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London

Autor: Martin Wallace

Verlag: Giant Roc

Für 2-4 Personen ab 14 Jahren

Spieldauer: 60-90 Minuten (Eher 30-45 Minuten pro Person)

 

Bereits 2010 erschien die erste Auflage von London. 2017 brachte Osprey Games das Spiel in einer entschlackten und verbesserten zweiten Auflagen erneut auf den Markt. Jetzt hat es noch einmal sieben Jahre gedauert, bis dieses Spiel auch zu uns gefunden hat – ein bemerkenswert langer Zeitraum, bedenkt man, dass heutzutage gefühlt jedes mittelprächtige Kickstarterspiel zeitnah irgendeinen Verlag für die Lokalisierung findet.  Manchmal ist es wahrlich nicht vorhersehbar, warum sich für einige Spiele einfach kein deutscher Partner finden mag. An der Qualität des Spieles lag es jedenfalls nicht.

Der Großteil der Städtebauspiele variiert das Thema „Welches Gebäude kommt neben welches Gebäude?“. Von Metropolis über Big City bis Cities oder Suburbia: Ein wesentliches Element ist, dass die Kombination der Plättchen in einem Gebiet Punkte oder Kombos generiert. Dadurch werden die Spielenden vom Spiel mit Siegpunktbrot und Minuspunktpeitsche so geführt, dass „realistische Städte“ entstehen, in denen das Krankenhaus nicht neben der Müllkippe steht und die KiTa nicht in Autobahnnähe platziert wird.

Nur arbeiten Städteplaner so nicht. Das Rollenspiel, dass in diesen Spielen oft zumindest für einen Teil des Spielspaßes zuständig ist, wird nicht wirklich angesprochen. SimCity war nicht deswegen so erfolgreich, weil die Fans endlich entscheiden konnten, dass man Schulen am besten in der Nähe von Wohngegenden baut, sondern weil es konkrete Probleme gab, die gelöst werden mussten.

Drei Karten in meiner Stadt reichen mir zu Beginn, zumal mein Stadtteil (oben) noch eine extra Armut produziert, ebenso wie die Gerbereien in der Mitte).

Hier setzt Martin Wallace mit London an: Eine Topologie gibt es im Spiel eigentlich nicht. Dafür aber jede Menge Probleme: Man braucht Geld, man braucht Ansehen (Siegpunkte), man braucht Handkarten (im wesentlichen Gebäude) und vor allem: Es gibt viel Armut. Dabei ist ihre Implementierung geradezu genial: Gebäude werden gebaut, wie man es von anderen Spielen kennt: Karte spielen, eine andere Karte abwerfen, ggf. Baukosten bezahlen. Will man ein Gebäude aber auch nutzen, so benötigt das einen Zug, in dem alle gebauten offenen Karten genutzt werden können. Anschließend bekommt man für jede sichtbare Karte und für jede verbleibende Handkarte Armut. In der Praxis heißt das: Ich will gar nicht zu viele Karten nebeneinanderbauen, sondern auch mal was überdecken, da ich sonst Armut generiere. Aber eben nicht zu viel, da ich sonst weniger Karten nutzen kann. Die Kunst ist es hier geeignete Kompromisse zu finden – zumindest bessere als die Konkurrenz am Tisch, denn Armut ist genau genommen erst gegen Ende ein Problem und auch nur, wenn man mehr Armut hat, als die Person mit der wenigsten davon am Tisch.

Durch diese Kniffe wird die Armut Teil des Puzzles und zwar auf eine Art und Weise, wie sie vermutlich auch Christopher Wren (der Original-London-Spieler) behandelte: Man kümmert sich um sie, weil man es muss, nicht weil man es will – „Ja gut, dann baue ich eben ein Kanalisationssystem!“. Die Armut nervt, und zumal der Kampf gegen sie ein Kampf ist, den man nicht gewinnen kann – solange man seine Stadtteile arbeiten lässt (also Gebäude generiert) wird es auch immer Armut geben. Selbst wenn man alle Gebäude aufeinander bauen würde, würde der eine Stapel immer noch eine Armut generieren. Die zynische Seite Londons ist, dass man die Armut aber auch nicht vollständig besiegen muss – man sollte sie nur ein wenig besser bekämpfen, als die anderen am Tisch.

Die Armut ist aber auch Symptom für das bemerkenswerte an London: Martin Wallace hat es hier geschafft eine Reihe origineller Mechanismen geschickt zu verzahnen. Diese Mechanismen sind erst einmal abstrakt (Stapel bauen, Stapel auslösen, Karten ziehen usw.) aber durch wirklich gelungene Gebäudeeffekte gelingt es London auf subtile Art und Weise Thema zu erzeugen. So mag zwar eine bestimmte Stadtteilaktion erst einmal für sich genommen willkürlich klingen – aber dass die reichen Viertel viel Ansehen bringen, aber den Armen nichts helfen, während die Armenviertel sowohl Armut reduzieren als auch für deutlich mehr Handkarten sorgen ist eines dieser Subtilitäten. Ein Kartentyp – im Deutschen leider auch etwas verwirrend als die Armen bezeichnet- hat keine Funktion, kann aber nur unter sehr engen Voraussetzungen abgeworfen werden. Straßenbeleuchtung reduziert bei Aktivierung Armut, kostet aber viel Geld – und wird daher zumeist zugunsten günstigerer Projekte bald wieder eingestampft. Zum Beispiel für eine an sich nutzlose Statue, die viel Geld kostet, aber dafür viel Ansehen bringt. Oder die subtilen Unterschiede der Handwerker: Gerben bringt viel Geld, aber auch mehr Armut. Bier bringt auch  Geld und sogar dauerhaft Prestige – so wie es aussieht gab es Mikrobrauereien auch schon im 18. Jahrhundert.

Ich kann nicht umhin, London als Meisterwerk zu bezeichnen, mechanisch wie thematisch ist hier schlicht alles gelungen. Die Mechanismen an sich sind neu, aufregend und ideal miteinander verzahnt. Alles macht bald Sinn, selbst die anfänglich etwas umständlich wirkende Methode wie die Auslage der abgeworfenen Karten geleert wird, hat einen Aha-Effekt, wenn man die Leerung erstmalig triggert und feststellt, dass dann vorwiegend neu abgeworfene Karten weggehen. Einerseits lässt einem das Spiel alle Freiheiten, andererseits drängt es die Spielenden dazu, auf ein Spielende hinzuzustreben und immer weiter zu bauen, wobei die Herausforderungen nicht kleiner werden. Drei Dinge (Geld, Armut, Karten) zu jonglieren muss man in vielen Spielen, aber selten ist diese Jonglieren so geschickt miteinander verzahnt, dass immer etwas drängt. Hinzu kommt die funktionierende Metapher, die für Gelächter sorgt, wenn sich der linkeste Mitspielende am Tisch in Friedrich Merz-Manier über die ständig mehr werdende Armut beschwert, die einfach nicht kleiner werden will. Ich weiß nicht, warum es fast fünfzehn Jahr dauern musste, bis das Spiel hier in einer deutschen Auflage erscheinen konnte- aber ich bin froh, dass dies nun endlich der Fall ist.

 

Peer Sylvester
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