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Kreta

Verlag: Goldsieber
Autor: Stefan Dorra
Spieleranzahl: 2-4
Alter: ab 11 Jahren
Spieldauer: ca. 45 Minuten

Gelb, endlich. So lange habe ich darauf gewartet, daß die große Spielereihe von Goldsieber mit der Farbe gelb fortgesetzt wird. Leider hat sich jedoch in der Vergangenheit das Schachtelformat geändert, so daß die Spiele in meinem Regal nun doch nicht nebeneinander liegen. Nun ja, damit sind wir im Prinzip schon beim Spielmaterial angekommen. Goldsieber hat wieder ein bißchen Gas gegeben, was nach den harschen (Material-)Kritiken zu den letzten Neuerscheinungen sicherlich notwendig war. Bei Kreta finden wir ein Spielbrett in ungewöhnlich langem und schmalem Format, welche die besagte Insel aufgeteilt in einzelne Provinzen zeigt. Daneben gibt es einen identischen Satz Spielkarten und viele Holzteile für jeden Spieler. Lobend erwähnt werden sollen die Übersichtstafeln für das Spielgeschehen. Einzig der Spielkarton fällt von der Qualität deutlich ab und fühlt sich wabbelig an.

Wenn ich schon davon berichte, daß die Insel in einzelne Provinzen aufgeteilt ist, so können Sie sich fast denken, daß es sich um ein Mehrheitenspiel handelt. Ziel der Spieler ist es, bei den Wertungen möglichst gut auf dem Brett zu stehen. Wertungen beziehen sich übrigens immer auf die Bauplätze der Kastelle, das sind die Schnittpunkte der Provinzgrenzlinien. Gewertet werden dann jeweils immer die an den Schnittpunkt angrenzenden Gebiete, d.h. zwei bis vier Gebiete pro Wertung.

Die genannten Kastelle sind nur eine mögliche Spielfigur. Daneben gibt es Schiffe, Äbte, Städte und Völker. Jeder dieser Spielsteine wird unterschiedlich eingesetzt (Schiffe in die Häfen sowie Äbte, Städte und Völker in die Provinzen). Eingebracht werden die Spielsteine mittels der Spielkarten. Dies geschieht jeweils reihum (eine Karte pro Spieler und Runde) und pro ausgespielter Karte kann eine entsprechende Aktion ausgeführt werden, d.h. Spielsteine eingesetzt oder verschoben oder eine Wertung ausgeführt werden. Die ausgespielten Karten sind bis zur nächsten Wertung zunächst verbraucht, so daß bei sieben Handkarten spätestens nach sechs reinen Einsetzrunden eine Wertung erfolgen muß. Das klingt bislang ein wenig dröge, da aber die Spielfiguren Auswirkungen auf die gegnerischen Aktionen haben (so sperrt ein Abt eine Provinz für fremde Spieler) und die Aufnahmekapazität der Häfen (2 Schiffe) und Provinzen (7 Spielsteine) begrenzt ist, verläuft das Spiel sehr spannend. Man möchte eigentlich immer mehr machen als gerade möglich ist und ärgert sich fürchterlich wenn z.B. eine Provinz, durch die man nur mal eben so durchwandern wollte, plötzlich mit einem Abt besetzt ist. So setzt man also seine Spielsteine ein – versucht dabei auch noch Agrarplättchen zu ernten, für die es Siegpunkte und Boni gibt – und hofft, bei der Wertung die Nase vorn zu haben und so die aufgedruckten Siegpunkte der jeweiligen Provinz zu erhalten.

So schließt sich der Kreis zu den Wertungen. Diese werden durch den Ausspieler der „Kastellan“-Karte herbeigeführt und folgen einem ganz besonderen Mechanismus. Es gibt insgesamt 26 Schnittpunkte, d.h. maximal 26 theoretisch mögliche Wertungen. Im Spiel sind jedoch nur deutlich weniger Wertungen. Die zu wertenden Schnittpunkte finden sich auf numerierten Kastellkarten, von denen bei Spielbeginn neun verdeckt und zwei offen neben dem Spielplan ausgelegt werden. Die ersten beiden Wertungsorte sind also bekannt und somit geht der Wettlauf um die Provinzen los. Wird dann eine Wertung ausgeführt, so werden die entsprechenden Punkte an die Spieler verteilt und die nächste verdeckte Kastellkarte aufgedeckt. Der Spieler, der die Wertung ausgelöst hat, hat nun die Chance, diese Karte abzulehnen. Dann wird sie entfernt und durch eine Karte vom Nachziehstapel ersetzt. Ein Mechanismus der in dieser Reinheit ein wesentliches Element des Spiels darstellt. Das Spiel endet schließlich nach 11 durchgeführten Wertungen.

Meiner Meinung nach, haben wir mit Kreta in diesem Frühjahr die ungekrönte Perle der Spiele für den sogenannten „Vielspieler“ vor uns liegen. Ich habe lange gebraucht, um einen sinnvollen Weg für meine Handkartenaktionen zu finden. Gut nur so lange, bis wieder einer der lieben Mitspieler quergeschossen hat. Es gibt keinen Paradeweg zum Spielsieg. Man muß sich immer auf die jeweilige Situation auf dem Spielbrett einlassen. Kreta macht dabei zunächst einmal den Eindruck, eher locker zu sein, aber Fehler werden doch recht schnell bestraft. Tempoverluste auszugleichen ist schwierig, aber gerade hier liegt der Reiz. Oft vernachlässigt wird da der Abt, mit dem man ja andere Spieler schön ausbremsen kann (gerade weil Kreta so schmal ist, wird es schwierig diesen zu umgehen) sowie der Bauer. Anstatt sich auch noch um die letzte Wertung zu kümmern, sollte man lieber einmal mehr ernten. Und das aus drei Gründen:

  • Es gibt immerhin ein paar Siegpunkte; bei einer wiederholten Ernte gibt es sogar genausoviel Siegpunkte, als wenn man einen zweiten Platz (oder z.T. sogar einen geteilten ersten) bekommen hätte. Dies ist aber nicht der Hauptgrund, denn
  • Man darf nun ein Haus bauen und dies bedeutet bei Wertungen häufig einen starken Vorteil, besonders wenn ein etwas zentraleres Gebiet (mit vielen Knotenpunkten) damit initial besetzt werden kann, denn häufig wird dagegen nicht besonders stark angegangen. Es sei denn, die Mitspieler haben selbst ein Haus, aber da wäre ja noch
  • Das Leerfegen von Gebieten. Geschicktes Ernten verhindert schnelles Ernten der anderen. Extra neue Bauernketten zu bewegen, um mehr zu ernten, das macht der unbedarfte Spieler, der auf die nächste Wertung schielt, nicht. Wer aber den Bauer nicht spielt, darf keine Häuser bauen. Also muß er doch umdisponieren und verbraucht nun wertvolle Züge mit dem Umstrukturieren seiner Bauern in Erntegebiete (und hier kann dann wiederum ein gut plazierter Abt durchaus zu sehr unchristlichen Ausdrücken führen).

All das bietet schon einmal viel Spielraum für Taktiken (wirkt aber – anders als z.B. bei Amazonas – sehr viel lockerer), es kommt aber noch dicker:
Da wäre zum einen das Schiff. Es wird ebenfalls zum ernten gebraucht und kann nur an wenig Stellen auf dem Plan plaziert werden. Da der Platz pro Hafen begrenzt ist, fängt man also mit der Spielen des Bootes an, richtig? Falsch! Wer das macht, wird (vermutlich) sofort mit Hilfe des Abtes ausgebremst und bekommt seinen Bauern nicht mehr unter. Das Schiff ist viel flexibler als der relativ träge Bauer: Es kann in jeden Hafen fahren und es kann als einziges in ansonsten volle Gebiete und sogar in vom Abt heimgesuchte Provinzen fahren. Das Boot ist eine Trumpfkarte, die man nicht zu früh ziehen sollte!

Überhaupt ist viel Weitsicht gefragt: Wer sich im Kampf um die nächste Wertung verzettelt, hat bereits verloren – die Ressourcen wollen möglichst flexibel eingesetzt sein und das geht nicht, wenn man alles Verfügbare in eine Provinz stellt – selbst der Bau eines Turmes auf die Zahl, die gerade gewertet wird, ist oft der falsche Weg. Lieber auf eine Provinz verzichten und dafür mehr Nachbarn anschließen. Wer frühzeitig erkennt, daß er gegen zwei Leute spielt (oder auch nur gegen einen verbissenen Hund) sollte sich der übernächsten Wertung widmen – und da verstärkt der Provinz(en) mit den meisten Schnittpunkten. Irgendwie wird das gerne vergessen: Die Anzahl der Schnittpunkte bestimmt die Höhe des Einsatzes – auf gut Glück zu setzen kann daneben gehen, aber wer sowieso bei einer Wertung partizipieren will, tut das am besten da, wo die Chance einer weiteren Wertung möglichst hoch ist. Das man leere Provinzen, in denen gewertet wird, natürlich erst mal füllt, dürfte klar sein; es kann übrigens taktisch auch mal gut sein, eine leere zu füllen und die zweite leer zu lassen, der nächste wird die andere füllen und der dritte und vierte müssen dort erst einmal aktiv werden und streiten sich somit vielleicht woanders. Wenn jetzt schnell gewertet wird…

Ah ja, schnelles Werten ist sowieso Gold wert: Das Recht, eine Wertung abzulehnen ist nicht zu unterschätzen. Wer als Führender nicht zu viel verliert oder als hinterherlaufender mindestens gleichstark ist, kann und sollte durchaus mal werten, besonders wenn er in einer Ecke Kretas gar nicht vertreten ist (aber auch, wenn eine reelle Chance besteht, daß es seine Lieblingsecke trifft). Man erreicht damit nicht nur, daß eine ungünstige Wertung abgewiesen wird, man verhindert auch, daß eine für einen selbst akut positive Wertung unnötig lange im Spiel bleibt. Als Führender wird man sowieso viel werten wollen, um das Spielende zu beschleunigen.

Alles in allem scheint Kreta ein harmloses Familienspiel zu sein – und kann auch durchaus als solches gespielt werden! Es bietet aber genug Freiräume um einem gut spielenden Kreter die höchste Gewinnchance zu geben…

Jürgen Karla

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