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Jamaica

Verlag: Game Works (Vertrieb Pro Ludo)
Autoren: Bruno Cathala, Sébastien Pauchon, Malcolm Braff
Spieleranzahl: 2-6
Alter: ab 8 Jahre
Spieldauer: 30-60 Minuten

Was muss man tun, um ein „Kultspiel“ zu produzieren? Nun es hilft, wenn das Spiel nicht im normalen Handel erhältlich ist. Außerdem sollte es irgendwas besonderes bieten, so dass die vielen Leute, die es nicht haben, auf die wenigen, die es haben, neidisch sein können. So geschehen bei dem Spiel Animalia. Die Graphik von Mathieu Leysenne ist wirklich außergewöhnlich. Hinzu kam dass einer der Autoren, Sebastien Pauchon, kurz vorher mit Yspahan einen ziemlichen Hit abgeliefert hat. Der Kult um das Spiel (und vor allem um die ungewöhnlichen Tierbilder) war aber in erster Linie deswegen so groß, weil das Spiel ursprünglich exklusiv für Schweizer Versicherungskunden herauskam. Und so stiegen die Preise auf ebay so weit, dass ich mir ernsthaft überlegt habe, auf der letztjährigen Spiel in Essen die gesamte Palette Animalias aufzukaufen, die von Hurricane zum Verkauf angeboten wurde…
Unterm Strich kann man dem Spiel aber ein „Knappheits-Hype“ reinsten Wassers: Dass die Graphik zwar schick aber auch wenig funktional ist (nicht alle Tiere bzw. Rollen sind klar zu identifizieren) und dass das Spiel in die Kategorie „Heute gespielt, morgen schon wieder vergessen“ fällt, las man nicht in den begeisterten Vorab-Berichten…

Nun hat der Graphiker Leysenne wieder mit der Versicherung und mit dem Animalia-Autorenteam zusammengearbeitet und wieder stiegen die ebay-Preise… Doch nicht allzu lange, denn Pro Ludo hat sich dem neuen Streich angenommen – und hier sind wir endlich beim eigentlichen Objekt dieser Besprechung angekommen: Bietet Jamaica mehr als nur außergewöhnlich schöne Graphiken?

Als erstes ist die „Schatztruhe“, in der Jamaica kommt, deutlich größer und schwerer als die Animalia-Schachtel. Das ist auch kein Wunder, denn Jamaica ist ein echtes Brettspiel. Öffnet man die Schachtel wird durch die mit Goldmünzen bedruckte Spielanleitung der Eindruck erweckt, die Truhe wäre voller Gold. Naja, zumindest so lange man einäugig ist und 30 Meter weit weg steht, aber dennoch eine nette Idee. Dieser Eindruck wird durch das wirklich wunderschöne Material verstärkt: Schön gestaltete Schiffe als Spielerfiguren, ein wirklich liebevoll gestalteter Spielplan und vor allem für jeden Spieler ein Satz von wirklich traumhaft gestalteten Zugkarten, jede anders. Obwohl es nur 5 verschiedene Aktionen gibt sind die Karten sehr abwechslungsreich gestaltet. Da steckt mehr Arbeit drin, als unbedingt nötig gewesen wäre. Und die Arbeit hat sich gelohnt, sind die Karten doch ein echter Hingucker geworden. Und anders als die Animalia-Karten sind sie (dank Symboliken) auch funktional. Auch die weniger wichtigen Dinge sind ordentlich: Dicke Pappchips, große Würfel sorgen für eine gute Haptik. Sicherlich gehört Jamaica zu den schönsten Spielen in meiner Sammlung! Und in dieser Preisklasse ist das Material eh konkurrenzlos.
Aber bietet es spielerisch was?

Dazu müsste man erst einmal die riesige Spielanleitung aufklappen und studieren. Die ist in der Art einer Schatzkarte gestaltet und soll einen sofortigen Einstieg ins Spiel ermöglichen. Eigentlich eine gute Idee, aber in der Praxis nicht wirklich gelungen: Die Karte ist zu groß, um neben dem Spielplan gelesen zu werden (Das ist wie Zeitung lesen in einer überfüllten U-Bahn). Zudem fehlen einige Regeldetails in der Übersicht. Die stehen extra im Nachschlageteil, dafür stehen dort nicht die Dinge, die im Hauptspielablauf wichtig wären. Resultat: Nachschlagen wird zur Qual.

Aber was zählt ist ja auf dem Tisch!

Und dort beginnt die Runde mit einem interessanten Würfelmechanismus: Der Startspieler würfelt mit zwei Würfeln und entscheidet in welcher Reihenfolge die Würfel ausgewertet werden. Jeder wählt gleichzeitig und verdeckt eine Karte aus. Die zeigt 2 Aktionen – Für jeden Würfel eine. Wenn die Spieler die gewählten Aktionen nacheinander ausführen, müssen die auch tatsächlich nacheinander vollständig ausgeführt werden. Das wiederhole ich ganz gerne, denn nicht selten kommt es zu Robo Rally Effekt: Hey ich setzte jetzt 3+4 Felder vor… Ätsch! Das war aber falsch! Erst 3 Felder vorwärts und dann noch mal 4. Das ist wichtig, denn auf den meisten Zielfeldern muss man Nahrung oder Gold bezahlen und wer zweimal zieht muss zweimal bezahlen. Und wer das nicht kann, zahlt was er kann und zieht zurück auf das letzte Feld, das er sich noch leisten kann. Diese doppelte Bestrafung ist hart und wer dann noch einmal ziehen muss und wieder nicht bezahlen kann wird sogar dreifach bestraft…
Doch so ein Fehler sorgt glücklicherweise für Schadensfreude und nicht für Frust, denn jeder hat bis zuletzt Chancen. Dafür sorgen schon die Überfälle auf die Mitspieler – wer auf ein besetztes Feld zieht, bläst zum würfelgesteuertem Angriff. Immerhin sind wir Piraten!
Angriffe können mit Schwarzpulver verstärkt werden. Zum Bezahlen benötigt man Nahrung oder Gold. Zum Gewinnen braucht man Gold. Zeit also mal über die anderen 3 Aktionen zu berichten! Die sind ganz einfach: Das Schiff bleibt stehen und man lädt das entsprechende Gut in einen leeren Lagerraum (dazuladen ist nicht erlaubt). Dort ist der Platz begrenzt, geht der Stauraum aus, muss ein anderes Gut über Bord geworfen werden. Das ist eine gemeine Regel – und auch hier greift der Robo-Rally-Effekt: Wer erst einlädt und dann zieht, dem kann es passieren, dass er erst etwas über Bord werfen muss, weil er keinen Platz mehr hat und nach dem Setzen leert er zwei Laderäume. Und wenn es ganz blöde kommt, lädt er Gold ein und muss ein anderes Gut wegwerfen. Er hat nur Nahrung als anderes Gut und das geht über Bord. Dumm nur, dass er nach dem Setzen Nahrung zum bezahlen braucht… Ätsch! Wieder nicht aufgepasst!
Dieses Laderaummanagement ist der eigentlich Witz des Spieles.

Sobald der erste einmal um die Insel rum gefahren ist, endet das Spiel und das meiste Gold zählt. Um schnelle Segler zu belohnen gibt es am Ende noch einmal einen Bonus für eine weite Fahrtstrecke. Da ab und an auch mal rückwärts gesegelt wird, eine sinnvolle Regelung. Dieser Bonus ist nicht zu verachten und ein weiterer Grund warum ein Spieler, der einmal Pech gehabt hat, noch echte Siegchancen hat.

Und Pech haben sie sowieso alle früher oder später: Nie hat man die passende Aktionskarte zur Hand, ständig verhaspelt man sich beim Umladen (versehentlich oder weil es nicht anders geht), grundsätzlich zieht man die negativ zählenden Schatzkarten und sowieso nehmen einem die lieben Mitspieler das hart verdiente Gold bei der erstbesten Gelegenheit gleich wieder ab. Der Glücksfaktor ist nicht gerade gering, der Frustfaktor aber dennoch erfreulich niedrig. Das qualifiziert Jamaica zu einem wirklich originellen und witzigem Familienspiel, zumindest so lange die Familie nicht allzu viel wert auf Strategie legt sondern lieber das ständige Chaos verwaltet. Und aus mindestens vier Leuten sollte die Familie auch bestehen, denn zu zweit oder zu dritt ist zu wenig los auf dem Spielplan und es kann durchaus sein, dass zwei Spieler sich in einer ganzen Partie nicht zu sehen bekommen. Ab vier Spielern ist dann aber ordentlich was los – und das ist wichtig, sonst wird das Spiel zu repetitiv. Auch so kann es ab und an mal etwas zu spät zu Ende gehen. Doch das bleibt eher die Ausnahme als die Regel. In Vollbesetzung dauert das Spiel nicht unwesentlich länger, da dann eigentlich immer mindestens ein Spieler möglichst direkt ins Ziel segelt. Allerdings ist das Spiel dann aufgrund der vielen Angriffe noch etwas glückslastiger.
Aber wir sind ja Piraten, da sollte das nicht stören, oder?

Ein Hinweis zu zum Ende noch gegeben: Sébastien Pauchon erläutert das Spiel auf seiner Webseite in kleinen Videos (und in mehreren Sprachen):
sehenswerte Video-Anleitungen
 
 
 

Peer Sylvester
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