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Historical Mystery 1 und 2

Autor: Mihail Rozanov

Verlag: Hobby World

Für 1-4 Spielende ab 18 Jahren (eigentlich ab 14)

Spieldauer: 60-90 Minuten (wir haben eher 60 gebraucht, vielleicht waren wir deshalb schlecht)

Detektivspiele mit festen Fällen, die man lösen muss, sind groß in Mode und auch wenn sie auf eine lange Tradition zurückblicken können (Sherlock Holmes Criminal Cabinet, Tatort Nachtexpress etc.), kann man ruhigen Gewissens festhalten, dass sie auf der Welle der Escape-Spiele hereingeschwommen kommen. Dabei vermute ich, dass es das Konzept der Einmalspiele ist, welches den Weg dieses Subgenres bereitet hat; nicht zuletzt auch, weil eine Reihe von Escape-Spielen auch Krimispiele hervorgebracht hat (Unlocks Sherlock Holmes Abenteuer oder Escape the Room Murder Mystery wären hier zu nennen). Doch es kristallisieren sich immer mehr Unterschiede zwischen den Escape – Spielen und den (reinen) Detektivspielen heraus: So haben erstere eine Reihe von Rätseln. Die können mehr oder minder gut in eine Narrative eingebunden sein und sie können mehr oder weniger parallel gelöst werden. Die Qualität eines Escape Rooms hängt vor allem von der Qualität der Rätsel (wie überraschend, wie gut lösbar, wie originell…) und von der Einbettung der Rätsel in die Narrative ab. Das entscheidende: Ein Escape-Rätsel wird einmal gelöst und hat dann seine Schuldigkeit getan (es kann als Hinweis für ein späteres Rätsel dienen, aber das Rätsel selbst ist im gelösten Zustand,  überflüssig geworden. Es wurde im doppelten Wortsinn aufgelöst).

Auch bei Detektivspielen kann es Rätsel geben, die zum Beispiel neue Hinweise „freischalten“ oder weitere Handlungen ermöglichen. Man denke an Computerspiele, wo etwa im Hintergrund ein Code versteckt ist oder an Sherlock Holmes Criminal Cabinet wo in der Zeitung Hinweise zu finden sind, die im eigentlichen Fall weiterhelfen. Doch der große Schwerpunkt von Detektivspielen liegt in einem zentralen Fall, der gelöst werden soll. Das eigentliche Spiel dient dem Sammeln der Hinweise und der Informationen, die zur Lösen dann in Beziehung gesetzt werden. Die Qualität eines Detektivspieles bemisst sich daher vor allem darin, wie spielerisch diese Informationen gesammelt werden und wie gut der Fall selbst ist (wie lösbar, wie gut geschrieben, wie originell…).

Das Zusammentragen von Informationen ist dabei in der Regel der spielerische Teil, das Lösen am Ende das große Finale. Die Informationen müssen im Spiel so verteilt werden, dass das Finale auf befriedigende Art und Weise nach einem ordentlichen Spannungsbogen erreicht wird.

Ein großer Teil des Genres nutzt hier Karten, auf denen Informationen verteilt sind und die gesammelt werden müssen. Damit nicht einfach alle Karten nacheinander vorgelesen werden, ist das Sammeln der Karten irgendwie eingeschränkt. Bei Sherlock z.B. kennt niemand alle Karten, ständig müssen bei unvollständiger Informationslage die Informationen nach Wichtigkeit eingeschätzt werden. Tatsächlich ist das System von Sherlock angenehm spielerisch und daher geht der Spielspaß über das reine Lösen des Falles hinaus (so befriedigend das auch sein mag).

Andere Spiele -und dazu gehört auch die Historical Mystery – Reihe – beschränken sich darauf, die Reihenfolge, in der die Karten gelesen werden, festzulegen und beschränken zudem die Anzahl der Karten, die im gesamten Spiel zur Verfügung stehen: Es muss eine Wahl getroffen werden, welche Karten man für wichtig erachtet. Dabei ist darauf zu achten, dass Informationen redundant gehalten werden, wer aus eigener Sicht logische Entscheidungen trifft, dabei aber alle wichtigen Informationen verpasst, wird frustriert. Das ist bei dieser Reihe glücklicherweise nicht der Fall. Es gibt viele Möglichkeiten von Karte A zu Karte B zu kommen. Zudem wird ein Großteil der Karten aufgedeckt. Fast schon so viele, dass hier das spielerische Element etwas zu kurz kommt; Wenn sowieso praktisch alles aufgedeckt wird, warum dann nicht gleich den Fall komplett lesen? Ähnlich wie Suspects ist auch diese Reihe vor allem eine auf Karten aufgeteilte Detektivgeschichte, die man halt nicht ganz linear liest. Und genau wie bei Suspects kann man hier bestimmte Personen auch nur sehr eingeschränkt gezielt nach neuen Hinweisen fragen – da auf den Vorderseiten die Optionen zu erkennen sind, fehlen aus Spoilergründen die wirklich wichtigen Fragen. Das ist allerdings auch ein bisschen das Whodunnit-Metier, wo die Hauptperson unwichtig erscheinende Fragen stellt und aus den scheinbar trivialen Antworten etwas herauspuzzelt. Auf der anderen Seite bedeutet das weitestgehende Fehlen spielerischer Elemente freilich auch, dass die Historical Mystery – Spiele schon sehr dicht an Suspects und ähnlichen Spielen dran sind. Der Unterschied zu Suspects liegt vor allem darin, dass man keine Tipps während des Spiels abgibt, sondern erst am Ende Fragen zum Fall beantwortet. Der Autor Mihail Rozanov hat hier mechanisch das Minimum getan, um ein Detektivspiel zu kreieren. Das bedeutet, dass die Fälle selbst im absoluten Mittelpunkt stehen. Da es spielerisch keine verborgenen Kniffe gibt und auch die thematische Einkleidung nicht über ein reines Setting hinauskommt, gibt es nichts, was über einen weniger gelungenen Fall hinwegtäuschen könnte. Das ist natürlich nur dann ein Problem, wenn die Fälle weniger gelungen wären. Wie sind die denn so?

Death at the ball spielt während der Zeit des Sonnenkönigs in der Französischen Aristokratie. Oder genauer gesagt, in der romantisierten fiktionalen Darstellung dieser Zeit. Ich weiß nicht, ob Rosamunde Pilchers Romane hier spielen, aber so stelle ich mir deren Bücher vor: Alle sind adelig oder bewegen sich zumindest in adligen Kreisen und es gibt Liebesgeschichten und viele Intrigen. Der König taucht nicht auf. Das ist nicht weiter tragisch, das Setting soll hier nur zur Identifikation und Einordnung dienen und das geschieht problemlos. Unter dem Label „Historical“ hatte ich mir aber etwas mehr vorgestellt – der Hook ist hier wohl, dass der Begünder der modernen Polizei Gabriel Nicolas de la Reynie einen höchstpersönlich einlädt, den Fall zu lösen. Das ist mir zu wenig, zumal man das nur mitbekommt, wenn man die Namen googelt.

Der Fall selbst kommt angenehm schnell ins Rollen, man lernt viele Charaktere kennen und wie so oft stellt sich bald heraus, dass die meisten Motiv und Möglichkeit hat und man nicht weiß wer welches Spiel spielt, wer etwas zu verheimlichen hat, ja wer überhaupt die Wahrheit sagt. Nur leider blieben wir auf dieser Position stehen. Wir hatten eine Reihe von Teilaspekten herausgefunden, aber die Schlüsselfrage nach dem Mörder konnten wir nicht einmal ansatzweise beantworten. Auch nicht nach dem Lesen aller verbleibenden Karten nach Spielende.

Bei Sherlock Holmes Criminal Cabinet gibt es am Ende eine Optimallösung von Sherlock Holmes, wo die einzelnen Schritte nachvollziehbar erklärt werden. Auch wenn man -was üblich ist – eher ungläubig ist, dass man Fall X in so wenigen Schritten lösen können soll, wird man nach dem Lesen dieser Lösung sanft überzeugt, dass die logischen Schlüsse gar nicht so weit hergeholt waren. Man war nur zu doof oder zu langsam sie zu verstehen. Eine solche dezidierte Aufbereitung fehlt hier und mir ist daher absolut schleierhaft, wie man auf die Lösung des Falles kommen soll.

An dieser Stelle tue ich etwas, was ich sonst nie tue: Ich spoiler ein bisschen. Es ist ein kleiner Aspekt, der für die Lösung keine große Rolle spielt, aber an dem ich zeigen will, wo das Problem von Death at the Ball ist.

  • Im Laufe des Falles stellt sich heraus, dass zwei Geschwister unabhängig voneinander kleine Mengen Arsen verschrieben bekommen haben.
  • Darauf angesprochen sagte die Schwester nur, dass es eine Privatsache sei.
  • Der Bruder meinte „ Its against The Pox“
  • Daraus – und das ist ziemlich sicher tatsächlich die einzige Möglichkeit das herauszufinden – soll man schließen, dass die beiden eine inzestuöse Beziehung miteinander haben (The Pox ist ein Slangbegriff für Syphilis). Das ist nicht nur ein ziemlicher Sprung, das ist auch eine absolut unnötige krasse Begründung für eine bestimmte andere Handlung einer anderen Person (die sich auch ohne dieses Wissen begründen lässt) Die eigentliche Lösung des Falles beruht mMn auf einem noch größeren Gedankensprung.

 

Disappearence in the Sky, der im neuen Februar erscheinende zweite Fall, hat zumindest den Vorteil, dass bei der ersten Karte der einzelnen Decks noch einmal kurz erklärt wird, wer die Herren&Damen noch einmal sind. Aber auch hier muss viel aus wenig geschlossen werden – ein paar Leute treffen sich? Das heißt sie konspirieren! Irgendjemand hat gehört, jemand anderes habe mal was gemacht? Dann hat der das bestimmt wiederholt! Wer auf „wasserdichte Beweise“ wert legt, ist hier falsch. Es gibt bestenfalls Indizien. Auch wenn mir der zweite Fall deutlich besser gefällt, da einige Kniffe zumindest erschließbarer erscheinen (und wir auch ein paar Sachen übersehen haben) liegt hier doch dasselbe Kernproblem wie beim ersten Fall vor. Ich bin mir auch nicht sicher, wie viele Probleme durch ungenaue Übersetzungen produziert wurden. Ist es Absicht, dass nicht klar ist, ob eine Person die Frau oder die Liebhaberin des Opfers ist? Und nach den ersten paar Karten ist man verwirrt: Ist Herr Loewenstein jetzt verstorben oder verschwunden? Das klärt sich erst im Laufe des Falles, aber es ist mMn sehr ungünstig, wenn elementare Informationen vom Start weg unklar sind. Interessanterweise basiert dieser Fall auf einem echten Fall, die Umstände und zeitliche Einordnungen sind echt. Vielleicht wollte man daher keine zu deutlichen Hinweise geben, denn die gibt es ja in Wirklichkeit auch nicht (Der Fall ist ungeklärt). Auch hier musste ich aber auch erst einmal die Personen googeln, um das herauszufinden. Mir erscheint das als eine verlorene Chance – wenn man seinen Fällen eine  True-Crime-Anstrich gibt, sollte man doch weniger Probleme haben, Fakt von Fiktion zu trennen. Generell halte ich das fktionalisierte Lösung „echter“ Fälle für interessant. Aber die Fälle sind ja nicht umsonst ungelöst, man braucht also zusätzliche Hinweise, sonst löst man nicht , sondern spekuliert.

Nun mag es Leute geben, denen Suspects zu einfach ist, die alle Täter*innen in Agatha Christie Romanen schon drei Kapitel vor Schluss kannten und die bei Sherlock Holmes Verfilmungen abschalten, weil der Protagonist einfachste Zusammenhänge nicht erkennt. Für diese Leute ist Death in the Sky durchaus Futter. Allerdings bezweifle ich, dass bei einem Krimifall ausgerechnet ein hoher Schwierigkeitsgrad ist, der für Spielspaß sorgt. Klar, wenn alles auf der Hand liegt (Cluedo Mystery lässt grüßen), ist das Spiel auch eher Zeitverschwendung.

Aber wie sagte schon Mr. Lionel Twain: „Ihr Kriminalhelden seid so lange so clever gewesen, dass ihr euch inzwischen wie Götter vorkommt. Mit der billigsten Effekthascherei führt ihr eure Leser an der Nase herum. Ihr quält sie mit aus den Fingern gesogenen Schlüssen, die keinen Sinn haben. Noch auf den fünf letzten Seiten führt ihr Charaktere ein, die im ganzen Buch mit keinem Federstrich erwähnt wurden. Bei Ihnen gibt es nicht den verstecktesten Hinweis, Informationen werden zurückgehalten, damit nur keiner errät, wer der Täter ist.“

 

 

#spiel23

 

 

Peer Sylvester
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