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21X

Autor: Leo Samson

Verlag: Naylor Games

Für 1-6 Spielende ab 8 Jahren (mit eingeschränktem Kartensatz, volles Spiel so ab 9. Klasse)

Spieldauer: ca. 2-8 Minuten pro Runde

Anmerkung: Das Spiel erscheint erst im Laufe des Jahres 2023. Ich werde den Start der Kampagne bei  Discord bekanntgeben. Meine Version hat wohl schon finale Graphik, aber zur Materialqualität kann ich noch nichts sagen. Wer sich informieren möchte geht bitte auf die Webseite https://naylorgames.com/pages/21x

Meine erste Partie 21X gewann ich -42 zu -64. Das wäre nicht weiter bemerkenswert, wenn es nicht wie bei Blackjack darum ginge, möglichst dicht bei 21 zu landen, ohne diese Zahl zu übertreffen.

Spiele enthalten Mathematik, ganz klare Sache. Und damit meine ich nicht „rechnen“, sondern echte Mathematik: Wahrscheinlichkeitsrechnung natürlich, aber auch Geometrie, Arithmetik oder Spieltheorie. Aber diese Mathematik wird immer so gut wie möglich versteckt; Selbst Spiele die wie Flusspiraten oder Go-Stop auf konkreten mathematischen Theoremen basieren (in diesem Fall das Gefangenendilemma und das Heirats-Problem), halten diese Wurzeln geheim, als wären sie ein dreckiges Familiengeheimnis. Das kommt nicht von ungefähr: Schaut in einem Escape-Spiel irgendwo zu viel Mathematik aus einem Rätsel heraus, ist in einschlägigen Foren gleich von einer „Matheaufgabe“ die Rede. Ein befreundeter Redakteur erklärte mir mal „Multiplikation in einer Wertung kannst Du nicht bringen – zu mathematisch für ein Spiel!“ Mathematik ist unsexy, es sieht zu sehr nach „Schule“ aus, zu stark die Assoziation mit nervigem „Rechnen“. „Mathematik im Spiel“ das ist sowas wie „Rechenscrabble“ oder „Zahlen-Denkfix“, bestenfalls etwas für Nachhilfelehrer, deren Schüler:innen gerade keine Hausaufgaben haben!

Und doch ist Mathematik regelmäßig eines der beliebtesten Schulfächer in Deutschland, beliebter als Musik, Deutsch oder Bio.  Mathematik ist nerdig, auf eine durchaus sympathische Art und Weise. Mathematik ist faszinierend. Wer einen Zugang zur Mathematik hat, empfindet Freude daran. Mathematik-Liebhaber könnten durchaus selbstbewusster gegenüber ihren Germanisten-Freunden und Oper-liebenden Verwandten auftreten, sie müssen ihre Fasson nicht verstecken.

Insofern freue ich mich, wenn ein Spiel genau diese Freude an nerdiger Mathematik in den Vordergrund stellt. 21X ist ein ganz ehrlicher, offenkundiger Liebesbrief an die Mathematik. Und gerechnet wird auch.

Die Basis von 21X ist eben jenes Blackjack. Tatsächlich funktioniert es genau wie Blackjack (mit der Ausnahme, dass man nicht mit einem Wert von genau 20 gewinnen kann). Aber wo letzteres ein Spiel mit Wahrscheinlichkeiten ist, ist 21X knobelig. Das liegt an den Karten: Statt den üblichen Werten zeigen sie Terme, wilden Mischungen aus ganzen Zahlen, allen möglichen Rechenoperationen und bis zu zwei Variablen: N ist immer die Anzahl der gezogenen Karten, verändert sich also mit jeder nachgezogenen Karte. X steht für eine beliebige ganze Zahl – und kann eben auch negativ sein, was insbesondere dann der Fall sein muss, wenn ansonsten die Gesamtsumme die 21 übersteigen würde. Da die Karten keine Regelmäßigkeit haben, kann man nicht darauf hoffen, eine bestimmte davon zu ziehen. Also muss man abschätzen: Reicht mir die 16, weil ich hoffe, die anderen werden überreizen oder bin ich gierig und hoffe keine allzu hohe… – Argh! Da die Überlegungen vor allem geknobel sind, kann man 21X auch wunderbar als Rätselaufgabe solo spielen. Die 21 ist hier deutlich schwieriger zu erreichen, als bei der Vorlage (auch wegen des Verbotes, die 20 zu treffen), aber machbar ist es, und wenn es gelingt ungemein befriedigend.

Blackjack als Basis für dieses Spiel zu nutzen ist vor allem auch deswegen so eine geniale Idee, weil es sämtliche Regeln in den Hintergrund verschwinden lässt. Das Spiel ist in weniger als einer Minute erklärt und man sieht mit den ersten beiden Karten sofort wohin der Hase läuft und wird gleich in die Aufgabe hineingezogen; Nehme ich noch eine Karte oder… Nichts lenkt vom Kern ab, 21X ist transparent. Gleichzeitig verschwimmt auch der Wettstreit: Das blinde Aufnehmen einer weiteren Karte ändert nicht nur alle meine Rechnungen, vor dem Ziehen kann man sich alles von dieser Karte erhoffen: Mit der Karte kommt die Wende! Gerade weil man nicht weiß, was einen erwartet, gerade weil man nicht weiß, was die anderen eigentlich genau machen (nur beim Aussteigen nennt man das Ziel, das erreicht wurde), kann man alles in diese Karte hineinprojizieren – um dann natürlich etwas zu bekommen, dass einem zum kompletten Umdenken zwingt.

Should I stay or should I go?

Die unscheinbare Regel, dass sofort gewinnt, wer zuerst 21 Punkte erreicht, bedeutet auch, dass man durchaus schnell spielen möchte, um ggf schneller (aber mit mehr Karten) das Gewinnergebnis zu erreichen. Aber dagegen steht das Rechnen, dass auch erst einmal bewältigt werden möchte (je nach Gusto mit oder ohne Stift und Papier). Die Regel, nicht mehr als 5 Karten haben zu dürfen schließt dann die Tür, einfach sein Heil in einem „Mehr“ an Karten zu suchen. Was woanders eine Kleinigkeit ist, ist hier eine Kernidee.

Wer sich mit dem Spiel weiter beschäftigt, wird dann auch irgendwann die Graphik verstehen, die auf den Karten drauf ist – die Regelmäßigkeiten, die bestimmen, wann welche der vier klassischen Kartenfarben gewählt wurde. Mathematik ist die Lehre von Mustern und diese Kodierung ist ein wunderbares Beispiel und gibt mir mehr, als die üblichen „Oh, im Hintergrund ist eine Spielschachtel zu sehen“-Easter Eggs, die man in anderen Brettspielen so findet. Der Grund ist einfach: Dies ist ein Spiel über Mathematik, und so sind auch die Anspielungen mathematisch.

21X ist als Gesamtkonstrukt beeindruckend. Das Anhängsel „wenn man Mathematik mag“ ist dabei überflüssig. Wer Kriegsspiele ablehnt, wird auch die besten Vertreter der Gattung nicht spielen. Wer Memory-Elemente ablehnt, der wird sich nicht Order Overload Cafe zulegen. Das Rechnen mit Termen steht dem gleichberechtigt gegenüber, in jedweder Hinsicht. Endlich haben wir auch einen Verterter im (Spiele-)Rennen!

 

 

 

Peer Sylvester
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