspiel. Das macht sich bemerkbar.

Mighty bietet entsprechend erst einmal richtig gutes Stichspiel: Das fängt beim Grummeln über die Karten an und hört bei den trickreichen Überlegungen wie viel man beim Reizen riskieren sollte und wie man seine Karten am besten spielt nicht auf. Mighty verbessert das klassische Spiel durch die pro Person einmalige Möglichkeit die Karten noch einmal neu geben zu lassen. Dadurch ist die Chance kleiner, dass jemand ein Oma-Blatt erhält – in der Regel wird dann jemand anderes neu mischen lassen, weil irgendwo müssen die schlechten Karten ja sein, wenn die guten sich auf einer Hand bündeln. So bleiben die einzelnen Blätter dichter beinander und die Runden bleiben spannend. Eines der größeren Probleme bei etwa Skat etwa ist ja, dass die uninteressanteren Blätter die meisten Punkte bringen. Das ist hier nicht so ohne weiteres der Fall (und wenn doch, hat jemand nicht aufgepasst).

Schick gestaltet aber Linkshänder nehmen vermutlich doch lieber ein eigenes Deck

Der interessanteste Aspekt Mightys ist aber die Partnerwahl. In der Regel spielt man nämlich nicht gegen die anderen vier, sondern sucht sich einen „Freund:in“. Das geschieht meistens in dem eine bestimmte (in der Regel hohe) Karte genannt wird dessen Besitzer:in als Partner mit ins Boot geholt wird. Wie bei Doppelkopf ist die Teamzugehörigkeit so erst einmal unklar, was eine schöne Spannung enthält. Allerdings gibt es den zusätzlichen Gag, dass man als Freund:in eher zufällig mitgenommen wird und sich auch nicht dagegen wehren kann. So ist auch die Auswahl der bestimmenden Karte noch spannend für alle Beteiligten und Unbeteiligten.

Auch bei der Wertung sieht man die klassischen Wurzeln: Sie ist nicht die einfachste Wertung im Sticjspielland, aber gerade dadurch ermöglicht sie es (ähnlich wie bei Tichu), riskantere aber ertragreichere Spiele zu wählen. Gerade für alteingesessene Stichspielende eine nette Würzung, die genau die Stärke der organisch gewachsenen Regeln demonstriert.

Es ist schon ein Stück Kultur, dass Korea Boardgames da versucht zu verkaufen. Insbesondere ein normales Kartendeck mit Regeln auf den Markt zu bringen ist sicherlich nicht einfach – aber auf der anderen Seite hat ein „echtes“ Kartendeck auch immer etwas gediegenes. In der Kneipe gespielt, würde Mighty allenfalls deswegen hochgezogene Augenbrauen verursachen, weil es ein Kartenspiel für fünf Personen ist (die Varianten für vier oder sechs sind eher Krücken), was hierzulande durch die traditionellen Vertreter nicht abgedeckt wird. Das hat schon was! Schade ist allenfalls, dass dadurch die traditionelle Einkleidung (Spielpartei heißt „Regierungspartei“ bestehend aus Präsident und Vize, die anderen sind die Opposition“, das Reizen ist der „Wahlkampf“) verloren gegangen ist. Was vielleicht auch Absicht war, um ja keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass wir hier eben ein klassisches Kartenspiel und keinen neumodischen Autorenkram vorliegen haben.

 

Peer Sylvester
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